„Mit einer Behinderung ist das wie bei einem Witz: Wenn du was erklären musst, ist er nicht gut.“ David Stockenreitner hat ein besonderes Bedürfnis: Er will auf der Bühne stehen und Leute zum Lachen bringen. Stand-up-Comedian ist er nicht trotz seiner Behinderung geworden. Sondern weil er witzig ist.
„Zugabe!“, schreit jemand aus dem Publikum, als David Stockenreitner die Bühne im Kabarett am Alsergrund betritt. „Danke, schön war’s mit euch“, kontert der Comedian und erntet den ersten Lacher des Abends.
Down heißt das Programm, mit dem er derzeit auf verschiedenen Wiener Kleinkunstbühnen zu sehen ist. Und das ist durchaus doppeldeutig gemeint. „Down“ im Sinne von „nicht wirklich motiviert“ ist Stockenreitner selber oft, wie halt jeder andere auch. (Weitere Infos: https://davidstockenreitner.at)
Aber da sind auch noch die „Super-Models“ der Behindertenszene, Menschen mit Down Syndrom, die bei jeder Licht ins Dunkel Gala ins Rampenlicht gestellt werden. Gegen die zu konkurrieren ist für ihn mit seiner unaussprechlichen Behinderung schlichtweg unmöglich.
Ein Konkurrenzkampf, den er einfach nicht gewinnen kann: „Ich habe keine Chance gegen Menschen mit Down-Syndrom, rein aufmerksamkeitstechnisch. Weil meine Behinderung hat keinen kurzen knackigen Begriff, ist nicht social media tauglich. Meine Behinderung ist ein ganzer Satz, den vergisst man sofort wieder. Da kannst du Keinen Hashtag draus machen.“
Versagen und wieder aufstehen
Im Programm DOWN geht es unter anderem ums Versagen und wieder Aufstehen: „Aber auch darum, dass es einmal ganz entspannend sein kann, wenn man am Boden liegt. Und dann steht man nach Gutdünken wieder auf“, beschreibt Stockenreitner seine Philosophie.
Stockenreitner hat von Geburt an eine Behinderung: Sein rechter Arm und sein linkes Bein sind eingeschränkt. Deshalb steckt er die rechte Hand auf der Bühne gerne in die Hosentasche, was auch gleich ziemlich cool aussieht. Seine Behinderung spielt auch eine Rolle im Programm. Da geht es unter anderem um den künstlichen Konkurrenzkampf um Aufmerksamkeit zwischen behinderten Menschen und Flüchtlingen: „So jemand mit einer Wischi-Waschi-Behinderung wie ich, der hat ja gar keine Chance gegen einen richtigen Flüchtling.“
David Stockenreitner ist Kärtner, mit dem berüchtigten Humor hat er aber nichts am Hut: „Ich versuch nicht, daran zu denken.“ Mit 16 ist er zum ersten Mal bei einem Talenteabend aufgetreten, in Kärnten, und hat einen Kabarettisten imitiert. Ein geisteswissenschaftliches Studium hat ihn vor 7 Jahren nach Wien verschlagen. Und immerhin hat er es im Fach Theater-, Film- und Medienwissenschaft schon zum Bachelor gebracht.
Seine Erlebnisse auf der Uni und im Studentenheim finden auch ihren Weg in sein Programm. Herrlich die Schilderung seines Lebens in einer Mini-Studentenwohnung, in der er am Bett sitzend in den Nudeltopf am Herd weinen konnte!
Jede Minute zählt
Wien ist zu seiner neuen Heimat geworden, obwohl das Publikum hier seiner Meinung nach schwer zu unterhalten und zum Lachen zu bringen ist. Warum? – „Das weiß ich nicht, manche haben eine Aversion dagegen, dass jemand kommt und versucht sie zu unterhalten. Sie haben etwas gegen den VERSUCH. Wenn es jemand schafft, dann ist es ihnen eh recht“, meint Stockenreitner. Insofern ist Wien eine harte, aber auch eine gute Schule: If you make it there, you can make it anywhere!
Stand-Up oder Comedian? Wie bezeichnet er sich selbst? „Im Notfall ist es egal“, meint er trocken. Stockenreitner spielt eher selten solo, häufiger gemeinsam mit anderen in einem Stand-Up-Rahmen. Auch gern auf Englisch. So hat er eigentlich auch begonnen. Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Standup und Kabarett?
„Im Kabarett wird man oft gefragt: Wieviele Solos hast du schon geschrieben?“, erklärt Stockenreitner. „Und beim Standup hört man: Wieviele Minuten hast du schon?“ Ein paar gute Minuten zusammenzubringen, das kann dauern.
Wenn man ihn nach Vorbildern fragt, fallen zwei große Namen: „Monty Python taugt mir schon, weil es einfach so absurd ist. Und Josef Hader. Der ist super.“
Vor kurzem hat er zum ersten Mal mit Hader gemeinsam gespielt: „Ich hab fast hyperventiliert am Anfang“. Das war für ihn ein großer Schritt in Richtung, selbst mal vom Kabarett leben zu können. Die schnelle Pointe ist nicht sein Ding, oder wie er es erklärt: „Ich mag Sachen, wo vor der Pointe ein ewig langer Aufbau ist und die Pointe dann gar nicht so groß ist, und du dann denkst, auf das hab ich jetzt 4 Minuten gewartet?“ Derzeit schreibt er an einem Duo-Projekt. Premiere ist im Jänner im Kabarett Niedermaier.
Voll behindert
Um die Barrierefreiheit ist es in Wiens Kabarettlokalen noch nicht sonderlich gut bestellt. Viele sind klassische Kellerlokale und nur über viele Treppen erreichbar. Wobei: „Barrierefreiheit bedeutet für jeden etwas Anderes. Richtig arg wird es, wenn man mit jemandem redet, der im elektrischen Rollstuhl sitzt. Das sind Barrieren, an die man selber gar nicht denkt, zum Beispiel ich mit meiner Gehbehinderung“, meint Stockenreitner.
Was diverse Begriffe angeht, mit denen behinderte Menschen bedacht werden, ist er leidenschaftslos. „Handicap ist voll okay, irgendwie muss man ja Leute bezeichnen“, meint er dazu. „Mir ist eigentlich alles recht. Mir tut das nicht so weh.“ Mit einer Ausnahme: „Besondere Bedürfnisse“. – „Das gefällt mir als Wort nicht, das hört sich dumm an. Menschen mit besonderen Bedürfnissen – das ist so lang, das ist ja fast Zeitverschwendung. Die Zeit hab ich nicht“, sagt Stockenreitner.
Lustig findet er es, wenn jemand sagt, das ist voll behindert: „Wenn das jemand in meiner Gegenwart sagt und dann: Oh, Entschuldigung! – Da sag ich dann immer: Ist schon ok. So ganz gönnerhaft.“
Mit Licht ins Dunkel hat er so seine Probleme. „Da werden Behinderungen ausgeschlachtet. Sie sollten Behinderte anders darstellen. Die sind nicht alle sabbernd im elektrischen Rollstuhl“,
beklagt er das Bild, das hier in der Vergangenheit vermittelt wurde. Aber es ist halt medienwirksam und spendenwirksam! „Wenn sich da jemand mit meiner Behinderung hinstellt, dann denken die Leute: Na und, dann geht er halt ein bissl schwer. Bei Licht ins Dunkel Werbungen brauchst du Menschen, wo die Leute denken: Bist du deppert, ist der behindert!“
Witze über behinderte Menschen
Darf man eigentlich über Witze über behinderte Menschen lachen? „Es kommt immer darauf an, wer sagt was zu wem“, ist Stockenreitners Antwort. „Wenn ich einen selbstironischen Witz über mich mache, will ich schon, dass die Leute lachen. Sie trauen sich nur oft nicht. Das kann man dann ansprechen. Selbstironie ist das Sicherste, was du machen kannst.“
Bei Behinderten-Veranstaltungen tritt er nicht mehr auf. Das war immer furchtbar, erzählt er. „Die Veranstalter buchen mich aus dem falschen Grund. So nach dem Motto: Wir wollen den Leuten zeigen, dass man trotz Behinderung auch was machen kann. Und dann denk ich mir: Ja, aber vielleicht nicht genau das!“, ärgert sich Stockenreitner. „Das, was ich mache, mache ich nicht, trotzdem ich behindert bin, sondern weil ich lustig bin!“
Ist das Leben eine Komödie oder eine Tragödie? Man kann in allem etwas Komisches und etwas Tragisches sehen. Es gehört zum Job eines Komikers, Sachen umzudrehen, meint Stockenreitner: „Das Leben ist nie nur lustig, und nie nur traurig. Wenn man ganz viel Glück hat, hält es sich die Waage.“
Der Artikel wurde von Doris Becker-Machreich geschrieben und ist im VALID Magazin erschienen.
Elfriede Albers
18.01.2022, 18:46
Hallo David! Du bist ein super-cooler Typ! Ich gestatte mir, dich zu duzen, weil ich „ur“alt bin 😂. Ich würde dich sehr gern kennen lernen, weil ich glaube, dass wir uns gegenseitig gut unterhalten könnten. Such mich auf FB, wenn du magst. Unter meinem Namen (Wien) od. auch unter Bastlerei Butterfly. Du wirst dann schnell merken, dass wir vielleicht manches gemeinsam haben. Liebe Grüße aus der Leopoldstadt.
Kurt
29.04.2020, 16:35
Mit Licht ins Dunkel hat er so seine Probleme. „Da werden Behinderungen ausgeschlachtet. Sie sollten Behinderte anders darstellen. Die sind nicht alle sabbernd im elektrischen Rollstuhl“,
Ich hoffe, dass obiger Satz von Herrn Stockenreitner einfach unglücklich gewählt wurde. Ich bin durchaus seiner Meinung, dass man die Darstellung von Menschen mit Behinderungen bei Licht ins Dunkel kritisch betrachten muss. So wie er es ausdrückt wirkt es aber vor allem abwertend gegenüber Menschen mit hohem und höchstem Hilfebedarf. Gerade wenn ein Künstler mit Sprache umgeht sollte man sich eine etwas bewusstere Wortwahl erwarten dürfen.