Hitlers Geburtshaus und die Lebenshilfe Oberösterreich – Widerstand oder Ergebung?

Die Diskussionen rund um die Enteignung des Geburtshauses von Adolf Hitler und eine mögliche zukünftige Verwendung des Gebäudes durch den Österreichischen Staat haben national wie international für Schlagzeilen gesorgt. Ein Kommentar.

Mahnstein Für Frieden Freiheit und Demokratie nie wieder Faschismus Millionen Tote mahnenm vor dem Geburtshaus von Adolf Hitler
Bürgerhaus, Mahnstein gegen Krieg und Faschismus von Anton-kurt / CC BY-SA 3.0 AT

Doch, wie geht es jetzt weiter? Und welche Folgen kann eine endgültige Entscheidung der Lebenshilfe Oberösterreich in dieser Causa für den gesamten Behindertenbereich in Österreich haben? 

Fahrplan der Politik

In einer Presseerklärung des Bürgermeisters von Braunau, Mag. Johannes Waidbacher, wird informiert: „Das Gebäude soll saniert und anschließend von einer sozialen Einrichtung genutzt werden. Das Angebot zur Führung des Gebäudes geht an die OÖ. Lebenshilfe. Als nächster Schritt wird Anfang des Jahres 2017 eine Arbeitsgruppe mit Vertretern des Bundesministeriums für Inneres, des Landes Oberösterreich und der Stadt Braunau am Inn eingerichtet. Diese soll im ersten Halbjahr 2017 alle rechtlichen und organisatorischen Fragen abklären.

Stellungnahme der Lebenshilfe Oberösterreich

Auf Anfrage erhielt BIZEPS von der Lebenshilfe Oberösterreich ein offizielles Statement, das hier vollständig wiedergegeben wird:

 „Die Lebenshilfe nutzte das Geburtshaus von Adolf Hitler bereits von 1977 bis September 2011 als Werkstätte für Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung. Damals entschloss man sich, die Werkstätte in ein anders Gebäude zu verlagern, da das Gebäude in Braunau nicht barrierefrei zugänglich war und der Durchführung erforderlicher baulicher Maßnahmen seitens der Eigentümer nicht zugestimmt wurde.

Über das Angebot, das Gebäude nun unter anderen organisatorischen Voraussetzungen wieder zu beziehen, denkt die Lebenshilfe Oberösterreich gerne nach. Dazu gilt es jedoch im Vorfeld noch viele Details zu klären und die Ergebnisse der vom Innenministerium eingesetzten Arbeitsgruppe abzuwarten.

Mag. Gerhard Scheinast, Geschäftsführer der Lebenshilfe Oberösterreich, fügt noch hinzu: „Unsere Zusage ist zum einen natürlich eng an baulichen Begebenheiten geknüpft. Ein barrierefreier Zugang ist ein Muss-Kriterium. Zum anderen wünschen wir uns ein intelligentes Gesamtkonzept, das das Gebäude zu einem Ort der Vielfalt und des Zusammentreffens unterschiedlicher Menschen werden lässt.

2017 soll es betreffend der weiteren Nutzung des Gebäude erste Gespräche zwischen der Lebenshilfe Oberösterreich, dem Innenministerium, dem Land Oberösterreich und der Gemeinde Braunau geben, erfährt man von der Lebenshilfe.

Was es zu bedenken gilt

Der Umstand, dass die Lebenshilfe Oberösterreich das Haus bereits zwischen 1977 und 2011 als Werkstätte genutzt hat, heißt nicht zwangsläufig, dass diese Nutzung auch zukünftig weitergeführt werden muss/soll. Im Jahr 2008 hat Österreich schließlich die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert, mit den Prämissen „Inklusion“, „Menschenrechte“, „Barrierefreiheit“, „Teilhabe“ und „Chancengleichheit“.

Die rechtliche Verankerung der UN-Behindertenrechtskonvention gibt den Weg des Paradigmenwechsels (Sichtweise auf behinderte Menschen: vom betreuten Objekt zum selbstbestimmten Subjekt) vor, mit all seinen praktischen Folgen. Dieser ist konsequent weiterzugehen.

Sensibilität statt Instrumentalisierung

Der Alltag zeigt, dass es gerade bei der Gruppe der behinderten Menschen noch viel zu wenig Sensibilität gibt. So hätte der Vorschlag, Hitlers Geburtshaus zum Beispiel als Altersheim für eine andere von der NS-Diktatur verfolgte Menschengruppe zu verwenden, berechtigt zu einem empörten Aufschrei geführt. Aber hier geht es ja „nur“ um behinderte Menschen. Ihr Stellenwert in der Gesellschaft rangiert ganz unten. Ihnen wurde ihre Stimme genommen. Sie haben keine Lobby.

Es ist endlich an der Zeit, behinderte Menschen nicht mehr mit einem Stempel zu versehen und in Sonderanstalten oder Sonderwelten zusammenzufassen. Wie kommen behinderte Menschen dazu, von anderen zu Objekten gemacht zu werden? Sie sind einzelne Individuen wie alle anderen auch. Mit unterschiedlichen Einstellungen, Stärken, Zielen, Wünschen, Vorlieben. Sie möchten aussuchen können, wie sie leben, wohnen und arbeiten. Ihnen steht wie allen anderen auch, die Freiheit zu, aus mehreren Alternativen selbst auswählen zu können.

Menschenrechte kosten Geld

Dass die Umsetzung von Menschenrechten für diejenigen, denen bis dato ihre Rechte oftmals vorenthalten wurde, auch Geld kosten kann, ist ein Faktum. Ein Faktum ist aber auch, dass die Politik sehr hohe Summen zum Beispiel für Werbemaßnahmen ausgibt.

Mit Spendengeldern aus „Licht ins Dunkel“ können auf jeden Fall keine Menschenrechte für behinderte Bürgerinnen und Bürger eines Rechtsstaates auf Dauer gewährleistet werden. Und im Übrigen könnte durch gezielte Umverteilungen im Budget sehr wohl einiges geändert werden, ohne zusätzliche Investitionen tätigen zu müssen.

Lebenshilfe Oberösterreich – quo vadis?

Der Lebenshilfe Oberösterreich stehen sicherlich nicht ganz leichte Verhandlungen mit den zuständigen Politikern bevor. Sie können nicht autonom handeln und sind eingebettet im gesellschaftlichen wie politischen Rahmen. Doch ist zu bedenken, dass die Entscheidung auf jeden Fall eine Signalwirkung hat und wenn es wiederum zu einer Nutzung durch die Lebenshilfe kommt, wird dieser Zustand für viele Jahre einzementiert sein.

Wie auch immer das Konzept und die endgültige Entscheidung der Lebenshilfe Oberösterreich aussehen wird, eines ist klar: Es gibt nicht „eine Prise Inklusion“ oder „halbe Menschenrechte“.

Es geht darum, Selbstbestimmung und Inklusion nicht nur auf die Fahnen zu schreiben, es geht darum, für diese Werte auch praktisch einzutreten. Auch wenn das heißt, unter Umständen in Auseinandersetzung und/oder in einen Konflikt zu geraten. Selbstverständlich unterstützt durch die Solidarität aller, die den Paradigmenwechsel begrüßen und diese Werte leben möchten.

Siehe: „Abschlussbericht – Kommission zum historisch korrekten Umgang mit dem Geburtshaus Adolf Hitlers“ / Enteignung des Hitler-Haus

Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich
Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Die Kommentarfunktion für diesen Artikel ist abgeschalten.

2 Kommentare

  • Eine Nutzung dieses Gebäudes für sozial-karitative Zwecke, erweckt zwar einen ersten postiven Impuls, führt aber letztlich trotzdem zu einer Instrumentalisierung. Es verbleibt der Eindruck etwas zu überdecken.
    Wenn wir uns den Umgang des Bürgermeisters Predappios (Mussolinis Geburtsort) ansehen, zeigt sich ein anderer Zugang zu der Thematik:

    Giorgio Frassineti Bürgermeister Predappios gegenüber CNN:
    „Das Gebäude [jenes das als Monument zur Glorifizierung Mussolinis geplant war] ist im Moment ein Symbol für ein Land, das sich nicht mit der eigenen Geschichte auseinandersetzen möchte. Die Reflektion eines Themas wie des Faschismus ist nie einfach… Symbolische Orte wie Predappio können helfen, diesen Prozess voranzubringen.“
    Ein ähnlicher Zugang scheint mir für Braunau und dem Hitler Haus sinnvoll!

  • Mag. Gerhard Scheinast, Geschäftsführer der Lebenshilfe Oberösterreich, wünscht sich „ein intelligentes Gesamtkonzept, das das Gebäude zu einem Ort der Vielfalt und des Zusammentreffens unterschiedlicher Menschen werden lässt.“ Genau das wäre das Haus der Verantwortung! Junge Menschen aus aller Welt würden mit der Lebenshilfe
    zusammenarbeiten und es wäre damit natürlich ein Ort der Vielfalt und Weltoffenheit