Stellungnahmen

Unnötig zu erwähnen, daß Menschenrechts- und Behindertenorganisationen einhellig in ihren Stellungnahmen für die Verfassungsänderung in der beschlossenen Form eingetreten sind.

Interessant sind aber die Stellungnahmen jener, die sich kritisch zur Aufnahme eines Diskriminierungsverbots und einer Staatszielbestimmung ausgesprochen haben. Dabei wird das mögliche Veränderungspotential sichtbar, da angenommen werden kann, daß die begutachtenden Stellen sehr wohl um die Bedeutung der Verfassungsänderung wußten.

Das Kostenargument wird vordringlich vom Amt der Tiroler Landesregierung vorgebracht, wenn es heißt: "Ein generell so verstandenes Diskriminierungsverbot würde extrem hohe Kosten verursachen und wegen des überzogenen Schutzes (es macht wenig Sinn, losgelöst von einem konkreten Bedarf abstrakt für alle Lebensbereiche unzählige gesetzliche Regelungen zu schaffen, um alle denkmöglichen Benachteiligungen Behinderter von vornherein auszuschließen) wohl auf breite Ablehnung stoßen und damit die Situation für behinderte Menschen verschlechtern."

"Die Aufnahme einer entsprechenden Staatsziel-Bestimmung würde nur Probleme schaffen und behinderten Menschen keinerlei konkrete Hilfe bieten." Hier ist natürlich zu hinterfragen, wenn - wie behauptet - eine Staatszielbestimmung keinerlei Hilfe bietet, wo denn dann die Probleme entstehen würden.

Interessant ist auch folgender Satz: "Eine allfällige Benachteiligung behinderter Menschen ist nicht das Ergebnis diskriminierender gesetzlicher Regelungen oder einer willkürlich agierenden Verwaltung, sondern hat ihre Ursachen meist in tatsächlichen Gegebenheiten."

In der Stellungnahme der Wr. Landesregierung wird festgestellt, daß eine Verfassungsänderung "lediglich Ausdruck der Tagespolitik" und "eine Erweiterung des Art. 7 B-VG keinesfalls erforderlich" ist.

Begründet wird dies mit eventuellen Folgen: "Damit würden aber dem Staat (und hier vor allem den Gemeinden, z.B. in baulichen Angelegenheiten, vgl. U-Bahnbau, Straßenbau) zusätzliche und kostenintensive Handlungsverpflichtungen auferlegt werden, und außerdem bestünde eine nicht näher vorgegebene und daher von der Judikatur ausformbare Überwachungs- und Eingreifverpflichtung des Staates in zahlreichen Lebensbereichen."

Immer dasselbe, Bild: M. Pammesberger
Abschlägig urteilte auch der Unabhängige Verwaltungssenat Burgenland, der schrieb: "Es ist daher nicht erforderlich, aus tagespolitischen Erwägungen noch weitere Gruppen von Menschen im Art. 7 B-VG zu verankern."

Richtungsweisend ist dagegen das Institut für öffentliches Recht an der Uni Graz, das auf die Problematik des Wirkens der Verfassungsänderung auf das Verhältnis zu Privaten (Drittwirkung) einging. "Problematisch ist die weitere Aussage der Begründung, daß dem neuen Behinderten-Diskriminierungsverbot Drittwirkung zukommen soll. Diese Vorstellung findet in der vorgeschlagenen Textierung keinen Niederschlag. Eine unmittelbare Drittwirkung wäre auch wegen der potentiell weitreichenden Auswirkungen auf die Privatautonomie nicht wünschenswert. Der Gedanke bedürfte jedenfalls erst einer einfachgesetzlichen Umsetzung." Dieser Gedanke klingt kompliziert, meint aber eigentlich nur: Benötigt wird zusätzlich ein Gleichstellungsgesetz.

Ähnlich argumentiert auch die Kammer der Wirtschaftstreuhänder: "Damit diese Staatsziel-Bestimmung nicht eine rein programmatische bleibt, müßten subjektive Rechte daran geknüpft werden, welche auch durchsetzbar sein müssen. Das heißt, daß der Staat alle Ausgleichsmaßnahmen entweder selbst finanzieren oder andere dazu verpflichten müßte. Werden andere hiezu verpflichtet, hat dies zur Folge, daß wiederum diese in ihren Rechten beschnitten werden." Konkret wird in der Stellungnahme auch ausgeführt: "Als Folgekosten seien nur beispielsweise genannt: Behindertengerechte Zugänge im gesamten öffentlichen und auch privaten Bereich (Rampen, Aufzüge, Wohnungsbau, usw.)"

Eine glatte Fehleinschätzung stellte die Stellungnahme des Bundesministeriums für Justiz dar, in der festgehalten wurde: "Auch durch einfachgesetzliche Vorschriften sind Behinderte nicht benachteiligt; jedenfalls gilt dies für die im Wirkungsbereich des Bundesministeriums für Justiz geltenden Regelungen für behinderte Menschen."

Wie die Ergebnisse der "Arbeitsgruppe zur Überprüfung der Rechtsordnung hinsichtlich behindertendiskriminierender Bestimmungen" im Bundeskanzleramt zeigten, finden sich gerade in diesem Bereich einige Gesetzesstellen, die unter dem Deckmantel der Schutzbestimmung behinderte Menschen im Alltag wesentlich einschränken (z. B. Trauzeugenregelung, Notariatszwang) oder das Lebensrecht behinderter Menschen werten (Regelung des Schwangerschaftsabbruchs).

"Unter der Annahme einer im weitesten Sinn undifferenzierten Verpflichtung zur Gleichbehandlung behinderter und nichtbehinderter Menschen würden sich für die Gebietskörperschaften (und auch die Privatrechtsträger) finanzielle Folgen ungeahnten Ausmaßes ergeben, die vermutlich die Grenze der Finanzierbarkeit übersteigen würden." stellte das Amt der Niederösterreichischen Landesregierung fest.

"Auch von Bausachverständigen eingeholte erste Informationen ergaben, daß eine uneingeschränkte Gleichstellungsverpflichtung finanzielle Folgen ungeahnten Ausmaßes hätte, wie etwa durch die dann notwendige Umgestaltung der vorhandenen baulichen Einrichtungen", wurde weiters ausgeführt.

Der Verfassungsdienst im Bundeskanzleramt meinte zu den allfälligen Auswirkungen einer Verfassungsänderung: "Dies könnte aber letztlich bedeuten, daß behinderte Menschen mit nichtbehinderten Menschen in allen diesen Bereichen tatsächlich gleichgestellt werden müssen, etwa was die Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes mit öffentlichen Verkehrsmitteln (behindertengerechte Ausstattung von Verkehrsmitteln) oder die Zugänglichkeit von Behörden (behindertengerechte Gestaltung von Gebäuden) anlangt."

Wir setzen große Hoffnung in die Staatszielbestimmung, weil sie den Staat zum Handeln auffordert. Um wirklich "die Gleichbehandlung ... in allen Bereichen des täglichen Lebens" zu erreichen, bedarf es eines umfassenden Gleichstellungsgesetzes mit Sanktionsmöglichkeiten.


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