Diskriminierend ist es ...
Für viele behinderte Menschen sind Erfahrungen mit Diskriminierung, gegen die sie sich oft erst gar nicht zu wehren wagen, alltäglich. Wir bringen hier einige alltägliche Beispiele von Situationen, in denen behinderte Menschen benachteiligt und diskriminiert werden:
- Wenn einer Frau, deren Gatte einen Gehirnschlag erlitten hat, vom behandelnden Arzt im Krankenhaus bei der Erläuterung der Erkrankung erklärt wird, sie habe Pech gehabt, daß ihr Mann nicht gestorben ist, da er jetzt ein "Pflegefall" wird.
- Wenn behinderte Menschen mangels behindertengerechter Verkehrsmittel auf Sonderfahrtendienste (manchmal aus Rettungsautos bestehend) angewiesen sind, während die "öffentliche Hand" recht günstige Tarife und lange Betriebszeiten der öffentlichen Verkehrsmittel finanziert. Diese Fahrtendienste stehen - abhängig von der jeweiligen Gemeinde - nur für einige wenige Fahrten im Monat zur Verfügung, die Fahrtwünsche müssen oft schon mehrere Tage im voraus bekanntgegeben werden.
- Wenn behinderte Menschen immer wieder des Lokales verwiesen oder nicht bedient werden, weil sie "nicht in das Lokal passen" oder "die anderen Gäste" angeblich keine behinderten Menschen sehen wollen.
- Wenn immer noch Gemeindeämter, öffentliche Dienststellen, Arztpraxen und Ambulatorien, Wahllokale usw. in für RollstuhlfahrerInnen unzugänglichen Gebäuden angesiedelt sind.
- Wenn HIV-positive Menschen sozial ausgeschlossen werden oder man ihnen nach Bekanntwerden ihrer Erkrankung den Arbeitsplatz, die Wohnung usw. aus Angst vor einer Infektion kündigt.
- Wenn es nach wie vor viele Schulen gibt, die nicht barrierefrei errichtet oder adaptiert worden sind. Wenn nun ein Kind mit Rollstuhl eine solche Schule besucht, bleibt es dem Engagement von Eltern oder LehrerInnen überlassen, wer das Kind über die Stufen befördert. Bei den Kosten für notwendige Adaptierungen erklären sich überdies die verschiedenen Behörden allesamt für unzuständig.
- Wenn der Hackinger Steg - eine Brücke über den Wienfluß - mit einem Aufwand von 30 Millionen Schilling umgebaut wurde und wieder nicht behindertengerecht ist. Trotzdem erhielt diese Brücke einen Preis für gute Architektur!
- Wenn an öffentlichen Orten geraucht wird. Dies wird für AsthmatikerInnen und anderen Menschen mit Atemproblemen zu einer Qual und kann für Menschen mit einem Herzinfarkt lebensbedrohend sein.
- Wenn in Österreich noch immer geistig behinderte Frauen ohne ihre Zustimmung sterilisiert werden. Schon seit Jahren wird angekündigt, daß diese immer noch gesetzlich gedeckte Handlungsweise unter Strafe gestellt wird.
- Wenn nach wie vor Geschäfte, Restaurants und Kulturbetriebe eröffnet werden, die zum Teil sogar öffentliche Gelder erhalten, aber keine Bestimmungen befolgen müssen, die einen barrierefreien Zugang obligatorisch vorschreiben. Einrichtungen, die Gelder der öffentlichen Hand erhalten, müssen für alle Menschen benützbar sein.
- Wenn Hotels zwar Informationen über Kinderspielplätze, Sportmöglichkeiten oder die Ruhelage geben, jedoch keinerlei Angaben über Türbreiten, Anzahl und Höhe von Stufen oder über die Zugänglichkeit der Toiletten machen.
- Wenn das Bild von behinderten Menschen nicht unwesentlich geprägt wird durch Sendungen wie "Licht ins Dunkel" oder "Vera", die medial "Schicksale" reißerisch und voyeuristisch präsentieren, und behinderte Menschen auf ihre Behinderung reduzieren.
- Wenn ein Elektro-Rollstuhl für einen körperlich schwer behinderten Menschen abgelehnt wird, mit dem Hinweis, daß aufgrund der Pflegegeldstufe 7 keine medizinische Maßnahme der Rehabilitation mehr gewährt wird. Rehabilitationsmaßnahmen werden in Österreich noch immer sehr unterschiedlich finanziert. Bei gleicher Behinderung macht die Ursache den Unterschied: Arbeitsunfall, Unfall in der Freizeit, Erkrankung oder Behinderung ab der Geburt. Vier Kategorien, die das zukünftige Leben mit Behinderung entscheidend beeinflussen können!
- Wenn sich die Schulverwaltung noch immer für eine kleine Gruppe besonders schwer behinderter Kinder gänzlich unverantwortlich erklärt und diese SchülerInnen als schulunfähig einstuft. Auch wenn der Schulbesuch nicht die richtige Lösung ist, hat die Schulverwaltung auch diesen Kindern verantwortlich zu einer ihrer Lebenslage adäquaten Bildung und Betreuung außerhalb der Schule zu verhelfen.
- Wenn ein vermutlich behindertes Kind - im Unterschied zu einem nichtbehinderten, bei dem die Frist mit 12 Wochen begrenzt ist - bis zur Geburt straffrei abgetrieben werden darf. Diese Differenzierung stellt eine klare Wertung des Lebens dar.
- Wenn RollstuhlfahrerInnen heute teilweise noch immer die verpflichtende Mitnahme einer Begleitperson vorgeschrieben wird (z. B. bei den Wiener Linien und bei der Benützung des Donauturms in Wien). Es wird ihnen die Fähigkeit abgesprochen zu entscheiden, ob sie eine Begleitperson benötigen oder nicht.
- Wenn die Badner Bahn, die subventioniert wird, auch heute noch Waggons ankauft, die für RollstuhlfahrerInnen nicht zugänglich sind. Die Serviceleistungen der ÖBB für RollstuhlfahrerInnen sind gänzlich unzufriedenstellend. So fährt zwischen der größten und der zweitgrößten Stadt Österreichs (Wien und Graz) pro Tag nur ein einziger Zug, der für RollstuhlfahrerInnen benützbar ist.
- Wenn nach derzeitiger Rechtslage behinderte Menschen von der Absolvierung des Lehramtes für Volks- und Sonderschulen ausgeschlossen sind. Diese Rechtslage ist diskriminierend und in keiner pädagogisch-fachlichen Diskussion inhaltlich zu rechtfertigen: Die jetzige Rechtslage steht im Widerspruch mit der Tatsache, daß Personen, die nach ihrer Lehramtsprüfung behindert wurden (durch Krankheit oder Unfall) in den Schuldienst übernommen werden können.
- Wenn blinde Menschen, die ein Buch lesen wollen und dieses zu diesem Zweck einscannen und im Computer speichern müssen, sich mit dieser Vorgangsweise strafbar machen, da das Urheberrecht jegliche Vervielfältigung eines Werkes verbietet.
- Wenn der ORF im Fernsehen die Nachrichten und Informationssendungen nur teilweise mit Untertiteln versieht und der Einsatz von Gebärdensprache kaum Anwendung findet. Die gesetzlich vorgeschriebene Informationspflicht des ORF wird dadurch nicht ausreichend wahrgenommen.
- Wenn die Arbeitslosigkeit unter behinderten Menschen um ein Vielfaches höher ist als bei Nichtbehinderten, weil u. a. öffentliche Einrichtungen (Ministerien, Länder, Gemeinden, usw.) der gesetzlich vorgeschriebenen Einstellungspflicht von behinderten Menschen nicht nachkommen. Auch private Betriebe kaufen sich lieber von der Pflicht behinderte Menschen anzustellen frei, da der dafür festgesetzte Betrag pro nicht eingestellter Person nur rund 2.000 Schilling beträgt.
- Wenn zwar viel Geld in neue Ampeln investiert wird, aber die für blinde Menschen notwendigen akustischen Signalanlagen, die erst das Ampelsystem für ALLE Menschen selbständig benutzbar machen, trotzdem fast völlig fehlen.
- Wenn die Gebärdensprache der gehörlosen Menschen in Österreich noch immer nicht als eigenständige Sprache anerkannt ist. Daher wird die Gebärdensprache bei der Kommunikation mit Gehörlosen auf Ämtern, bei ÄrztInnen, in Bildungseinrichtungen, auf öffentlichen Veranstaltungen usw. nicht angeboten. Als Konsequenz daraus gibt es auch kaum GebärdendolmetscherInnen.
- Wenn die Aussonderung von behinderten Menschen in Sonderkindergärten, Sonderschulen, Geschützten Werkstätten und Reha-Einrichtungen noch immer eine weitgehend unangefochtene Praxis ist.
- Wenn in Österreich auf die Bedürfnisse von sehbehinderten und blinden Menschen bei der Gestaltung von Internet-Seiten nicht Rücksicht genommen wird und ihnen daher der Zugang zu einer immer stärker an Bedeutung gewinnenden Informationsquelle - dem Internet - verwehrt wird.
- Wenn in Wien RollstuhlfahrerInnen ohne ersichtlichen Grund von der Teilnahme am alljährlich stattfindenden Stadtmarathon ausgeschlossen werden.
- Wenn noch immer Gesetze und Verordnungen gelten, die Stufen am Eingang zu Geschäften und öffentlichen Gebäuden (Ämter, Post usw.) und nicht abgesenkte Gehsteige zulassen.
- Wenn behinderte Menschen aus Mangel an Pflegegeld und ambulanten Diensten oft nicht durchsetzen können, mit Persönlicher Assistenz zu Hause zu leben und daher permanent gegen eine drohende Heimeinweisung ankämpfen müssen.
- Wenn Tageszeitungen, Imformationsbroschüren, ganze Bibliotheken und fast sämtliche Veröffentlichungen der Behörden für blinde und sehbehinderte Menschen aufgrund der fehlenden spezifischen Aufbereitung nicht zugänglich sind. In unserer Informationsgesellschaft ist dies ein vehementer Nachteil, der letztlich auch erhebliche Auswirkungen auf die Ausbildung, Berufschancen und auf die Möglichkeit der Teilnahme am Leben in der Gesellschaft und der politischen Mitgestaltung hat.
- Wenn in der Öffentlichkeit (Geschäfte, Restaurants, etc.) anstelle eines behinderten Menschen dessen Begleitperson angesprochen wird.
- Wenn psychisch behinderte Menschen, die aufgrund ihrer Situation arbeitsunfähig sind von ihrer Umwelt als faul und arbeitsscheu angesehen werden.
Diskriminierung trifft den einzelnen behinderten Menschen oftmals wie ein Keulenschlag - die Betroffenen sind ihr völlig schutz- und rechtlos ausgeliefert. Gleichzeitig wird an den nachfolgenden Beispielen der allgemeingültige - nicht immer durch eine gesetzliche Regelung abwendbare - Charakter einer Diskriminierung deutlich sichtbar.
- Familie Huber hat für ihr behindertes Neugeborenes ein Bündel an Versicherungen (Kranken-, Unfall- ...) abgeschlossen, die sie für ihre anderen Kinder auch hatte. Als die Versicherung entdeckte, daß das Kind behindert ist, wurde die Familie rüde darauf hingewiesen, daß es nicht möglich und erwünscht sei, solche Versicherungen für behinderte Menschen abzuschließen.
- Susanne ist 20 Jahre alt, vollblind und im fünften Monat schwanger. Sie sitzt im vollen Wartezimmer der gynäkologischen Ambulanz. Ein Arzt fragt sie vor versammeltem Wartezimmer: "Haben Sie überhaupt schon eine Fruchtwasseruntersuchung machen lassen?" Susanne hat keine Fruchtwasseruntersuchung machen lassen, ist aber eingeschüchtert und sagt sicherheitshalber "Ja". Darauf der Arzt: "Dann ist es ja gut, so hätte man gleich etwas unternehmen können." Mit "etwas unternehmen" war eindeutig eine Abtreibung gemeint.
- Durch sein Aussehen war Herbert oft Diskriminierungen ausgesetzt. "Ich bin in der Straßenbahn vorne eingestiegen. Da saß gleich bei der Türe eine alte Frau. Plötzlich schimpft die Frau mit mir und sagt, daß ich sicher nicht mehr leben würde, wenn es den Hitler noch gäbe. Der hätte īsauberī gemacht. Dann hat sie ihren Stock genommen und wollte mich schlagen. Da bin ich weiter nach hinten gegangen."
- Auf die Frage, was für ihn Diskriminierung bedeutet, antwortete Karl: "Des is, wanns di fir deppat anschauīn und des a gīspiern lassīn!"
- Manche Menschen bemitleiden uns auf der Straße oder lachen uns aus." klagt Hans. "Ich will aber kein Mitleid, sondern ernst genommen werden. Andere Leute schauen Behinderte von der Seite an. Es ist nicht schön, wenn man so angeschaut oder sogar verspottet wird. Es ist nicht in Ordnung, daß ich so bemitleidet werde. Ich wünsche mir, ernst genommen zu werden."
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