Behinderte wollen nicht länger im Dunkeln stehen und von licht-bringenden Almosen abhängig sein. (Franz-Joseph Huainigg fordert in diesem Kommentar für die KLEINE eine Reform der ORF-Kampagne "Licht ins Dunkel".)
Eine Geschichte aus dem Alltagsleben: Ein Rollstuhlfahrer fährt zu seinem Auto, hievt sich auf den Fahrersitz und spricht einen vorbeieilenden jungen Mann um Hilfe an: „Können Sie mir bitte den Rollstuhl ins Auto …?“ Weiter kommt er nicht, denn der junge Mann zuckt die Achseln und sagt: „Tut mir leid, ich habe kein Geld.“ Dann eilt er weiter. Der Rollstuhlfahrer denkt sich: „Licht ins Dunkel-Syndrom“. Seit 35 Jahren konditioniert der ORF sein Publikum auf Geldspenden, wenn man behinderte Menschen sieht.
Alle Jahre wieder erscheinen um die Weihnachtszeit mitleiderregende behinderte Menschen als „arme Hascherl“ oder „Superman“ auf dem Fernsehbildschirm und eine Kinderstimme fragt in eine leere Halle: „Ist da jemand?“. Jahr für Jahr ärgern sich behinderte Menschen: „Natürlich gibt es uns!“. Der ORF hat diese Kritik bislang lapidar vom Tisch gewischt: „Ihr seid damit nicht gemeint.“
Heuer brennen nicht nur vier Adventkerzen, sonder mehr als 7000 Kerzen im Internet Aktion „Nicht ins Dunkel“, die für eine grundsätzliche Reform der ORF-Spendenkampagne entzündet worden sind.
Auffallend viele behinderte Menschen und Behindertenorganisationen plädieren so für einen medialen Paradigmenwechsel, wie er in der Gesellschaft schon längst vollzogen worden ist: Gleichstellung statt Almosen, Selbstbestimmung statt Fürsorge und Integration statt Mitleid. Die Aktion „Nicht ins Dunkel“ fordert vor allem die Neuausrichtung der Medienkampagne:
Auflösung der behindertenfreien Kampagnenstruktur: Heute finden sich weder in der ORF Redaktion „Humanitarian Broadcasting“ noch im Verein „Licht ins Dunkel“ behinderte Menschen, welche die Kampagne inhaltlich mitgestalten.
Ein „neues Bild“ von behinderten Menschen ist zu schaffen: Eine Moderatorin im Rollstuhl, ein blinder Sänger oder Gebärdensprachdolmetschung sollten nicht undenkbar sein.
Soziales Engagement soll nicht nur in Spendenrekorden bemessen werden. Nachhaltig gelebte Integration in Form neuer Jobs, Ausbildungsplätzen oder Kooperationsprojekten mit der Wirtschaft sollte durch die Kampagne gefördert werden.
Eines sei klar gestellt: Privates Engagement etwa durch Spenden ist nicht abzulehnen, sondern als wichtige Ergänzung des Sozialstaates anzusehen. Bereits 1997 hat die deutsche „Aktion Sorgenkind“ sich unter Einbeziehung behinderter Menschen zur „Aktion Mensch“ gewandelt.
Auch in Österreich möchten behinderte Menschen nicht länger im Dunkeln stehen und von lichtbringenden Almosen abhängig sein. Es muss möglich sein, eine Spendensammlung so zu organisieren, dass sich jener Personenkreis, dem geholfen werden soll, nicht in seiner Würde verletzt fühlt.