Resolution für ein Gleichstellungsgesetz

Österreich wurde regelmäßig - ob in den Menschenrechtsberichten der USA oder jenen der Europäischen Union - wegen Diskriminierungen gerügt. Zudem verfügte Österreich 1993 noch nicht über eine Verfassungsbestimmung, die die Diskriminierung behinderter Menschen untersagte.

Die US-amerikanische Behindertenbewegung hatte bereits 1990 ein Anti-Diskriminierungsgesetz erkämpft. Seither gibt es von behinderten Menschen in ganz Europa immer wieder Aktionen und Versuche, gleichwertige gesetzliche Regelungen zu erreichen.

Unter dem Eindruck der Berichte aus dem Ausland wurde uns von der autonomen Behindertenbewegung (dem Vorläufer der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung) bewußt, daß in diesem wichtigen Bereich nun auch in Österreich etwas weitergehen müsse: Mit Spannung hatten wir die Entwicklung in den USA beobachtet, die mit der Beschlußfassung des ADA (Americans with Disabilities Act) ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden hatte. Behinderte Menschen mit USA-Reiseerfahrungen wollten nach ihrer Rückkehr nach Österreich am liebsten gleich wieder umkehren. Aber auch die Anstrengungen der Bewegung in Deutschland oder in Großbritannien motivierten uns sehr.

Nachdem die Behindertenbewegung die Pflegevorsorge - mit allen Wenn und Aber - nun endlich erkämpft hatte (sie war am 1. Juli 1993 in Kraft getreten), konnte sie ihre Energien anderen substantiellen Bereichen zuwenden. Und so entstand beim Treffen der autonomen Behinderteninitiativen und der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung vom 1. bis 3. Oktober 1993 in Abtsdorf/OÖ die Idee, den Kampf um rechtliche Gleichstellung zu forcieren.

Zu diesem Zweck verfaßten wir eine Resolution. Als Aufhänger nahmen wir die prekäre und diskriminierende Situation bei der Mobilität behinderter Menschen. Wir nannten sie: "Bus und Bahn für alle - Resolution für ein Gleichstellungsgesetz".

Wir verlangten darin ein Gleichstellungs- oder Anti-Diskriminierungsgesetz bzw. die verfassungsrechtliche Gleichstellung behinderter Menschen in allen Lebenslagen, wie: öffentlicher Raum, Wohnen, Ausbildung, Arbeit usw. und nicht nur im Bereich Verkehr - wie der Name vermuten läßt. Wenn es um Menschenrechte und Gleichberechtigung geht, dürfen behinderte Menschen aus keinem Lebensbereich ausgeschlossen werden und sie müssen ihre Rechte gerichtlich einfordern und durchsetzen können.

Um dieser Resolution mehr Nachdruck zu verleihen, beschlossen wir, eine österreichweite Unterschriftenaktion zu initiieren. Der Mobilisierungseffekt war beeindruckend und schon bald schlossen sich auch viele andere Organisationen der Aktion an.

Übergabe der Petition für ein Gleichstellungsgesetz, Bild: BIZEPS
Im Mai 1994 (5. Mai - Europaweiter Protesttag zur Gleichstellung behinderter Menschen) wurde mit dem Sammeln von Unterschriften begonnen. Bis zum 20. April 1995 gelang es allen Beteiligten 48.789 Unterschriften zu sammeln, die an diesem Tag dem Parlamentspräsidenten als Petition überreicht wurden. Damit war die parlamentarische Arbeit eröffnet. Im zuständigen Petitionsausschuß wurde vereinbart, daß am 14. November 1995 ein Hearing zur Petition stattfinden solle. Dort hätten wir den Abgeordneten unsere Forderungen darlegen können.

Doch dazu kam es nicht mehr, weil am 13. Oktober 1995 das Parlament Neuwahlen beschloß, wodurch alle Petitionen verfielen und das Hearing somit hinfällig war! Nach den Wahlen konnten wir mit Hilfe einer Initiative der Grünen erreichen, daß am 6. März 1996 alle Parteien die Petition wieder einbrachten. Dadurch konnte die parlamentarische Arbeit wieder begonnen werden.


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