Im „Westen“ geht die Sonne auf

Ein Zeitungsständer mit verschiedenen Tageszeitungen. Bild, Frankfurter Allgemein, Neue Zürcher Zeitung und andere.

Wir wissen nicht, wann die Kollegen von „Der Westen“ ihre Weihnachtsfeier hatten, aber als wir die Überschrift „Für Filomena geht jeden Morgen die Sonne auf“ lasen, kam uns der Gedanke, so etwas kann einem nur mit Restalkohol im Blut einfallen. Denn – und jetzt kommt eine gute Nachricht – die Sonne geht für alle Menschen jeden Morgen auf – nicht nur für Filomena Maria Frutuso Santos.

Nichts ohne uns über uns

Filomena Maria Frutuso Santos ist gehörlos und hat nach neun Jahren Arbeitslosigkeit wieder einen Arbeitsplatz gefunden. Darüber handelt der Bericht und er lässt eigentlich fast alle Beteiligten dieser Erfolgsgeschichte zu Wort kommen: Den Ehemann der Frau, den Arbeitgeber, der sie eingestellt hat und auch die Arbeitsvermittlung. Hat man da nicht jemand vergessen? Achja, die Frau selbst hätte man vielleicht auch mal zu Wort kommen lassen können. Aber nein, sie ist ja „taubstumm“, wie „Der Westen“ schreibt. Das scheint für den Autor Grund genug zu sein, ein langes Porträt über eine Frau zu schreiben, aber sie selbst gar nicht zu interviewen. Man lässt lieber alle anderen über sie sprechen.

Das ist nicht nur journalistisch völlig inakzeptabel – wer würde sonst ein Porträt über jemanden schreiben, der zwar anwesend ist, aber diesen nicht zu Wort kommen lassen? – sondern einfach der Frau gegenüber nicht in Ordnung. Man hätte einfach einen Gebärdensprachdolmetscher zum Gespräch hinzu bitten können, vielleicht hätte der Mann oder jemand von der Arbeitsvermittlung übersetzen können. Sie gar nicht zu Wort kommen zu lassen, aber alle anderen über sie reden lassen – es geht kaum bevormundender – im wahrsten Sinne des Wortes.

„Taubstumm“ ist überholt

Vielleicht hätte sie ihm dann auch gesagt, dass gehörlose Menschen das Wort „taubstumm“ mehrheitlich ablehnen. Die meisten von ihnen können sprechen und sind keineswegs „stumm“. Ihre Stimme hört sich vielleicht ungewohnt an oder sie mögen einfach nicht gerne sprechen, aber „taubstumm“ ist einfach ein völlig überholter Begriff – das steht sogar im Duden.

Vornamen

Und noch etwas irritierte uns. Warum wird eine erwachsene Frau in dem Beitrag fast durchgehend mit ihrem Vornamen betitelt – sogar in der Überschrift? Ja, ihr Nachname ist etwas lang, aber es gehört nun einmal zum guten Ton, erwachsene Menschen mit Nachnamen anzusprechen und über sie zu schreiben, auch wenn sie eine Behinderung haben.

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