In einem Gastkommentar hat ÖVP-Behindertensprecher Dr. Franz-Joseph Huainigg in der Tageszeitung "Die Presse" zur aktuellen Diskussion ausführlich Stellung genommen.
„Wir leben in einer Gesellschaft in der das Jungsein, die Schönheit und die strahlende Gesundheit als anzustrebendes Ideal täglich vorgezeigt werden“, schreibt Huainigg in der Presse und führt aus: „Die Ansprüche und Anforderungen im Bereich der Betreuung sowie Pflege pflegebedürftiger alter Menschen unterscheiden sich vielfach von jenen der Menschen mit Behinderung.“
Für ihn ist „persönliche Assistenz den Weg, um die notwendige Unterstützung zu gewährleisten“. Der Bund hat daher Assistenz am Arbeitsplatz eingeführt. „Der Alltags- und Freizeitbereich fällt jedoch in die Kompetenz der Bundesländer“, erläutert der Behindertensprecher und hält fest: „Bemühungen, die Bundesländer in diesen Prozess einzubeziehen, haben bisher allerdings nur zu vereinzelten Pilotprojekten geführt.“
Die Bemühungen, ein Recht auf Persönliche Assistenz österreichweit festzuschreiben, sind leider noch nicht erfolgreich gewesen. „Ein Bestreben und Willenserklärungen aller Bundesländer zu einem ganzheitlichen österreichweiten Modell sind allerdings noch in weiter Ferne“, so der Abgeordnete.
Persönlichen Assistenz
Warum für ihn die Ganzheitlichkeit der Persönlichen Assistenz so wichtig ist, erläutert er in einem Beispiel:
„Eine alleinstehende Mutter im Rollstuhl und mit Einschränkungen bei den Armen sollte eine Heimhilfe als Unterstützung bekommen. Nur diese darf sich nach den geltenden Bestimmungen nicht um das Baby kümmern. Die Familienhelferin könnte sich zwar um das Kind kümmern und den Haushalt führen, aber einige Aspekte im Bereich der Pflege nicht wahrnehmen, weil dafür eine diplomierte Krankenschwester notwendig gewesen wäre. Eine diplomierte Krankenschwester darf aber weder Fenster putzen noch kochen. Eine persönliche Assistentin, die von der betroffenen behinderten Mutter angeleitet wird, kann hingegen alle Aufgaben übernehmen, da der behinderte Mensch die Verantwortung nicht abgibt, sondern eben in dieser Art und Weise wahrnimmt.“
Weiterentwicklung des Pflegesystems
Das Pflegesystem muss seiner Meinung nach weiterentwickelt werden. Dazu zählt für ihn die Persönliche Assistenz als ganzheitliche Leistung in allen Lebensbereichen, die Möglichkeit osteuropäische Hilfskräfte offiziell zu engagieren sowie die Weiterentwicklung des Pflegegeldes als Geldleistung.
Gerhard Lichtenauer,
26.08.2006, 14:36
Widerspreche Herrn Dr. Huainigg darin, dass erst die Anzeigen das Pflegedilemma provoziert hätten. Diese sind erst der konsequente und rechtsstaatlich logische (obgleich äußerst ungustiöse und auch abzulehnende) Schritt als Folge von sozial ungerechten Gesetzen und unzureichenden Rahmenbedingungen welche den Parlamenten von Bund und Ländern entstammen. Der Gesetzgeber und nicht die Exekutive kriminalisiert (zu recht oder zu unrecht) und ist verantwortlich für den Pflegenotstand! Alle Parlamentarier in Bund und Ländern, welche aus welchen Motiven auch immer, dieser Entwicklung zu wenig Engagement entgegengesetzt haben oder wider besseres Wissens an den falschen „Rädern gedreht“ haben, sind die Provokateure.
Der von Dr. Huainigg im Presseartikel angesprochene „Unterstützungsfonds für Menschen mit Behinderung“ eröffnet leider erst dann Möglichkeiten der Ersatzpflege, wenn die Hauptpflegeperson(en) an der Erbringung der Pflegeleistung verhindert sind. Was mit diesem Fonds als „Beitrag zur Entlastung der Hauptpflegeperson“ dargestellt wird, ist schlicht eine ohnehin Not-WENDIGE Ersatzmaßnahme wenn es einfach nicht mehr geht bzw. die pflegende(n) Angehörige(n) schon bis zum Letzten ausgequetscht wurden.
Sehr positiv rechne ich Herrn Dr. Huainigg an, dass er es bei der weiteren Aufzählung (Presse-Artikel) von tatsächlichen Verbesserungen in der letzten Legislaturperiode (wahrscheinlich bewusst) unterlassen hat, die letztjährige Erhöhung des Pflegegeldes um 2 % anzuführen, was in vielen anderen Meldungen der Regierungsparteien als Großtat verkauft wird, obwohl dies in den letzten 10 Jahren nur einmalig erfolgte. Darin und auch bei der Aufzählung der Maßnahmen, die noch einer Lösung harren (z.B. Persönliche Assistenz), ist erkennbar, dass Dr. Huainigg ein realistischeres Bild von der Wirklichkeit hat, als manche Regierungskollegen. An den „Rädern zu drehen“ (also nur Feinjustage) wird aber als Auftrag für die nächste Regierung nicht reichen.