Huainigg: ORF behandelt behinderte Menschen nicht als gleichwertige Kunden

ÖVP-Behindertensprecher: Neues ORF-Gesetz muss Umsetzung des öffentlich-rechtlichen Auftrages sicherstellen

Franz-Joseph Huainigg
Christian Müller

„Der ORF muss gewährleisten, dass seine zahlenden, gehörlosen oder blinden Kunden das Medium auch konsumieren können“, fordert Dr. Franz-Joseph Huainigg, ÖVP-Sprecher für Menschen mit Behinderungen, anlässlich der heutigen parlamentarischen Enquete zum Thema „Öffentlich-rechtlicher Rundfunk – Medienvielfalt in Österreich“.

Neben der Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrages durch Barrierefreiheit (etwa Untertitelung und Audiodeskription) zählen zu den zentralen Anliegen Huainiggs die Ausstrahlung mindestens einer Nachrichtensendung mit Gebärdensprache, die Vertretung von behinderten Menschen im neuen ORF-Rat (derzeit ORF-Kuratorium), die aktive Förderung der Ausbildung behinderter Menschen zu Journalisten sowie eine Änderung der Programmrichtlinien:

„Hier gehört die Darstellung behinderter Menschen in ihrer jetzigen, oft lebensfernen Form untersagt. Ein neues Bild von behinderten Menschen muss geschaffen werden, das den gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung trägt und dem Selbstbild behinderter Menschen entspricht. Das Thema Behinderung muss in allen Programmbereichen gleichermaßen vermehrt vorkommen. Und der Behindertenvertreter soll die Umsetzung und die Rechtmäßigkeit von Beschwerden überprüfen bzw. neue Impulse setzen“, erklärt der ÖVP-Behindertensprecher.

Huainigg kritisiert die Einstellung des TV-Magazins „Wochenschau“ – der einzigen ORF-Sendung, die in die Österreichische Gebärdensprache übersetzt wurde. Zur Vorgeschichte: Unter Generalintendantin Monika Lindner wurde 1996 die „Wochenschau“ erstmals in Gebärdensprache ausgestrahlt. Dies war ein Novum für den ORF, das er damals stolz verkündete. Damit machte der ORF Woche für Woche gehörlosen Menschen eine Nachrichtensendung in ihrer Sprache zugänglich. Mit 6. September wurde die „Wochenschau“ eingestellt – damit gibt es keine einzige Nachrichtensendung im normalen ORF-Programm, welche in Gebärdensprache gedolmetscht wird.

Dabei würde die tägliche Dolmetschung der „ZiB1“ keine Mehrkosten verursachen. Denn was kaum jemand weiß: Sie wird bereits seit 2004 gedolmetscht ausgestrahlt. Warum dies noch niemandem aufgefallen ist? Die Erklärung ist einfach: Der ORF versteckt dieses Sendeformat auf seinem digitalen Satellitenableger „ORF2 Europe“ und es bleibt daher im „normalen Fernsehen“ unsichtbar. Angesichts der angespannten Finanzsituation ist unverständlich, warum der ORF nicht die barrierefreie „ZiB1“ in ORF2 ausstrahlt.

Eine Gleichbehandlung von Kunden mit Behinderung kann der ORF nicht gewährleisten: Obwohl auch gehörlose Menschen Rundfunkgebühren bezahlen, sind laut letzter EBU-Umfrage nur 25 Prozent (2007) des Gesamtprogramms untertitelt und damit für sie zugänglich, führte Huainigg aus. Man frage sich bei der geringen Untertitelungsquote, wo die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrages bleibt.

Zum Vergleich: Großbritannien und Irland untertiteln bereits seit 2007 hundert Prozent ihres Programms. Schweden und Belgien untertitelten zum gleichen Zeitpunkt 65 Prozent und Frankreich 60 Prozent. Die Schweiz legt Wert auf Qualität: Die gesamte Primetime von 19 bis 22 Uhr soll noch dieses Jahr untertitelt werden. Der WDR hat für 2009 angekündigt, das Untertitelangebot auf 90 Prozent zu verdoppeln. Die ARD untertitelt im derzeitigen deutschen Wahlkampf alle Wahlkampfsendungen und bietet damit gehörlosen Menschen eine wesentliche Möglichkeit, an der Demokratie teilzuhaben.

Auch das Online-Angebot des ORF „orf.at“ ist nicht barrierefrei. Die digitale Informationsplattform entspricht nicht einmal dem untersten Level der Zugänglichkeit für blinde Menschen. Huainigg: „Dieser Missstand ist gerade deshalb untragbar, da blinde Menschen Informationen nicht nur über Radio, sondern vor allem mittels Vorleseprogrammen über das Internet beziehen und der ORF eine zentrale Nachrichtenquelle darstellt.“

Der ORF fordert anlässlich der Diskussion um das neue ORF-Gesetz eine Gebührenrefundierung in Höhe von jährlich 60 Millionen Euro. Das ORF-Gesamtbudget bewegt sich in Richtung eine Milliarde Euro. Dies müsste ausreichen, um den Programm- und öffentlich-rechtlichen Auftrag zu erfüllen. „Sollte der Staat eine Gebührenrefundierung oder regressive Restrukturierungssubvention zugestehen, müsste dies jedenfalls mit der gesetzlichen Verankerung folgender Auflagen verbunden sein: Untertitelung des gesamten Fernsehprogramms, barrierefreies Internetangebot und zehn Prozent Audiodeskriptionshilfen“, fordert Huainigg abschließend.

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