„In Würde leben, in Würde sterben“

Diskussion von Standard und Radio Wien zum Thema aktive Sterbehilfe

Sterbehilfe
BilderBox.com

Die folgende Diskussion ist im „Der Standard“ erschienen:
„Euthanasie“ ist ein Thema, das bewegt, seit in den Niederlanden ein Gesetz verabschiedet wurde, das Ärzten, die aktive Sterbehilfe leisten, Straffreiheit gewährt. In Österreich ist ein solches Gesetz nicht in Diskussion, was, wie Diskussionsleiter Michael Fleischhacker einleitend bemerkt, die Chance birgt, „die Kernfragen zum Thema zu klären, ohne etwas verteidigen oder bekämpfen zu müssen“.

Diese Kernfragen lauten: Soll man die Autonomie des Menschen in den letzten Momenten seines Lebens einschränken, indem man einem Willen zu sterben nicht stattgibt? Besteht die akute Gefahr eines „ethischen Dammbruchs“, der das – etwa in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) festgeschriebene – absolute Tötungsverbot relativiert und verwischt? Wie ist „Beihilfe zum Selbstmord“ mit dem hippokratischen Eid vereinbar? Und: Welche Grundrechte – Tötungsverbot gegen Privatsphäre etwa – geraten hier in Konflikt?

Der Wiener Allgemeinmediziner Reinhard Dörflinger kommt von der empirischen Seite: „Meine erste Reaktion auf diese Einladung war zu sagen, das betrifft mich nicht – was ziemlich genau der österreichischen Situation entspricht: Niemals war ich im Laufe meiner Ausbildung mit Euthanasie konfrontiert. Doch in der Praxis ist die Sterbehilfe sehr wohl ein Problem.“

NS-Vergangenheit
Internetrecherchen fördern – in deutschsprachigen Suchmaschinen – zunächst beim Thema „Euthanasie“ nur Material im Zusammenhang mit den Verbrechen der NS-Zeit zutage. Englischsprachiges Material über die Situation in den Niederlanden ergibt folgendes Bild: Von 5000 Anfragen um aktive Sterbehilfe kamen 80 Prozent von Patienten mit Krebs im Endstadium, von denen jedoch nur zehn Prozent Schmerz als wichtigsten Beweggrund für den Wunsch zu sterben angaben. „Für viel mehr von ihnen stand das Vermeiden von Erniedrigung an oberster Stelle“, sagt Dörflinger – „eine bessere Schmerztherapie oder angemessenere Palliativmedizin scheinen also nicht die Lösung zu sein.“ Seine Interpretation: „Menschen, die noch vor zehn Jahren wegen mangelnder medizinischer Möglichkeiten gestorben wären, werden jetzt am Leben erhalten, auch wenn das Leben in sehr reduzierter Form erfolgt.“

Autonomie
Für den Philosophen Peter Kampits steht „die Autonomie desjenigen, um den es geht, im Vordergrund: Denn er allein erlebt die Probleme, die Schwierigkeit, die Einsamkeit des Sterbens. Seit der Aufklärung plädieren wir für Autonomie und Würde, warum sollen also beim letzten Akt andere Bedingungen herrschen als im Leben davor?“

Das Argument, hier würden Grundrechte verletzt, kann Kampits nicht teilen. „Das Gegenteil ist der Fall: Man bewahrt die Selbstbestimmung. Denn Autonomie ist doch nicht Willkür, sondern Selbst-Gesetzgebung: Kein Arzt könnte mir gegen meinen Willen eine Spritze geben.“ Applaus im Publikum.

Für den evangelischen Theologen Ulrich Körtner „widerspricht diese Auslegung von Autonomie dem Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention“. Zwar anerkennten die Kirchen den Autonomiebegriff, „nur soll dieser die Tötung durch Dritte ausschließen“, sagt Körntner. Zudem hätten sich in den Niederlanden Trends entwickelt, „die nicht wünschenswert sind: Das Problem der nicht freiwilligen Tötung stand dort von Anfang an auf der Tagesordnung, man plant bereits eine eigene Kommission dafür.“

Der Rechtsanwalt Alfred Noll plädiert für „eine rechtliche Grundlage für Euthanasie“. Für ihn sind Ängste, dass das absolute Tötungsverbot dadurch relativiert und aufgeweicht würde, „gesetzgebererischer Nonsens“, daran werde nicht gedacht: „Tötung ist rechtswidrig, und dabei soll es bleiben“, sagt Noll, die Frage sei, ob bei Abwägung aller Rechtsgüter Tötung in gewissen Umständen „straffrei“ sein kann – wie das bereits bei Notwehr der Fall ist.

Für Noll ist Artikel 8 der EMRK, der das „Recht auf Privatheit“ regelt, wichtiger: „Wir können abwägen, wie wir leben und wie wir sterben möchten. In diesem Zusammenhang ist Artikel 2 juristisch ein Blödsinn, weil das Recht des Einzelnen, zu leben, wie er will, durch ein bevormundendes Lebensrecht abgewürgt wird“, sagt Noll.

Der Konflikt, der bei aktiver Sterbehilfe für einen an den hippokratischen Eid gebundenen Arzt entsteht, hinterlässt, wie Reinhard Dörflinger bekräftigt, bei ihm und seinen Kollegen vor allem „Ratlosigkeit: Unter dem Damoklesschwert des Gesetzes, das Euthanasie verbietet, gibt es ein bleiernes Tabu. Anstatt sich mit dem Thema aktiv auseinander zu setzen, sagten die Ärzte: ‚Geben wir halt ein bissel mehr Morphium.'“

Welcher Druck?
Der Druck in Richtung „sozialverträgliches Frühableben“, der durch ein solches Gesetz noch wachsen könnte, beeindruckt den Ethiker Kampits nicht sehr. Er findet nämlich „den gesetzlichen Druck, weiterleben zu müssen, noch grauenhafter“. Den hippokratischen Eid hält er für eine Art Relikt aus einer anderen Zeit, zumal er ja „immer wieder verändert wurde“. Nicht gern zitiert, aber praktiziert werde hingegen das im Corpus Hippocratum ebenfalls vorhandene Wort: „Vom Sterbenden halte dich fern.“

Der soziokulturelle Hintergrund der niederländischen Regelung wurde durch einen Beitrag aus dem Publikum erhellt: „Der Hausarzt spielt eine unglaubliche Rolle in der niederländischen Familie“, sagt der Mittfünfziger, „ist man krank, dann ist klar, dass der Arzt ins Haus kommt.“ Die Leute hätten außerdem „gelernt, zu sagen, was sie denken, auch dem Bischof sagen sie, was sie denken: Sie haben gelernt, mit ihrem Glauben umzugehen, es ist nicht so, dass sie alles glauben. Das Volk hat ganz einfach gefragt: Dürfen wir denn nicht sterben?“

Freiraum
Eine Dame um die dreißig merkt an, dass jeder Autonomiebegriff Rahmenbedingungen habe wie Einflüsse, Druck und andere Abhängigkeiten: „Das Recht auf Autonomie allein widerspricht der Realität.“ Peter Kampits reagiert leicht ungehalten: „Man steht immer unter Druck – wenn man heiratet oder einen Beruf wählt, man ist von Freunden oder Verwandten beeinflusst – oder vom Geld: Das ist eine Frage der Faktizität, in der sich der menschliche Freiraum bewegt.“

Die grüne Behindertensprecherin Theresia Haidlmayr meldet sich zu „sozialverträglichem Frühableben“ zu Wort: „Ich kenne Behinderte, die, als sie noch nicht behindert waren, in diesem Fall gestorben werden wollten, die jetzt aber froh sind, dass sie nie unter dem Druck gestanden sind, sich gegen ihr Leben entscheiden zu müssen“, berichtet sie: „Und dieser Druck hat mit der Diskussion um zu teure Gesundheitssysteme oder zu hohes Pflegegeld bereits begonnen. Ein Sterben in Würde ist nicht gewährleistet, indem man das Problem entsorgt.“


Wörtlich:
„Niemals war ich im Laufe meiner Ausbildung mit Euthanasie konfrontiert. Doch in der Praxis ist die Sterbehilfe sehr wohl ein Problem. (…) Unter dem Damoklesschwert eines Gesetzes, das Euthanasie verbietet, gibt es ein bleiernes Tabu: Anstatt sich mit dem Thema aktiv auseinander zu setzen, sagen die Ärzte lieber: ,Geben wir halt ein bissel mehr Morphium.'“ Reinhard Dörflinger

„Die Autonomie desjenigen, um den es geht, steht im Vordergrund: Denn der oder die Betroffene allein erlebt die Probleme, die Schwierigkeit, die Einsamkeit des Sterbens. Seit der Aufklärung plädieren wir in allen Menschenrechtserklärungen für Autonomie und Würde, warum sollen also beim letzten Akt andere Bedingungen herrschen als beim Leben?“ Peter Kampits

„Die Kirche anerkennt den Autonomiegebegriff, nur soll dieser die Tötung durch Dritte ausschließen . . . Das Euthanasiegesetz greift zu kurz, denn das Problem ist, dass sich bereits Trends entwickeln, die nicht wünschenswert sind: Das Problem der nicht freiwilligen Tötung stand nämlich von Anfang an auf der Tagesordnung.“ Ulrich Körtner

„Tötung ist rechtswidrig und dabei soll es bleiben (…) Zentral ist jedoch das Recht auf Privatheit, also das Recht abzuwägen, wie wir leben und wie wir sterben möchten. Das Recht des Einzelnen, zu leben wie er will, soll nicht durch ein bevormundendes Lebensrecht abgewürgt werden. (…) In Würde zu leben heißt auch, in Würde zu sterben, und je mehr Anstrengungen wir unternehmen, würdevoll zu leben, desto aktueller wird die Sterbehilfe-Diskussion.“ Alfred Noll


WISSEN
Ärztlich unterstützter Selbstmord: Bereitstellung oder Verschreibung eines Medikamentes in letaler Dosierung, um dem Patienten den Selbstmord zu ermöglichen. Einige US-Bundesstaaten erlauben diese Vorgangsweise, in Österreich fällt sie als Beihilfe zum Selbstmord unter § 77 StGB (siehe unten).

Passive Sterbehilfe: Nichtfortsetzung von lebenserhaltenden Behandlungen auf Wunsch des Patienten. Dieser Wunsch wird entweder direkt artikuliert oder er liegt – etwa im Fall von dauernder Bewusstlosigkeit – in Form eines Patiententestamentes vor und wird in Absprache mit einem/einer bevollmächtigten Person realisiert. In Österreich wird passive Sterbehilfe nicht unter Strafe gestellt, zugleich hat aber der Patient nicht die Möglichkeit, seinen Wunsch durchzusetzen, wenn sich der Arzt auf seine Behandlungspflicht beruft.

Aktive Sterbehilfe: Der Arzt setzt auf Wunsch des Patienten einen Behandlungsschritt, der direkt zum Tod des Patienten führt. Außer in den Niederlanden existiert dazu weltweit keine gesetzliche Regelung.


RECHT
§ 77 StGB: Tötung auf Verlangen: Wer einen anderen auf dessen ernstliches und eindringliches Verlangen tötet, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.

§ 78 StGB: Mitwirkung am Selbstmord: Wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten, oder ihm dazu Hilfe leistet, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.

Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich
Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich