Unsichtbare Bürger

Auch die Europäische Kommission stellte 1994 in ihrem Weißbuch zur Sozialpolitik fest, daß die Aufnahme einer Nicht-Diskriminierungsklausel bei der kommenden Erweiterung der Verträge erwogen werden sollte.

In dem anläßlich des Europäischen Behindertentages 1995 veröffentlichten Bericht "Unsichtbare Bürger", geschrieben von Menschenrechts- und BehindertenanwältInnen, wurde der Status behinderter Menschen in den EU-Verträgen aus rechtlicher Sicht untersucht. Das Dokument kam zu dem niederschmetternden Ergebnis, daß Menschen mit Behinderungen in den Verträgen mit keinem Wort erwähnt wurden - also unsichtbare BürgerInnen sind.

Die in dem Bericht enthaltenen Fallbeispiele zeigen u.a. auf, daß

Behinderte Menschen werden sowohl ignoriert als auch diskriminiert, wenn die EU ihre Gesetzgebung harmonisiert: EU-Vorschläge bezüglich Aufzüge, Busse, Währungsharmonisierung oder Führerscheine hätten als Entwurf deutlich diskriminierende Auswirkungen auf behinderte Menschen gehabt.

So enthielt der Entwurf einer Direktive über Busse keine Regelung über die Zugänglichkeit für behinderte EU-BürgerInnen. Eine im Bericht veröffentlichte Untersuchung kommt zu dem Schluß, daß behinderte ArbeitnehmerInnen durch die Institutionen der EU diskriminiert werden:

Es existieren keine Richtlinien für die Förderung der beruflichen Integration, es existiert keine Quotenregelung und auch keine Kompensation bei der Einstellung in Bezug auf das Alter. Zudem kommt noch eine sehr weitgehende Diskriminierung durch die große Anzahl von baulichen Barrieren in jenen Gebäuden, die Institutionen der EU beherbergen, hinzu.

Der Bericht schließt mit der dringenden Empfehlung, im Rahmen der geplanten Veränderungen der EU-Verträge eine Nicht-Diskriminierungsklausel sowie eine Bestimmung hinzuzufügen, welche die Gemeinschaft verpflichtet, den Bedürfnissen behinderter Menschen - bei Aktionen im Rahmen des Vertrages - Rechnung zu tragen.

Nunmehr galt es, in allen Mitgliedsstaaten möglichst breite Kampagnen auf nationaler Ebene durchzuführen, um diese Empfehlungen in die Realität umsetzen zu können. Auf nationaler Ebene deswegen, weil jede einzelne Regierung die Zustimmung zu allen Vertragsänderungen geben muß. Im zuständigen österreichischen Außenministerium herrschte allerdings Desinteresse und Unverständnis für unsere Forderungen.

Diese Haltung setzte sich beim Chef des Ministeriums, Außenminister und Vizekanzler Schüssel, sowie bei Bundeskanzler Klima fort: So beantworteten sie etwa parlamentarische Anfragen ausweichend und versahen ihre Argumente oftmals mit falschen Informationen.

Dieses ignorante Verhalten veranlaßte die Selbstbestimmt-Leben-Initiativen Österreichs (SLIÖ) eine Resolution zu verfassen, in der eine Nicht-Diskriminierungsklausel gefordert wurde, sowie eine Bestimmung, daß die Bedürfnisse behinderter Menschen berücksichtigt werden müssen.

Diese Resolution wurde auch von vielen anderen Behindertenorganisationen übernommen und unterstützt.


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