Herr B. ist Geschäftsführer der Lebenshilfe Österreich, kann gut Englisch und ist in der internationalen Fachwelt der Behindertenarbeit gut vernetzt. Ein Kommentar.

Herr B. moderiert gerne. So hat Herr B. auch die Fachtagung „Personenzentriertes Denken, Planen und Handeln“ nicht nur moderiert, sondern auch als Veranstalter organisiert.
Zu dieser Fachtagung, am 13. September 2011 kamen viele ExpertInnen, behindert und nicht-behindert, im Rollstuhl und ohne Rollstuhl.
Neben Fachvorträgen sollten sechs Workshops angeboten werden. De facto fanden aber nur fünf statt. Der Workshop „Vom Versager zum Träumer“, angeboten von MitarbeiterInnen des Zentrums für Kompetenzen, konnte nicht stattfinden, da vom Veranstalter kein angemessener Raum zur Verfügung gestellt werden konnte.
Obwohl die WorkshopleiterInnen im Vorfeld mehrmals darauf hingewiesen haben, dass zwei der ReferentInnen eine ausgeprägte Sprachbehinderung haben (einer davon arbeitet mit Übersetzung), und aufgrund dessen keinen Nebengeräusche akzeptiert werden können, bemühte sich der Veranstalter nicht, dem gerecht zu werden.
Wenn der Veranstalter sich ernsthaft bemüht hätte, wäre ein Raum im Haus verfügbar gewesen. Dieser wurde nämlich in letzter Sekunde vor Ort, als die WorkshopleiterInnen bereits abgesagt hatten, angeboten. Eine Adaptierung dieses Raumes hätte ohnehin den Großteil der Workshopzeit in Anspruch genommen.
Offenbar versteht Herr B. unter Inklusion nicht, die geeigneten Rahmenbedingungen zu schaffen, damit alle gleichberechtigt arbeiten können, unabhängig davon wie viele TeilnehmerInnen für die Workshops angemeldet sind.
Inklusion beinhaltet Ausgrenzung
Für Herrn B. bedeutet Inklusion vielmehr das Recht auf Ausgrenzung. Während der Fachtagung gab es natürlich Kaffeepausen und eine Mittagspause.
Obwohl der Veranstalter wusste, dass Menschen mit und ohne Rollstuhl an der Tagung teilnehmen, ließ er im Foyer Stehtische aufstellen. Nicht aber ohne an die RollstuhlfahrerInnen zu denken: Für sie war ein eigens ausgeschilderter Tisch vorgesehen.
Herr B. wurde mit dieser Situation konfrontiert und erkannte den Umstand nicht als Diskriminierung. Im Gegenteil: Er befand es als völlig normal und meinte lapidar, dies sei nicht anders möglich gewesen und fügte noch hinzu, Inklusion sei das Recht auf Verschiedenheit.
Zur Erklärung: Stehtische sind dann für RollstuhlfahrerInnen geeignet, wenn sie eine Vorliebe dafür haben, in Tischplatten zu beißen. Auch Personen im Rollstuhl, die auf den Anblick gewisser Körperteile gesteigerten Wert legen freuen sich über Stehtische.
Ebenso kommen Menschen im Rollstuhl, die therapeutische Maßnahmen, wie das ständige Hinaufschauen zum Gesprächspartner/Gesprächspartnerin hilfreich finden, voll auf ihre Kosten.
Zurück zu Herrn B.: Als ihm die Argumente ausgingen, fragte der Fachmann eine Person im Rollstuhl, ob es schlimm sei, dass er stehe, sie sitze und sie somit zu ihm hinaufschauen muss. Sie verneinte, und somit war die inklusive Welt des Herrn B. wieder in Ordnung.
Gertrude Sladek,
21.09.2011, 15:42
@Karin Steiner Warum sollte hier nicht über unangebrachtes und indiskutables Verhalten berichtet werden, wenn dieses von selbst behinderten/beeinträchtigten Personen praktiziert wird? Es ist nicht fair, nur den nicht betroffenen Gesellschaftsanteil für derlei Verhaltensweisen zu kritisieren; für mich ist es sogar noch weitaus schlimmer, wenn jemand, der selbst betroffen ist, so handelt. Ein selbst Betroffener müsste über noch viel mehr an Verständnis und Verantwortungsbewusstsein im Hinblick auf seine Aufgabe verfügen, wenn er sich einer solchen annimmt.
@Gerhard Lichtenauer
Vollinhaltliche Zustimmung zu Deinem Kommentar!
Karin Steiner,
21.09.2011, 08:49
Woher merken wir, dass es der Behindertenbewegung gut geht? Wenn solche „Artikel“ es wert sind, geschrieben zu werden und Bizeps sie dann auch noch online stellt!
Ernsthaft: sollten wir nicht zumindest hie und da auch den Umgang miteinander hinterfragen? Klärende Gespräche sollen schon einiges bewirkt haben! Immerhin sitzen wir alle im selben Boot!
Gerhard Lichtenauer,
20.09.2011, 11:44
@Jürgen Vanek: Ich finde diese Kritik gerechtfertigt und der Veranstalter sollte in der Planung von Veranstaltungen achtsamer sein. Trotzdem kommt es mir wie ein Streit um „Butter oder Margarine“ vor, wobei der überwiegenden Mehrheit behinderter Menschen noch das „Brot“ vorenthalten wird. Die meisten Betroffenen könnten gar nicht zu solchen Veranstaltungen kommen oder den Inhalten folgen, weil ihnen die notige Assistenz, erforderliche Adaptierungen oder ganz einfach auch die Mobilität fast völlig verweigert werden.
Die zaghaften theoretischen Anklänge, die UN-Behindertenrechtskonvention irgend wann mal vielleicht doch umsetzen zu sollen, beschränken sich auf eine ganz kleine Teilmenge behinderter Menschen: nämlich auf die, wo es einerseits für die öffentlichen Kostenträgern am budgetschonendsten erschwinglich ist und andererseits den etablierten „Leistungsträgern“ nicht ihre Umsätze wegbrechen.
Für den Großteil behinderter Menschen ist noch gar nicht angedacht, sie nicht weiterhin systemisch fast aller ihrer Grund- und Freiheitsrechte zu berauben und ihren Unterstützungsbedarf kommerziell verwerten zu lassen. Diskriminierungsgewalt hat System und ist das System. Menschenrechte sind aber unteilbar und voneinander abhängig, Inklusion und Teilhabe gibt es nur im Ganzen.