Holt junge behinderte Menschen endlich raus aus den Heimen!

Willkommen im Dschungel – ein Kommentar

Pflegewohnheim
Marianne Karner

Medien (allen voran der Kurier) haben in ihrer Berichterstattung und die Volksanwaltschaft im Rahmen ihrer Kommissions- und Berichtstätigkeit immer wieder auf einen eklatanten Missstand hingewiesen: die Fehlunterbringung junger Menschen mit Behinderung (also unter 60 jährige) in Alten- und Pflegeheimen.

Fehlunterbringung als chronifizierter „Normal“zustand

BIZEPS hat das Thema seit dem Bekanntwerden im Sommer 2014 mehrmals aufgegriffen („Wie viele behinderte Menschen müssen in Wiener Geriatriezentren leben“ und „308 Menschen mit Behinderungen unter 60 Jahren in Wiener Pflegewohnhäusern“).

Die Interessenvertretung behinderter Menschen für die Wiener Landesregierung hat in der sog. KAV-Expertenrunde, die damals von der Stadt Wien eilends ins Leben gerufen worden war, wiederholt Kritik geübt und Alternativen eingefordert. Fazit nach rund zwei Jahren: Zwar wurden einige der fehluntergebrachten jungen Menschen in andere „Settings“ verschoben, gleichzeitig kamen aber „neue“ junge, behinderte Menschen nach. Mit dem Ergebnis, dass sich 2016 wiederum rund 300 Männer und Frauen unter 60 Jahren in Wiener Pflegewohnhäusern befanden und noch immer befinden. Über alternative Wohnprojekte wurde gesprochen; auf eine konkrete Umsetzung warten wir noch immer.

Hunderte junge Menschen in ganz Österreich betroffen

Im Ö1 Morgenjournal vom 28. Jänner 2017 bzw. auf ORF.at wiederholt die Volksanwaltschaft einmal mehr ihre bekannte Kritik. Volksanwalt Günther Kräuter: „Sobald wir mit unseren Expertenkommissionen in Alten- und Pflegeheimen junge Menschen antreffen, versuchen wir natürlich sofort eine Lösung zu initiieren, was auch meistens gelingt.

Allerdings ist auch die Datenlage problematisch. Hier gibt es leider kaum verlässliche Statistiken in Österreich.“ Die Volksanwaltschaft schätzt, dass ca. 5 % der Bewohner und Bewohnerinnen in Altersheimen unter 60 Jahre alt sind. In ganz Österreich sind demnach hunderte junge, behinderte Menschen betroffen.

Unheilvolle Verknüpfung von Sachwalterschaft und Heimunterbringung

Stellung zur Kritik der Volksanwaltschaft nimmt auf ORF.at aber auch die Bereichsleiterin „Betreutes Wohnen“ beim Fonds Soziales Wien (FSW), Anita Bauer: Im Rahmen des FSW-„Case-Managements“ hätten 64 Personen den Wunsch geäußert, aus dem Altersheim wegzuziehen. Ein Projekt sei gestartet worden. Und: „Es werden 48 Plätze noch geschaffen in den nächsten ein bis zwei Jahren.

Grundsätzlich hält Anita Bauer fest: „Ich glaube, dass wir ein gutes, adäquates Angebot in der Behindertenhilfe haben. Zur Selbstbestimmung eines Menschen gehört aber auch, dass man sagt, dass man das haben will. Natürlich, unser ‚Case-Management‘ berät, fragt nach, klärt ab und empfiehlt. Schlussendlich muss man die Willensbekundung eines Menschen akzeptieren.“

Dem entgegnet Volksanwalt Dr. Kräuter, dass Selbstbestimmung immer wieder dadurch unmöglich gemacht wird, dass Sachwalterschaften viel zu häufig und zu früh ausgesprochen werden. Für mehr Selbstbestimmung fordert die Volksanwaltschaft neben anderen Wohnkonzepten auch den „Ausbau der persönlichen Assistenz“. Und diese müsse in ganz Österreich einheitlich geregelt werden.

Es geht um Menschenrechte

In dem Standard-Artikel „Volksanwalt: Hunderte Jüngere in Altersheimen fehlplatziert“ vom 27. Jänner 2017 hält Volksanwalt Dr. Kräuter fest: „Seit Inkrafttreten der Behindertenrechtskonvention 2008 sei überdies klar, dass es sich dabei um Menschenrechtsverstöße handle. Die Ursachen seien eindeutig: ‚Geldmangel‘, sagt Kräuter.

Dabei gebe es Berechnungen, dass der Aufwand für passende Betreuungsformen nach erhöhtem Finanzbedarf zu Beginn ‚mittelfristig kostenneutral ist‘.“

Alibi-Lösung „Pflegewohnhaus“

Stolz präsentierte die Ex-Stadträtin für Gesundheit und Soziales, Sonja Wehsely, die Errichtung der einzelnen Pflegewohnhäuser. Und jetzt sind sie da, die Bettenburgen. Und die Verlockung, sie zu nützen, auch wenn es in vielen Fällen der UN-Behindertenrechtskonvention widerspricht, ist groß.

Das zeigt ein aktueller Fall in der WG Steinergasse. BIZEPS hat erst kürzlich über die schweren Vorwürfe gegen diese Einrichtung des Wiener Diakoniewerks berichtet.

Die Einrichtung wird nun endgültig geschlossen (Standard-Artikel vom 27. Jänner 2017). Für die Bewohner und Bewohnerinnen, vorwiegend behinderte Kinder und Jugendliche, mussten Alternativplätze gesucht werden. Auch für eine 20 jährige behinderte Frau. Ihr wurde „zur Überbrückung ein Platz in einem Pflegeheim für Senioren angetragen: eine in Österreich keineswegs unübliche ‚Lösung‘, wie Volksanwalt Günther Kräuter kritisiert.“

Für die junge Frau ist die Sache diesmal gut ausgegangen. „Nach einiger Aufregung konnte die Übersiedlung der jungen Frau ins Altersheim verhindert werden.“

Im Dschungel

Rund 300 junge, behinderte Menschen sind in Wien fehluntergebracht. Und zwar in „Geriatriezentren“, in „Pflegewohnhäusern“ und im Therapiezentrum „Ybbs“ (Überblick). Diese drei Bereiche umfassen nach einer Online-Recherche vom 9. Februar 2017 ganze 3.006 Betten. Es gibt insgesamt 6 Pflegewohnhäuser in Wien.

Die Bettenanzahl liegt zwischen 256 (PWH Meidling) und 348 (PWH Simmering). Auch architektonisch gesehen handelt es sich hier zwar um moderne, aber riesige, abgeschottete „Bettenburgen“ (siehe dazu „Über die Kontinuität von totalen Institutionen“  und „(K)ein Zimmer mit Aussicht“).

Sie bezeichnen sich als PWH für alte und chronisch kranke Menschen. Im Inneren: Krankenhaus-Atmosphäre rund um die Uhr. Nicht alle sind verkehrsgünstig gelegen (aus Bewohner-Sicht). Nicht alle haben eine entsprechende Infrastruktur für externe Tagesaktivitäten (Einkaufsmöglichkeiten, Lokale).

In Wien (wie auch in ganz Österreich) gibt es darüber hinaus auch noch – hier nicht berücksichtigte – „Wohn- und Pflegehäuser privat mit Förderung“ und „Wohn- und Pflegehäuser privat ohne Förderung“ sowie vollbetreute, zum Teil spezialisierte Wohnformen für behinderte Menschen von sogenannten Trägerorganisationen.

Gibt es eigentlich eine Übersicht, eine Gesamtzahl von betroffenen Menschen? Eine Erhebung, wie sie leben müssen und wie sie leben wollen? Welche Perspektiven haben diese Menschen? Ein riesiges Gestrüpp, wo man leicht verloren gehen kann.

Die Zusammenlegung von alten, dementen Menschen und behinderten Menschen hat in ganz Österreich traurige Tradition. Sehr vielen Menschen aus beiden Gruppen werden tagtäglich grundlegende Menschenrechte verwehrt. Sie haben meist keine Möglichkeit einer Beschwerde. Sie haben keine Lobby.

Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich
Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Die Kommentarfunktion für diesen Artikel ist abgeschalten.

5 Kommentare

  • Ich Pflege meine schwer behinderte Tochter schon 35 Jahre ohne fremde Hilfe. Wenn ich einen Tag für mich brauche ist es unmöglich meine Tochter wo unterzubringen. Ein Altersheim ist nicht passend und es hat auch niemand Zeit für sie. Sie bekommt auch in Oberösterreich keine Mindestsicherung oder sonstige Leistungen die es in Wien und anderen Bundesländern gibt nur das Pflegegeld. Ohne ein Einkommen meiner Tochter ist es unmöglich sich Hilfe zu leisten und wenn ich die Pflege nicht mehr machen kann werde ich gezwungen sein mein Kind in ein Heim zu geben weil Pflegekräfte gut 3000 Euro kosten und ich das mit Pflegegeld und meiner kleinen Pension von 650 Euro nach 40 Beitragsjahren nicht bezahlen kann . Ich finde es furchtbar wenn Behinderte die zu Hause gepflegt werden und Erwachsen sind immer noch von den Eltern abhängig sind, weil in Österreich bei den Ärmsten gespart wird.

  • Ich bin auch unter sechzig schwerstbehindert ( Pflegestufe 7 )
    Also ich fühle mich im Altenheim Pudelwohl. Ich werde hier in alen Fälen gefördert und gefordert. Das Pflegepersonal leistet super Arbeit , aso warum sollte ich in einer anderen Einrichtung besser betreut und zufrieden sein. Ich jedenfalls möchte bis zu meinem Tot hier in diesem tollen Heim bleiben.
    Und die Zahl 5 % unter sechzigjährige stimmt mit Sicherheit auch nicht . Ich war in zwei Altenheimen und es waren immer nur 2-3 unter sechzigjährige bei einem Besatz von jeweils 150 Senioren.
    Alsho ob man da irgendjemand einen Gefallen tut bezweifle ich stark.
    Mit freundlichen Grüßen
    Helmut Kurzreiter

  • In Kärnten ist es auch nicht besser. Es wird dort gespart wo der Widerstand am geringsten ist. Bei Menschen mit Behinderungen!!!

  • Mein Name ist Nicolai ich bin blind und lebe in Deutschland in Nordrhein-Westfalen aufgrund dieses Artikels muss ich sagen dass noch sehr viel für behinderte Menschen in Österreich getan werden muss ich denke zum Beispiel an wie sieht es aus mit ambulant betreuten wohnen für behinderte Menschen und ich würde Menschen mit dem Menz um Menschen die eine Behinderung haben versuchen zu dröhnen nicht zusammen in einen Topf zu schmeißen persönliche Assistenz ist schön und gut aber wenn dort kein Umdenken stattfindet ist auch das nicht einfach bei mir ist es so ich habe ambulant Betreutes Wohnen ich gehe einkaufen Mücken ambulant betreuten wohnen Sie gehen mit mir zum Amt beziehungsweise zu Ärzten bin ich dort Unterstützung brauche und dieses Wünsche und insofern würde ich sagen für Menschen mit geistiger psychischer Behinderung Blindheit oder Blindheit in Kombination mit Hirsch Würdigung Erkrankung am als dröhnen Syndrom oder anderen Syndrom in dem das Thema Blindheit vorkommt für diese Personen Gruppen für Mädchen im Rollstuhl und so weiter sehe ich nicht nur persönliche Assistenz im Raum seven auch dringend ambulant Betreutes Wohnen keine Pflegeheime und auch keine Altenheime oder andere Wohnheime in der Kirche wirklicher stationärer Form ich sage ich sage nur meine Meinung nach muss man schauen wie schwer eine Mehrfachbehinderung ist bei den jungen behinderten Menschen hier schweren die mehrfach Behinderung desto eher sollte man überlegen ob der jenige nicht besser in einem Heim untergebracht ist das ist mein Rad auf diesen Artikel ich hoffe ich konnte Ihnen ihrem weiterhelfen und wünsche Ihnen alles Gute

  • Auch für Tirol gibt es mittlerweile Daten. Diese wurden im Zuge einer Anfrage im Tiroler Landtag erhoben und stammen vom Herbst 2015: Es lebten damals insgesamt 8 Personen unter 41 Jahren, 45 Personen zwischen 41 und 50 Jahren sowie 117 Personen zwischen 51 und 59 Jahren in Alters- und Pflegeheimen. Das sind insgesamt 170 Personen unter 60 Jahren. Nach Geschlecht oder anderen individuellen Merkmalen differenzierte Daten liegen nicht vor.

    Vielleicht könnte jemand solche Anfragen auch noch in anderen Bundesländern stellen, damit hier endlich Fakten auf den Tisch kommen.