„Im Zweifel für das Restriktive, Besonnene“

Der Standard: Kanzler Schüssel umreißt im STANDARD-Interview seinen Zugang zu Bioethik und Fristenlösung

Wolfgang Schüssel
HOPI-Media

Kanzler Schüssel im „Der Standard“ Interview:
DER STANDARD: Ihr deutscher Amtskollege Gerhard Schröder hat einen Bioethikrat eingesetzt. Man wirft ihm nun vor, er suche nur nach einem Vorwand für die Lockerung des strengen Embryonenschutzgesetzes. Auch Sie haben eine Bioethikkommission ins Leben gerufen, deren Vorsitzender Johannes Huber die Freigabe der Embryonenforschung fordert. Ist das der Beginn einer Initiative, die österreichischen Gesetze zu liberalisieren?

Schüssel: Zunächst ist es der Beginn einer längst fälligen Diskussion. Es gibt in fast allen europäischen Ländern – Gott sei Dank – eine massive Diskussion darüber, was man darf und was nicht. Es gibt auch in fast allen Ländern eine Judikatur zur Frage nach dem Beginn des Lebens, in Österreich interessanterweise nicht. Ich meine, dass wir den Start einer öffentlichen Debatte in Österreich brauchen und uns auch der Mühe der Kontroverse unterziehen sollten: Was darf man, was darf man nicht, was kann man, soll man aber dennoch nicht verwenden?

DER STANDARD: Was erwarten Sie sich von der Kommission?

Schüssel: Sie sollte den Stand des Wissens widerspiegeln und damit eine Diskussion ermöglichen, die am Ende zu einem gesellschaftlichen Konsens führen kann. Denn auf einem solchen Konsens sollten am Ende ja gesetzliche Regelungen basieren. Ich ziele nicht darauf ab, mithilfe einer solchen Diskussion einen Schuhlöffel zu haben, um alles zu ermöglichen, was Gott verboten hat – im Doppelsinn des Wortes. Wir dürfen ja auch nicht vergessen, dass es nicht nur um den Beginn des Lebens geht – so schmerzhaft schon diese Debatte allein ist -, sondern auch um die Schlussphase, also etwa um das Euthanasiethema.

DER STANDARD: Sinnvoll erscheint die Debatte aber nur aus der Perspektive der Liberalisierung: Restriktiver als mit dem deutschen Embryonenschutzgesetz oder dem österreichischen Fortpflanznungsmedizingesetz kann man das Thema ohnehin nicht handhaben.

Schüssel: Ja und nein. Natürlich kommt immer ein Impuls von jenen, denen die gegenwärtige Regelung zu restriktiv ist. Ich würde aber auch die andere Frage stellen, so heikel sie ist: Ob wir nicht in manchen Bereichen viel zu liberal geworden sind. Wenn Sie etwa die in Österreich absolut zulässige Abtreibung bis zur Geburt im Fall von Behinderungen hernehmen, dann ist das eine Debatte, die in Österreich nie geführt wurde. Sie beginnt jetzt auf Betreiben der Behindertenverbände und des Sozialministeriums, und ich denke, man sollte sie ohne große Aufgeregtheit und vor allem ohne parteipolitische Scheuklappen zulassen.

DER STANDARD: Heißt das, dass Sie die Fristenlösung infrage stellen?

Schüssel: Nein, das heißt nur, dass eine Bioethikdebatte nicht nur zu einer Liberalisierung – etwa bei der Aufbewahrungsfrist von Embryonen bei künstlicher Befruchtung – führen kann, sondern auch zu Hinterfragungen, die früher gefehlt haben. Es geht mir also nicht unbedingt darum, etwas aufzumachen, sondern darum, etwas bewusst zu machen. Gerhard Schröder hat diese Debatte mit der Entdeckung des Feuers verglichen: Am Feuer kann man sich wärmen, und man kann sich verbrennen.

DER STANDARD: Sie als Chef der ÖVP werden in dieser Frage immer auch mit der Argumentation der Kirchen konfrontiert. Der ÖVP-Gesundheitssprecher hat sich, entgegen früheren ÖVP-Wortmeldungen, positiv zur Freigabe der Embryonenforschung geäußert. Sehen Sie da einen Konflikt auf sich zukommen?

Schüssel: Im Gegenteil. Die Debatte kann dazu führen, dass die existenziellen Grundfragen – wann beginnt das Leben, wozu dient das Leben, was ist Leben? – wieder in den Mittelpunkt rücken. Noch einmal: Es geht nicht in erster Linie um eine Liberalisierung, diese Debatte kann auch dazu dienen, dass man im gesellschaftlichen Konsens schärfere Grenzziehungen vornimmt.

DER STANDARDVerfassungsrichter haben hier eindeutig Position bezogen: Es beginnt mit dem Zeitpunkt der Befruchtung.

Schüssel: Ja, das ist interessant. Die Deutschen sagen, es beginnt mit dem Zeitpunkt der Befruchtung, die britische Judikatur sagt – deswegen auch die 14 Tage, während derer in Großbritannien an Embryonen geforscht werden darf -, es beginnt mit dem Zeitpunkt der Einnistung. Bei uns gibt es gar keine Judikatur, es gibt nur gewisse Wertvorstellungen. Offensichtlich sollten wir auch in der Rechtsentwicklung manches nachholen. Wir müssen uns hier dazu zwingen, das zu diskutieren, was anderswo selbstverständlicher Stand der Debatte ist.

DER STANDARD: Sie hatten am vergangenen Dienstag in Ihrer Rede gemeint, die Bioethikkommission würde innerhalb einer Woche stehen. Tut sie das?

Schüssel: Ja, wir haben darauf geachtet, dass es ein ausgewogenes Verhältnis zwischen medizinischen Fachleuten und Ethikspezialisten gibt, wir haben die Namen sorgfältig ausgesucht, und jetzt müssen wir noch jeden Einzelnen fragen, ob er auch bereit ist mitzumachen.

DER STANDARD: Es gab Kritik, als Johannes Huber gleich einen Vorstoß zur Gesetzesliberalisierung unternommen hat. Man sagt, es gehe nicht an, dass der Vorsitzende einer solchen Kommission, der noch dazu ein persönliches Interesse an einer bestimmten Entwicklung hat, die Kommission präjudiziert.

Schüssel: Gut, aber der designierte Vorsitzende einer solchen Kommission kann ja nichts erzwingen. Er sitzt einer Gruppe von Wissenschaftern vor, die sich in diesen Dingen ja mit Sicherheit nicht von jemandem etwas vorschreiben lassen. Es ist außerdem eine Frage der Zeitfolge: Man ist Vorsitzender auf eine bestimmte Zeit, ein, zwei Jahre, dann kommt ein anderer nach. Ich stehe im Übrigen zur Auswahl des Vorsitzenden, denn Professor Huber verfügt – als ausgebildeter Theologe und Mediziner – über eine enorme Breite.

DER STANDARD: Sie betonen wohl nicht zufällig die Rolle Hubers als Theologe. Handelt es sich bei der Bioethik für Sie um eine Glaubensfrage?

Schüssel: Viele politische Fragen sind – vielleicht sogar heute wieder verstärkt – Glaubensfragen. Wir bemerken, dass die Berechtigung des Lebens dann infrage gestellt wird, wenn es nicht ein „volles Leben“ ist. Die – etwa von Robert Spaemann vertretene – Gegenposition, in der das „Potenzial“, die „Individualität“ oder die „Gattungssolidarität“ beschworen werden, wird da mit einer Nonchalance weggewischt, die beachtlich ist.

DER STANDARD: In diesen Fragen bleibt uns Österreichern nichts übrig, als in Ermangelung einer eigenen die deutsche Debatte zu zitieren. Warum?

Schüssel: Weil bei uns die intellektuelle Debatte, das Streiten und Ringen um Grundsätze, etwas ist, das man nicht gerne annimmt. Wir sind sehr stark auf unser derzeitiges Wohlbefinden konzentriert. Alles, was uns dabei irritiert – und diese Dinge sind irritierend, sie irritieren auch mich sehr stark -, schieben wir beiseite. Ich würde mir wünschen, dass die Debatten darüber wesentlich härter und engagierter geführt werden als bisher.

DER STANDARD: Die österreichischen Versäumnisse waren offenbar auch ein Segen. Wir haben kaum jemanden, der eine gesetzliche Liberalisierung direkt zu Geld machen könnte.

Schüssel: Ich meine, dass die Anteile an der Biotechnologie, die ökonomisch interessant sind, ohnehin nicht in die heiklen Lebensfragen reichen. Und auch in Bezug auf die Forschung ist eine der Thesen der Wissenschafter bei uns am AKH, dass die Embryonenforschung in Zukunft nicht das Entscheidende sein wird, weil in der Forschung an adulten Stammzellen mehr drin sei.

DER STANDARD: Ist das nicht erst wieder eine Umgehung?

Schüssel: Faktum ist offenbar, dass man im Medizinischen viel mehr machen könnte, ohne diese heiklen Grundfragen anzurühren. Wenn das so ist, dann sollte man es auch gesetzlich festschreiben. Die Frage lautet: Was soll ich zulassen, um Positives zu erreichen? Wo gibt es eine Grenzziehung, die ich sehen muss? Um mich im Zweifel eher für das Restriktive, Besonnene zu entscheiden. Das ist meine Grundlinie.

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