Interview zur Wahl mit Klaus Voget

Interview mit Dr. Klaus Voget, dem Spitzenkandidaten des forum handicap für die Wahlen zum Europäischen Parlament.

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Es gibt scharfe GegnerInnen und glühende BefürworterInnen des forum handicap. Wir wollen uns in diesem Interview mit den Inhalten auseinandersetzen.

BIZEPS-INFO: Warum kandidiert das forum?

Voget: Die Behindertenorganisationen haben geglaubt, daß ihre Interessen auch von den im Parlament vertretenen Parteien durchgesetzt werden können. Der Frust und der Zorn über die zwei Sparpakete war der direkte Auslöser bei der EU Wahl anzutreten, aber auch in allen anderen Bereichen gibt es keine Fortschritte, als Beispiel wäre die Forderung nach einem Antidiskriminierungsgesetz zu nennen.

BIZEPS-INFO: Welche Ziele hat das Forum?
Voget: Erste Zielsetzung ist die Umsetzung einer Antidiskriminierungsbestimmung, die auf europäischer Ebene verwirklicht werden soll. Die europäische Politik ist sehr gut geeignet, sich dieses Themas anzunehmen. Die Verhandlungen über den Nach-Maastrichtvertrag sind im Gange und wir wollen entsprechenden Druck für die Aufnahme einer solchen Bestimmung in diesen Vertrag machen.

BIZEPS-INFO: Da gibt es aber seitens des Europäischen Parlaments schon einen Beschluß, die nationalen Regierungen sind doch teilweise dagegen. Der Ansatzpunkt muß daher doch bei der nationalen Regierung sein. Warum kandidiert Ihr dann für die Europawahlen?

Voget: Die Bedeutung des europäischen Parlaments nimmt zu und ist daher als entsprechendes Forum bestens geeignet; darüber hinaus müssen auch die konkreten Inhalte dort diskutiert und umgesetzt werden.

BIZEPS-INFO: … und doch sind die nationalen Regierungen entscheidend und nicht das Europaparlament. Warum dann nicht bei den Nationalratswahlen kandidieren, statt bei der EU-Wahl?

Voget: Es gibt jetzt keine Nationalratswahlen. Ob sich die EU dafür ausspricht und ob es auch beschlossen wird, sind zwei verschiedene Paar Schuhe!

BIZEPS-INFO: Wenn die einzelnen Staaten das nicht wollen, kommt es sicher nicht ins EU-Parlament …

Voget: … wenn engagierte Vertreter der Anliegen von behinderten Menschen im EU-Parlament sitzen, wird es für viele Parlamentarier weniger leicht sein, sich gegen unsere Forderungen auszusprechen; wir machen andere betroffen und bringen das Thema ins Bewußtsein.

Wir werden jedenfalls dafür sorgen, daß die Nicht-Diskriminierungsklausel nicht auf dem Altar der üblichen Regierungskonferenzkompromisse geopfert wird.

BIZEPS-INFO: … und doch ist es Angelegenheit der nationalen Regierungen!

Voget: Ja, aber das Antreten bei der EU-Wahl wird auf Österreich zurückwirken. Es werden natürlich viele Probleme und viele Themen in Europa angerissen und diskutiert und wirken so durchaus auf Österreich zurück.

BIZEPS-INFO: Das forum handicap erwähnt relativ häufig die Sozialpolitik. Was kann man erwarten?

Voget: Es geht uns darum, daß wir nicht nur behinderte Menschen, sondern all jene Gruppen, die Gefahr laufen von der Politik, vergessen zu werden oder auch schon vergessen worden sind, vertreten. Sie alle brauchen eine Stimme in der politischen Landschaft.

BIZEPS-INFO: … wer ist das?

Voget: Neben den behinderten Menschen jene, die aus dem Erwerbsleben herausgefallen sind, die am Existenzminimum leben müssen und für die weder Gewerkschaften, noch Interessengemeinschaften eintreten. Mit einem Wort für all jene, um die sich die offizielle Politik nicht mehr zu kümmern scheint.

BIZEPS-INFO: Du hast erwähnt, für wen forum handicap Sozialpolitik machen will, aber nicht was. Darum nochmals: Was kann man erwarten?

Voget: Sozialpolitik ist nicht mehr – oder nicht nur mehr – das was man in den letzten Jahrzehnten unter Sozialpolitik verstanden hat, nämlich ein Bereich der sich sehr stark an den Begriff Arbeitswelt anhält. Bei der SPÖ steht „Sozialpolitik“ eigentlich nur für Beschäftigungspolitik. Beschäftigung ist eigentlich keine Sozialpolitik, sondern ein Menschenrecht. Wenn man für seine Arbeit Geld bekommt, ist das für mich nichts Soziales, sondern was Selbstverständliches.

Soziales bedeutet für mich, für die, die mit der Arbeitswelt noch nichts zu tun haben, oder nichts mehr, einzutreten, damit diesen Gruppen ein menschenwürdiges Leben ermöglicht wird. Für all jene, die Gefahr laufen, an den Rand gedrängt zu werden, sie wieder in den Mittelpunkt der Gesellschaft zu stellen; einzutreten für all jene, die keine politische Lobby haben.

BIZEPS-INFO: Aber was sind die konkreten Ziele?

Voget: Man sollte EU-Politik nicht mit nationaler Politik verwechseln. Europa ist derzeit noch nicht bereit, sich sozialer Themen anzunehmen. Währungsunion usw. ist zu wenig – Wir sind nicht bereit, den mühsam errungenen Sozialstandard für einen EURO zu opfern. Wenn die Wirtschaft die europäische Währungsunion braucht, so muß sie auch bereit sein, die damit verbunden Kosten zu tragen.

BIZEPS-INFO: Sozialpolitik ist aber Sache der Nationalstaaten …

Voget: … das ist scheinheilig. Das Engagement für soziale Themen muß auch in Europa geweckt werden. Man kann nicht sagen: Europa geht mich nichts an – es muß eine bestimmte Budgetdefizithöhe eingehalten werden usw., das ist nicht unabhängig von der Sozialpolitik. Man kann ja heute nicht Europa mit geschützten Werkstätten verbauen, diese Zeiten sind vorbei. Wir müssen eine Sozialunion bauen. Dafür muß ein entsprechendes Bewußtsein geschaffen werden.

BIZEPS-INFO: … warum in der EU?

Voget: Mit der eigenen Betroffenheit macht man auch andere betroffen. Wenn das Bewußtsein da ist, überlegt man auch: Was kann man in Europa tun? Bewußtsein bildet sich in allen Bereichen. Das führt zu Rückkoppelungen von Europa zu den nationalen Staaten und umgekehrt.
Mit wem wird das forum handicap im Europaparlament zusammenarbeiten?

Voget: Mit allen Fraktionen. Wenn man nicht in irgendeiner Fraktion eingebettet ist, hat man es leichter für verschiedene Fraktionen Gesprächspartner zu sein. Es wird schwer sein, mit forum handicap nicht zu reden.

BIZEPS-INFO: Wieviele Abgeordnete wird forum handicap haben?

Voget: So viele wie möglich. Wenn so viele Menschen wie möglich die Chance erkennen und sich mit sachbezogener Politik identifizieren können, sicherlich mehr als 1 Mandat. Die Frage ist, ob wir unsere Botschaft auch rüberbringen. Es fehlen uns derzeit allerdings noch die finanziellen Mittel, um die Botschaft transportieren zu können.

BIZEPS-INFO: Warum sind nicht nur behinderte Menschen auf der Kandidatenliste?

Voget: Wir haben bewußt eine Gruppe von behinderten und nichtbehinderten Menschen gewählt, um Integration auf einer Liste zu dokumentieren. Es gibt auch eine Verteilung in Bezug auf die Bundesländer, auch die Qualifikation und die außenpolitische Kompetenz waren Kriterien.

BIZEPS-INFO: Was haben diese 14 Personen mit Antidiskriminierung – einem der Hauptanliegen vom forum handicap – zu tun?

Voget: Die auf der Liste aufscheinenden Personen können sich sehen lassen. Das forum handicap braucht sich nicht zu genieren. Wir haben nicht 14 Kandidaten aufstellen müssen; innerhalb von 3 Tagen hat die Liste stehen müssen; wir hätten gerne die möglichen 42 Kandidaten aufgetrieben, dafür hatten wir aber zu wenig Zeit. Dennoch sind wir mit allen Kandidaten zufrieden, da jeder einzelne über spezifische Qualifikationen verfügt.

Z. B. Dr. Wolfgang Waldner (Anmerkung: Diplomat in New York, nichtbehindert, Listenplatz 2) hat einen innerlichen Zugang zu den Themen. Er ist befreundet mit mir und hat gesehen, wie in Amerika das Antidiskriminierungsgesetz gegriffen hat. Er ist überzeugter Europäer und würde sich eine solche Bewegung auch in der EU wünschen.

Oder Klaus Martini (Anmerkung: Beamter, behindert, Listenplatz 3), Präsident des Blindenverbandes. Wenn sich Martini einer Sache verschreibt, geht er mit – ich will nicht sagen tirolerischer – Sturheit an die Sache ran. Die Gleichstellung der Blinden ist ihm ein großes Bedürfnis …

BIZEPS-INFO: Doch all diese Personen – außer Dir – sind bisher nicht für Antidiskriminierung in Erscheinung getreten. War das kein Thema?

Voget: Nein, aber große Organisationen brauchen ihre Zeit. Antidiskriminierung ist ihnen ein großes Anliegen.

BIZEPS-INFO: Die Kandidaten sind aber nicht aufgefallen und haben sich nicht zum Thema geäußert.

Voget: Jeder Kandidat identifiziert sich voll, sie haben in den Bundesländern ihre Stimme erhoben, die nicht nach Wien gedrungen ist, das ändert aber nichts an ihrer Motivation.

BIZEPS-INFO: Ist das forum handicap eine Partei?

Voget: Eigentlich nicht. forum handicap will eine „single issue party“ (Anmerkung: Partei, die nur ein Hauptanliegen vertritt) sein.

BIZEPS-INFO: Das ist aber eine Partei. Oder?

Voget: Formalistisch trifft „Partei“ zu, aber nicht nach den Regeln des Parteiengesetzes; keine politische Partei im klassischen Sinn …

BIZEPS-INFO: … aber doch eine wahlwerbende Partei?

Voget: Ja, forum handicap ist zwar eine wahlwerbende Partei, aber nicht politische Partei im klassischen Sinne. Wir treten für etwas ein, und nicht unbedingt gegen die bestehenden wahlwerbenden Partei.

BIZEPS-INFO: Aber man entscheidet sich doch gegen die anderen Parteien, wenn man für das forum handicap stimmt, oder?

Voget: Sie entscheiden sich nicht innerlich gegen eine Partei, sondern sich für eine Sache.

BIZEPS-INFO: Das forum handicap wird aber anderen Parteien Stimmen wegnehmen – ist also Konkurrent. Das steht im Widerspruch zu einer Unterstützung durch andere Parteien. War es da nicht naiv, die anderen um Unterstützung zu bitten?

Voget: Das will ich nicht bestreiten. Bei der Gründung vom forum handicap konnten wir im Kopf noch nicht so trennen zwischen bisheriger Interessensvertretung versus politischer Partei.

BIZEPS-INFO: Würdest Du heute nochmals den politischen Gegner um Unterstützung bitten?

Voget: Nein. Ich habe die Mobilisierung der eigenen Gruppe unterschätzt. Es hat erst einen Anlauf gebraucht, aber in der letzten Phase gab es eine Unterschriftenflut.

BIZEPS-INFO: Wie reagierte das forum handicap auf das Angebot des Mitkonkurrenten FPÖ?

Voget: Es gab eine Infoveranstaltung für den Vorstand der ÖAR. Ich habe dort angegeben, daß ich das Gesprächsangebot der FPÖ wahrnehmen werde. Alle Vorstandsmitglieder haben gewußt, daß ich diese Gespräche führen werde.

BIZEPS-INFO: Es schaut aber aus, als wäre nicht allen alles so bewußt gewesen. Dir schon?

Voget: Ja mir schon und es muß jeder gewußt haben. Mir war bewußt, daß es um Unterstützung geht, aber mir war nicht klar, was herauskommen wird. Mir war bewußt, daß ich mich auf ein Gespräch einlassen würde.

BIZEPS-INFO: Betrachtest Du es als Fehler auf das Angebot reagiert zu haben?

Voget: Wenn ich mein Leben lang als Politiker gearbeitet hätte, dann ja. Als Verbandspräsident sprach ich mit allen. Jetzt als Mitbewerber kann man nicht über Unterstützung reden. Das war eine Art Schizophrenie zwischen Verbandspräsident und Politik. Jetzt gelingt die Teilung schon ganz gut.

BIZEPS-INFO: Waren Dir die Ängste und Vorbehalte gegen eine Zusammenarbeit mit der FPÖ nicht bewußt?

Voget: Ich habe es befürchtet, aber ich dachte, mit dieser Chance kann man Ängste stärker überlagern.

BIZEPS-INFO: Aber z. B. der Kriegsopferverband hat doch von Anfang an …

Voget: … Ja, die haben gleich gesagt: „Wir tun auf keinen Fall mit“ und haben sich dabei auf ihre Statuten berufen, die von „Parteiunabhängigkeit“ sprechen. Persönlich habe ich das Gefühl, daß die großkoalitionäre Fraktionierung, die dort schon eine lange Tradition hat, der wahre Grund für die Ablehnung gewesen ist.

BIZEPS-INFO: Viele Betroffene sind aber total verärgert und fordern Deinen Rücktritt. Wie stehst Du dazu?

Voget: Mir ist es gelungen, die Verbandspräsidentschaft der ÖAR vom forum handicap zu trennen. Das hat miteinander nichts zu tun. Ob ich nach der Europawahl die Funktion als Präsident der ÖAR weiter ausführen werde, werde ich nach der Wahl entscheiden.

BIZEPS-INFO: Die meisten Unterstützungserklärungen kamen von nichtbehinderten Menschen, warum?

Voget: Für Behinderte war die Unterstützung und der Weg aufs Gemeindeamt besonders beschwerlich. Es zeigt, daß offensichtlich die Parteien sich irren, daß Behinderte kein Thema sind.

BIZEPS-INFO: Die Behinderten sind teilweise verärgert und die Nichtbehinderten ermöglichten die Kandidatur des forum handicap. Das kann ja nicht mit Selbstvertretung gemeint gewesen sein, oder?

Voget: Der Anspruch auf Selbstvertretung müßte jedem behinderten Menschen in Österreich entsprechen. Wie kann man gegen die Kandidatur des forum handicap sein, wenn man behindert ist? Wie kann man dagegen sein, daß behinderte Menschen die Geschicke selbst in die Hand nehmen?

BIZEPS-INFO: Was passiert, wenn forum handicap kein Mandat schafft?

Voget: Die Welt wird nicht zusammenstürzen, behinderte Menschen hätten aber eine phantastische Möglichkeit vertan. Von der Zahl her müßten sie genug Stimmen schaffen.

BIZEPS-INFO: Wird forum handicap dann bei den nächsten Nationalratswahlen kandidieren?

Voget: Eine Kandidatur bei der Nationalratswahl ist derzeit nicht geplant, aber auch nicht auszuschließen; es wäre möglich.

BIZEPS-INFO: Radio, Fernsehen und viele Zeitungen berichteten, daß vor einigen Tagen – beim Schulbeginn in Westösterreich – einer jugendlichen gehörlosen Schülerin die Aufnahme in eine Fachschule für Wirtschaftliche Frauenberufe verwehrt wurde. Die Diskriminierung führte in diesem Vorfall bis zur Schulbesetzung. Wie hast Du die Ereignisse beurteilt?

Voget: Schulische Integration ist für mich ein Menschenrecht. Wenn es verwehrt wird, muß man auf die Barrikaden steigen …

BIZEPS-INFO: Hat das forum handicap etwas unternommen?

Voget: Ich hab´s nicht mitbekommen.

BIZEPS-INFO: Ist das nicht bedenklich? Genau Antidiskriminierung ist doch eines Euer Hauptanliegen …

Voget: Ich hatte in letzter Zeit wenig Zeit zum Fernsehen und Zeitunglesen, weil ich jeden Tag bis 24 Uhr beschäftigt war mit Kuvertieren und Briefmarken picken.

BIZEPS-INFO: Und Deine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben es auch nicht mitbekommen und Dir erzählt? Vielleicht sind die Kandidatinnen und Kandidaten doch zu wenig informiert.
Wenn Antidiskriminierung für das forum handicap ein zentrales Thema wäre, hätte man sich dazu doch äußern müssen?

Voget: Ich werde mich darum kümmern. Danke für den Tip.

BIZEPS-INFO: Wir danken für das Interview.

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