Ich wünsche mir …

Wahre Begebenheiten aus dem alltäglichen Leben von Menschen mit Behinderungen und ihre "Wünsche an das Christkind".

Blindlings durch den Schnee
Ulli Krispl

Eine Frau im Rollstuhl steht an einem kalten Adventnachmittag im dichten Gedränge auf einer Haltestelleninsel vor einem Niederflurbus und möchte „einrollen“. Rücksichtslos drängen sich alle Menschen an ihr vorbei in das Innere des Busses. Die Frau schaut ratlos. Da fasst sich zumindest eine aufmerksame PassantIn ein Herz und fragt: „Kann ich Ihnen irgendwie helfen? Und wenn ja, wie?“ Die Frau im Rollstuhl meint: „Ja, Sie können mir helfen; irgendwie sollte man den Fahrer verständigen, dass ich die Klapprampe brauche, um rein zu kommen, denn der sieht mich bei diesem Gedränge nicht und ich schaff es nicht, mich da durchzukämpfen.“ Nun, diesmal hatte die Frau Glück. Sie musste nicht einfach zuschauen, wie ihr der geheizte Bus davon fährt, nur weil sie sich gegen die Übermacht der rücksichtslosen VerkehrsteilnehmerInnen nicht durchsetzen konnte. Diesmal muss sie nicht wie schon so oft in klirrender Kälte eine halbe Stunde warten bis der nächste Niederflurbus mit Klapprampe kommt – ist doch nur jeder dritte Bus auf dieser Linie ein solcher – und diesmal bleibt ihr vielleicht eine saftige Erkältung erspart.

Wunsch der Frau im Rollstuhl: „Ich wünsche mir mehr Aufmerksamkeit, Respekt und Rücksicht der Menschen; es ist nicht genug, bei irgendeiner Spendenaktion Geld zu spenden. Wer zur richtigen Zeit und am richtigen Ort mit einem einfachen aber benötigten Handgriff unkompliziert hilft, der bewirkt weit mehr als jemand, der bloß spendet und ansonsten mit „den Behinderten“ nichts zu tun haben will, ja sie sogar links liegen lässt. Respekt, Aufmerksamkeit und Rücksichtnahme gegenüber Menschen mit Behinderungen gehört für mich zu einem chancengleichen und gleichberechtigten Leben von Menschen mit Behinderungen in unserer Gesellschaft.“

Ein Man mit einer Sehbehinderung arbeitet seit 13 Jahren in einem Betrieb und versteht sich mit den KollegInnen sehr gut. Doch seine Sehbehinderung verschlechtert sich und er beschließt, sich einen Blindenführhund anzuschaffen, um weiterhin mobil sein zu können. Vor allem für den Weg zur Arbeit wäre der Hund absolut wichtig, denn derzeit fährt er, weil er sich aufgrund der Sehverschlechterung nicht allein im öffentlichen Verkehr zu bewegen traut, täglich mit dem Taxi in die Arbeit. Der Mann trägt seine Absicht dem Chef vor, der meint, dass er das lieber bleiben lassen solle, da es einige KollegInnen gäbe, die dagegen wären, dass er mit einem solchen Hund in die Arbeit käme; außerdem wäre es ja auch bislang ohne Hund gegangen. Der Mann wendet sich an die Personalvertretung, doch auch die sagt ihm kühl lächelnd, dass er sich das gut überlegen solle, denn das brächte nur Ärger mit den Kollegen und das stehe sich ja nicht dafür. Der Mann schlägt dem Chef vor, dass die Hundetrainerin und die Mobilitätstrainerin einmal in die Dienststelle kommen könnten, um zu zeigen, wie so ein Blindenführhund eigentlich arbeitet und wie das hier funktionieren könnte; doch der Chef lehnt das Angebot unvermittelt ab und meint, dass das die Widerstände der KollegInnen nur noch verschärfen würde und das wollen wir doch alle nicht, oder?

Wunsch des Mannes mit Sehbehinderung: „Ich wünsche mir, dass man als behinderter Arbeitskollege nicht nur dann akzeptiert und gern gesehen ist, wenn man sich still verhält und das mit sich geschehen lässt, was die KollegInnen wollen, sondern auch respektiert und fair behandelt wird, wenn man versucht, sich sein Leben bedürfnisgerechter zu gestalten. Ein selbstbestimmtes und bedürfnisorientiertes Leben ermöglicht mir erst die chancengleiche Teilhabe am Gesellschaftsleben. Ich wünsche mir ein Recht auf ein selbstbestimmtes und bedürfnisorientiertes Leben.“

An einem dieser trüben Winterabende sendet Licht ins Dunkel einen Fernsehspot, in dem ein Jugendlicher mit Lernbehinderung gezeigt wird, der gerade in einer absoluten Tiefphase ist; er weint, sabbert, schreit … Wenngleich es eher selten vorkommt, dass eben dieser Jugendliche ein derartiges Tief hat, hat die Regie doch entschieden, gerade diese Szene zu senden, denn das schlägt beim Seher auf´s Gemüt, bewirkt Tränen und Mitleid und motiviert dazu, etwas zu spenden. Und das ist ja der Sinn der ganzen Aktion, oder?

Wunsch des Jugendlichen mit Lernbehinderung: „Ich möchte von den Menschen so gesehen werden, wie ich das will und nicht wie das irgendwer sonst will. Ich will einfach auch „normal“ gesehen werden dürfen. Eigentlich will ich überhaupt nicht so im Fernsehen gezeigt werden wie irgend ein Ding. Ich will, dass die Leute auf das hören, was ich will!“

Eine blinde Frau hat Rechtswissenschaften studiert und wünscht sich jetzt nichts sehnlicher, als Richterin zu werden. Sie absolviert das Gerichtsjahr sehr erfolgreich und bewirbt sich dann um die Übernahme in den Richterausbildungsdienst. Doch leider erhält sie vom Justizministerium die Antwort, dass das nicht ginge, denn sie sei ja blind und könne sich deshalb kein Bild von den Parteien machen und auch keine Ortsaugenscheine durchführen. Außerdem müsse man als RichterIn viel lesen und in Gesetzestexten und der Judikatur nachlesen, was sie ja auch nicht könne. Alle Argumente, die die blinde JuristIn dagegen vorbringt verhallen ungehört und jedes Angebot, zu zeigen, wie das doch funktionieren kann, wird einfach ausgeschlagen. Unter dem Motto „Da könnte ja jeder kommen“ werden die falschen Vorurteile verfestigt und kultiviert.

Wunsch einer blinden Juristin: „Ich wünsche mir, dass Menschen mit Behinderungen ein durchsetzbares Recht auf gleichberechtigte Teilhabe am Gesellschaftsleben bekommen. Ich wünsche mir, dass ihre Argumente gehört und entsprechend geprüft werden müssen. Ich wünsche mir mehr Respekt und weniger überhebliches Gönner- oder Nichtgönnertum.“

Ein junger Mann mit einer psychischen Krankheit appelliert an seinen Chef, ihm extreme Stresssituationen im Job nach Möglichkeit zu ersparen, da seine psychische Erkrankung sonst wieder akut wird. Der Chef meint nur lapidar: „So krank schauen Sie aber gar nicht aus. Sie kriegen das schon hin.“ Nun, natürlich berücksichtigt der Chef die Bitte seines Mitarbeiters nicht. Es tritt wieder eine Akutsituation ein und der Mann muss für einige Wochen in den Krankenstand gehen. Als er wieder zur Arbeit kommt bemerkt er, dass er kaum mehr Informationen bekommt, kaum mehr Arbeit zugeteilt erhält und ihn auch die KollegInnen total meiden und nur das Nötigste mit ihm reden. Zufällig hört der Mann ein Gespräch zweier KollegInnen mit, bei dem er mitbekommt, dass man ihn für einen Tachinierer hält, der nur auf eine Pensionierung hinarbeitet.

Wunsch des Mannes mit einer psychischen Krankheit: „Ich wünsche mir, dass die Menschen auch respektieren, dass es Formen von Behinderungen gibt, die man nicht sofort sieht und bemerkt. Dennoch resultieren daraus ganz spezielle Bedürfnisse. Ich wünsche mir, dass auch Menschen mit psychischen Erkrankungen ein durchsetzbares Recht auf Gleichstellung und Schutz vor Diskriminierung bekommen, um sich gegen diese Herabwürdigungen und Diskriminierungen wirklich wehren zu können.“

Na, da hat das Christkind aber eine Menge zu tun und das war nur ein kleiner Einblick in das alltägliche Leben und den umfangreichen Wunschzettel von Menschen mit Behinderungen. Vielleicht bringt das Christkind ja tatsächlich ein wirkungsvolles Behindertengleichstellungsgesetz und einen Wandel der Einstellung und Haltung gegenüber Menschen mit Behinderungen in der Gesellschaft.

Wünschen wird man sich´s ja noch dürfen, oder?

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