Interview: Liberales Forum fordert Sterbehilfe

Mit Entsetzen mußten wir feststellen, daß das Liberale Forum - aber hier vor allem dessen Klubobfrau Dr. Heide Schmidt - die Sterbehilfediskussion in den letzten Wochen mit Nachdruck betrieben hat.

Interview mit Mikrofon
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Wir haben daher nachgefragt und besorgt daraus drohende Gefahren für behinderte Menschen aufgezeigt.

Ein Sprichwort sagt: „Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar“. In der „Euthanasie“-Diskussion wird der behinderte Mensch lediglich als finanzielle, psychische und soziale Last gesehen. Behinderung wird als Übel definiert. Die „Euthanasie“ ist daher auch keine Serviceleistung, sondern ein Mittel zur Selektion.

Die Diskussion um Sterbehilfe gibt daher keine zusätzlichen Handlungsmöglichkeiten vor, sondern ist Wegbereiter für einen Dammbruch, der in letzter Konsequenz die gesellschaftliche Selektion behinderten Lebens zur Folge hat:

  • Nach einem Bericht der Deutschen Presse-Agentur vom 2. Februar dieses Jahres wird bei 40 Prozent aller geistig behinderten Menschen, die jährlich in den Niederlanden sterben, der Tod durch einen Mediziner herbeigeführt.
  • In mindestens 1.000 Fällen jährlich, so die Zahlen einer von der Regierung veranlaßten Untersuchung, werde Sterbehilfe in den Niederlanden ohne ausdrückliche Zustimmung des Patienten geleistet.
  • Der Standard zitiert am 8. August 1998 eine Umfrage aus dem Juli 1998 in Österreich. „Und wie ist es bei schwer geistig Behinderten. Sollen da die Angehörigen das Recht haben, gemeinsam mit dem Arzt zu entscheiden, daß sie dem Leben des Schwerbehinderten ein Ende setzen? Würden Sie eine solche Regelung befürworten oder nicht befürworten?“ 23 Prozent sagten, sie wären in diesem Fall für Sterbehilfe. (13 % gaben keine Antwort, 64 % waren dagegen)
  • Die Zeitschrift Altenpflegeforum 3/97 zitiert eine deutsche Umfrage unter Pflegepersonal: Je unzufriedener ein Pfleger bzw. eine Pflegerin mit seinem/ihrem Berufsalltag ist, desto eher wird die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe befürwortet. … Knapp 14 Prozent befürworten sie auch dann noch, wenn der Betroffene zu einer selbstbestimmten Entscheidung nicht mehr fähig ist, die Angehörigen aber einverstanden sind.

Die von Frau Dr. Schmidt vehement geführte Sterbehilfediskussion wendet sich letztlich – wie an den Beispielen klar ersichtlich – gegen behinderte Menschen. Diese würden permanenter Lebensgefahr ausgesetzt werden. Die Niederlande zeigen, daß keine gesetzliche Regelung dem gesellschaftlichen Druck nach diesem Dammbruch standhält.

BIZEPS-INFO: Angesichts dieser Tatsachen: Können Sie bei diesem – und dem geschichtlichen – Hintergrund wirklich guten Gewissens eine Sterbehilfediskussion führen?

DR. HEIDE SCHMIDT: „Ich fühle mein Gewissen der Menschenwürde verpflichtet und glaube daher, daß an der derzeitigen Situation etwas geändert werden muß.“

BIZEPS-INFO: Behinderte Menschen werden – trotz Regelungsversuche – die ersten Opfer einer Sterberegelung sein. Wie können Sie dies persönlich verantworten?

DR. HEIDE SCHMIDT: „Kein Mensch darf ´Opfer´ einer Sterberegelung sein. Ich sehe vielmehr jetzt Menschen, die ´Opfer´ der augenblicklichen Gesetzeslage sind.“

Rechtliche Situation in Österreich

Daß behindertes Leben in Österreich weniger wert als nichtbehindertes Leben sein soll, hat lange Tradition:

  • In Österreich gibt es eine Fristenregelung, die es erlaubt, behinderte Föten – im Gegensatz zu nichtbehinderten – bis zur Geburt abzutreiben! (§ 97 Strafgesetzbuch)
  • Geistig behinderte Frauen werden gegen ihren Willen sterilisiert und dies wird nicht als Verstoß gegen die guten Sitten (§ 90 Strafgesetzbuch) gewertet.
  • Pränatale Diagnostik wird in der „Verordnung zur Erhaltung der VOLKSGESUNDHEIT“ (aus dem Jahr 1981) als vordringliche Maßnahme gewertet. Manche Behindertenorganisationen sprechen hier von „Rasterfahndung nach behindertem Leben“.

Diese Wertungen und Gefährdungen behinderten Lebens aus der österreichischen Rechtsordnung sind zu beseitigen.

Nun wird vom Liberalen Forum noch zusätzlich vehement eine gesetzliche Regelung der Sterbehilfe gefordert, die sich im Grundsatz und Denken auch gegen behinderte Menschen richtet.

Im Manifest „Menschenwürdiges Sterben“ und in den Notizen zum Manifest wird als Zielgruppe genannt: „… ein menschenwürdiges Leben nicht mehr erwartet werden kann …“ bzw. „… hoffnungslos krank oder unzumutbar behindert …“.

BIZEPS-INFO: Sehen Sie nicht die Gefahr, daß der Schutz behinderten Lebens durch eine Sterbehilferegelung noch mehr verringert würde?

DR. HEIDE SCHMIDT: „Dies darf nie passieren. Wenn der freie Wille des/der Betroffenen nicht feststeht, findet die Regelung keine Anwendung.“

Selbstbestimmt Leben kontra Selbstbestimmt Sterben

„Euthanasie“-BefürworterInnen begreifen sich selbst gerne als VorkämpferInnen für Liberalität und Selbstbestimmung. Aus dem Leiden Sterbender und unheilbar Kranker bzw. schwer Behinderter leiten sie ab, daß diese lieber sterben wollen. Sie beschreiben das Leben jener als ausschließlich leiderfüllt, welches für sie wertlos und nicht zuletzt bedrohlich ist.

Sollte nun jemand den Wunsch äußern, lieber zu sterben, wird dies als Zustimmung gewertet, ohne zu hinterfragen, in welchem gesellschaftlichen Umfeld dieser Wunsch entsteht. Häufig, weil diese Personen alleine gelassen werden oder sich als Last fühlen und keine Chance sehen, ihre Situation zu ändern.

Die Selbstbestimmt-Leben-Bewegung behinderter Menschen kämpft vehement gegen eine Sterbehilferegelung. Sie fordert z. B. bedarfsgerechtes Pflegegeld, Schmerztherapie (ein Artikel dazu ist für die nächsten Ausgabe geplant) und für ein selbstbestimmtes Leben.

Dr. Heide Schmidt fordert im Namen der „Selbstbestimmung“ vordringlich eine Regelung zum Sterben statt zum Leben.

BIZEPS-INFO: Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch?

DR. HEIDE SCHMIDT: „Dies ist keine Frage, sondern eine polemische Unterstellung, die nach meiner Auffassung in einem ehrlichen Argumentationsaustausch keinen Platz hat.“

BIZEPS-INFO: Ist es nicht zynisch behinderten Menschen eine Hilfe zum Sterben, aber keine ausreichende Hilfe zum Leben anzubieten?

DR. HEIDE SCHMIDT: „Das wäre mehr als zynisch. Ich weiß aber, daß viele behinderte Menschen unser Engagement für ihre Gleichstellung in der Gesellschaft kennen.“

BIZEPS-INFO:Wie läßt sich die geführte Diskussion mit der Behindertenpolitik des Liberalen Forums vereinbaren?

DR. HEIDE SCHMIDT: „Die Antwort ergibt sich aus meinem Schreiben.“ (siehe Begleitbrief gleich im Anschluß)


Begleitbrief von Dr. Heide Schmidt:

Ich habe Verständnis für die Sorge und oft auch Angst behinderter Menschen, daß eine unsensibel geführte Diskussion über Sterbehilfe zu unverantwortlichen gesetzlichen Regelungen oder zu einem gesellschaftlichen „Dammbruch“ führen könnte, wie Sie es ausdrücken.

Angesichts unserer schrecklichen Vergangenheit muß man wissen, welche Grenzen Menschen bereit sind zu überschreiten. Aber dennoch muß eines klar ausgesprochen werden: Was die Nazis getan haben, war nicht Euthanasie, sondern Mord, der sich dieses Wortes bediente.

Aufgrund dieses Wahnsinns nicht mehr über Sterbehilfe nachdenken zu dürfen, scheint mir daher eine unzulässige Konsequenz zu sein. Ich halte vielmehr die Auseinandersetzung damit, unter welchen Umständen Menschen wann sterben (dürfen) deshalb für so wichtig, weil ich die derzeitige Situation als unwürdig empfinde. Sie repräsentieren das „Zentrum für selbstbestimmtes Leben“ und ich halte Ihre Arbeit für unerläßlich für unsere Gesellschaft. Sterben ist aber Teil des Lebens und die Selbstbestimmung sollte nach meinem Verständnis auch diesen Lebensabschnitt umfassen.

Ich habe versucht, die Diskussion sachlich und verantwortungsbewußt zu führen. Jeder, der mir zugehört hat, weiß, daß es selbstverständlich nie um die Selektion von Menschen gehen darf. Jeder, der meine politische Tätigkeit verfolgt, weiß, daß ich keine Gelegenheit versäume, um der zunehmenden Bewertung des Menschen als Kostenfaktor entgegenzutreten und jeder, der mein (und unser) Menschenbild kennt, weiß, wie und warum ich mich für die Integration Behinderter engagiere.

Mir zumindest mangelnde Sensibilität gegenüber der Situation behinderter Menschen zu unterstellen, entbehrt daher jeden Realitätsbezuges und ich empfinde daher Ihre suggestive Fragestellung nicht sehr fair.

Ich hoffe auf Ihre Fairneß bei der Wiedergabe meines Briefes. Wenn Sie auch meine Meinung nicht teilen, würde ich mir doch wünschen, daß Sie jedenfalls die Redlichkeit unserer Bemühungen anerkennen.

Ich bleibe mit freundlichen Grüßen

Heide Schmidt

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