Interview mit NR Manfred Srb

Das Interview fand am 20.12.91 zu verschiedenen Themen statt. Die Fragen stellte Martin Ladstätter. Wir bringen hier den 1. Teil des Interviews.

Interview mit Mikrofon
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Muskel Aktiv: Erste Zeit nach der Behinderung?

Srb: Ich bin seit meinem 8. Lebensjahr behindert. Damals bin ich an Kinderlähmung erkrankt. Die Zeit nach Eintritt meiner Behinderung hat für mich eine Zeit der totalen Umstellung bedeutet.

Ich war ein gutes halbes Jahr im Spital und war dann zu Hause, wo meine Eltern verschiedene Kuren und Behandlungen mit mir gemacht haben.

Muskel Aktiv: Bekannte, Freunde vorher und nachher?

Srb: Ich war weitestgehend isoliert von meinen ehemaligen Schulkollegen und Freunden. Es war für mich schrecklich.

Muskel Aktiv: Angenommen, Zeit im Bild 2 hätte heute das Thema: „Man wird doch noch über praktische Ethik diskutieren dürfen.“ Teilnehmer: Peter Singer und NR Manfred Srb. Peter Singer sagt in der Einleitung: „Wirtschaftlich gesehen übersteigen die Kosten der Pflege (z. B. Pflegegeld) den Wert eines behinderten Lebens für die Gesellschaft.“ Was würdest Du entgegnen?

Srb: Das, was Peter Singer in der Öffentlichkeit sagt, bedeutet für mich im Klartext für den Mord an behinderten Menschen zu plädieren. Ich glaube es ist müssig zu sagen, daß ich mich dagegen vehement zu Wehr setze.

Ich würde mich auch dagegen zur Wehr setzen, wenn es um Mord an rothaarigen Kindern ginge oder Ausländerkinder oder an anderen Kinder, die in irgendeiner Weise anders sind als normale Kinder. Mord bleibt für mich Mord.

Ich wehre mich vehement dagegen, den Wert eines Menschen nach wirtschaftlichen Kriterien zu bemessen. Das ist das Krebsgeschwür unserer heutigen Zeit bzw. auch vor 40, 50 und 60 Jahren war es schon das Krebsgeschwür.

Wie wir sehen, ist diese Ideologie anscheinend nicht umzubringen. Für mich haben nichtwirtschaftliche Werte mindestens den selben Stellenwert. Verschiedene menschliche Werte wie Kreativität, Liebenswürdigkeit, ein Bestandteil der menschlichen Gesellschaft zu sein, Kommunikationspartner zu sein, Fähigkeiten zu haben, die nicht alle immer nach wirtschaftlichen Parametern abgelesen werden können.

Alle diese Dinge – und noch viele andere Dinge – sind für mich genau so wichtig. Wir müssen das wirklich einmal in der Öffentlichkeit diskutieren, mit dem Ziel, daß die Verwertbarkeit der Menschen für den Produktionsprozeß kein Indikator ist für die Qualität des Menschen oder gar für das Lebensrecht von Menschen.

Einige aktuelle Beispiel kennen wir Betroffene ja alle. Es gibt für behinderte Menschen PKW Zuschüsse nur dann, wenn sie berufstätig sind. Das ist der Ausfluß dieser Ideologie. Wenn man berufstätig ist, dann bekommt man gewisse Zuschüsse von der öffentlichen Hand, wenn man nicht berufstätig ist hat man Pech gehabt. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind aber nicht behindertengerecht, daher muß man zu Hause sitzen bleiben. So ist die Realität in diesem Lande.

Muskel Aktiv: Du hast gerade das Gedicht „Hartheim“ von Leo Lukas gelesen. Kann man sagen, daß die praktische Ethik von Peter Singer (d. h. „lebensunwertes Leben“ zu töten, weil es keine wirtschaftlichen Nutzen bringt) der Anfang einer „Töte unwertes Leben“ Bewegung (ähnlich der Nazi Aktion T4) war? Viele haben Angst vor dieser Entwicklung, Du auch?

Srb: Für mich ist die praktische Ethik des Peter Singers weniger der Anfang einer „Töte unwertes Leben“ Bewegung, sondern die Fortsetzung dieser Bewegung, die wir aus der Zeit vor dem und während des 2. Weltkriegs – also im Naziregim – kennen, die offensichtlich latent in den Gehirnen und Herzen der Menschen schlummert und dann wieder – das eine oder andere Mal – zum Ausbruch kommt. Es gibt ja auch verschiedene andere Entwicklungen und Tendenzen, die wieder in Richtung Unterscheidung von wertvollen, nicht wertvollm und unwertem Leben gehen.

Mir macht diese Entwicklung angst. Ich glaube aber, wir sind aufgefordert darüber zu diskutieren, uns kritisch damit auseinander zu setzen, um ganz einfach diese Diskussion in die Öffentlichkeit zu tragen – im Sinne einer Prävention.

Muskel Aktiv: Bei dieser Diskussion, wo es um Deine Lebensberechtigung geht, hast Du da nicht die Angst zu verlieren?

Srb: Ich stelle mir ganz einfach nicht die Frage, ob ich bei dieser Diskussion verlieren könnte. Für mich ist es wichtig, mich mutig diesem Thema zu stellen und einen aktiven Beitrag zu leisten, daß es politscher Trend nicht wieder in dieser Richtung geht.

Muskel Aktiv: Hältst Du es für möglich, daß in Österreich behinderte Kinder im Spital getötet werden, indem man ihnen Hilfe verweigert?

Srb: Einerseits glaube ich nicht daran, daß so etwas Ungeheuerliches passiert, auf der anderen Seite kann ich es mir vorstellen, wenn dort so Vertreter dieser Kostenrechnungsideologie das Schalten und Walten haben, daß die zu Ungunsten eines behinderten Kindes agieren und daß das Kind getötet wird – also ermordet wird.

Muskel Aktiv: Wenn Du sagst, Du kannst Dir das nicht vorstellen. Lainz konnte sich auch niemand vorstellen.

Srb: Das ist eine sehr kluge Feststellung. Ich glaube überhaupt, wir neigen dazu verschiedene Dinge zu verdrängen. Man hört und liest dieses und jenes. Aber solange man nicht brutal damit konfrontiert wird – wie es z. B. in Lainz geschehen ist – neigen viele Menschen dazu – vermutlich auch ich – unangenehme Dinge zu verdrängen.

Muskel Aktiv: Wir werden im Frühjahr ein Behinderteninformationszentrum (bizeps) eröffnen. Glaubst Du, daß eine solche Einrichtung notwendig ist? Was müßten wir unbedingt anbieten?

Srb: Es müßte authentische Information bzw. Beratung von direkt Betroffenen geboten werden. Zum Beispiel: Ein bewegungsbehinderte Mensch berät einen anderen bewegunsbehinderten Menschen.So können behinderte Menschen Experten in eigener Sache sein.

Muskel Aktiv: Das ist auch die Idee von Independent Living Centers. Was bedeutet das für Dich persönlich? Was könnte es der Gesellschaft bringen?

Srb: Für mich persönlich würde es einen ungeheuren Qualitätssprung in der Behindertenarbeit, in der Behindertenpolitik, in der Situation behinderter Menschen bedeuten. Daher brauchen wir dringend derartige Zentren; möglichst viele; zumindest eines in jedem Bundesland.

Behinderte Menschen würden dadurch in die Lage versetzt werden autonomer – d. h. selbstbestimmter – zu leben. Das würde mittel- und längerfristig zu einer Normalisierung in der Beziehung zwischen behinderen und nichtbehinderten Menschen führen und zu einem Abbau von Vorurteilen und von Ängsten. Alle diese Aspekte würden sich positiv für die Gesellschaft auswirken.

Muskel Aktiv: Welche Probleme – glaubst Du – werden in Zukunft die Behindertenpolitik bestimmen?

Srb: Ich fürchte, daß Pflegegeld wird weiterhin ein Dauerbrenner bleiben. Ob uns dies jetzt gefällt oder nicht. Aber parallel dazu müssen wir verstärkt in Richtung Gleichbehandlung – d. h. Antidiskriminierung – gehen. Wir Betroffenen sollten alles daran setzen, aufzuzeigen in welchen Bereichen es Diskriminierungen und Ungleichbehandlungen gibt und dann sehr ernsthaft diskutieren, wie wir es angehen können, daß dies abgeschafft wird.

Ich sage, wir können es nur mit Gesetzen angehen. Jetzt leben wir leider schlecht von Kann-Bestimmungen. Es darf daher in Zukunft nur mehr ganz klare Muß-Bestimmungen geben, die auch Strafen bei Nichteinhaltung beinhalten, wenn behinderte Menschen diskriminiert werden. Es wird viele Widerstände dagegen geben – keine Frage, die gibt es immer, wenn wir Behinderte um unsere Rechte kämpfen.

Jetzt werden uns unsere Rechte vorenthalten. Wir müssen darum kämpfen, daß das in Zukunft anders ist. Nochmals: Nur durch klare Gesetze – auch mit strengen Strafbestimmungen können wir etwas ändern.

Muskel Aktiv: Wie könnte ein Verein die Zusammenarbeit mit Dir intensivieren? Bist Du primär Grüner oder primär Behindertenvertreter?

Srb: Ich freue mich über jede Art der Zusammenarbeit mit Behindertenvereinen. Ich finde Behindertenvereine stehen an der vordesten Front. Sie können sagen, da und da gibt es Probleme, da und da müßte etwas gemacht werden. Ich bin darauf angewiesen, daß Behindertenvereine zu mir kommen.

Sie schreiben mich an: „Du bist ein Behindertenvertreter. Da muß etwas gemacht werden. Mach was.“ Dann bin in der Lage mit den Betroffenen gemeinsam etwas zu machen. Ich habe das Glück gehabt, daß die Grünen so aufgeschlossen waren und gesagt haben, daß ist ein wichtiger Bereich, da soll ein direkt Betroffener eine Chance bekommen. Ich bin primär ein Vertreter der behinderten Menschen in Österreich.

Muskel Aktiv: Angenommen bei der nächsten Wahl bekämst Du bei den Grünen kein Mandat und die Freiheitlichen würden Dir anbieten bei Ihnen Behindertenvertreter zu werden. Würdest Du das annehmen?

Srb: Ich bin für diese Zusatzfrage dankbar. Natürlich muß meine Tätigkeit als Behindertenpolitiker vor dem Hintergrund, der Ideen und den Grundsätzen der Grünen Bewegung gesehen werden.

Für mich ist es völlig undenkbar, wenn ich bei den Grünen nicht mehr kandidierten könnte, daß ich ein entsprechendes Angebot der Freiheitlichen annehmen würde. Die Freiheitlichen sind für das Abschieben von Ausländern.

Es ist für mich nur mehr eine Frage der Zeit bis die ersten Stimmen innerhalb der Freiheitlichen Partei kommen werden, wie das eigentlich mit den behinderten Menschen ist. Ich befürchte da das Schlimmste. Für mich wäre das Annehmen eines Angebotes der Freiheitlichen völlig undenkbar.

Hier können Sie den zweiten Teil lesen.

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