Ist die Oma im Heim wirklich ein gesellschaftlicher Mehrwert?

Ende Juni 2015 erschien an der Wirtschaftsuniversität Wien die Studie "Zum gesellschaftlichen Mehrwert der stationären Pflege- und Betreuungseinrichtungen in Niederösterreich und der Steiermark mittels einer SROI Analyse". Ein Kommentar.

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Studienverantwortlich sind Dr. Christian Schober und MSc Ena Pervan vom Kompetenzzentrum für Nonprofit Organisationen und Social Entrepreneurship.

Den Link zum Download der Studie sowie der Presseberichte finden Sie hier.

Worum es geht

„Die Evaluation erfolgte mittels einer Social Return on Investment (SROI)-Analyse, deren Ziel es ist, den durch die stationären Pflege- und Betreuungseinrichtungen geschaffenen gesellschaftlichen Mehrwert möglichst umfassend zu erfassen und zu bewerten. Die Methode will neben den finanziellen, explizit auch die sozialen Wirkungen des Projekts messen.“ Heißt es in der Zusammenfassung auf der WU-Homepage.

Dort können die Leserinnen und Leser auch die mehr oder weniger aussagekräftigen Ergebnisse nachlesen. Diese fallen natürlich nur positiv aus. Wen wundert’s, schließlich ist der Auftraggeber der Studie der Verein Lebenswelt Heim, der Bundesverband der Alten- und Pflegeheime Österreichs. Und dieser klopft sich mit einer eigenen Presseaussendung auch gleich selbst auf die Schultern.

Von Stakeholder und Outcome

Weitere Schlüsselwörter zum „Verständnis“ der Studie sind „Stakeholder“ und „monetäre Werte“. „Als Stakeholder wird eine Person oder Gruppe bezeichnet, die ein berechtigtes Interesse am Verlauf oder Ergebnis eines Prozesses oder Projektes hat.“ Das sind die Bewohner, die Mitarbeiter, das Land, das AMS, die Firma mit den Inkontinenzprodukten, die niedergelassenen Ärzte, die Ehrenamtlichen, uvm.

„Für jede Stakeholdergruppe wird der investierte Input dem erzielten Output sowie dem Outcome (Wirkungen) in einer Wirkungskette gegenübergestellt. Die solcherart identifizierten Wirkungen werden verifiziert, ergänzt, quantifiziert und zum Schluss soweit möglich und sinnvoll in Geldeinheiten bewertet. Somit kann letztlich der monetäre Wert der aggregierten Wirkungen dem gesamten in Geldeinheiten vorliegenden Input gegenübergestellt werden.“

Was kritisiert werden muss

  • Die Berechnungen dieser monetären Werte sowie die Quellen, die für die Berechnungen herangezogen wurden, sind Großteils nicht nachvollziehbar.
  • Vorläufer der SROI-Analyse ist die einfache „Kosten-Nutzen-Rechnung“. Ähnliche Ansätze hatten wir schon einmal in unserer Geschichte.
  • Dürfen alte, kranke und behinderte Menschen nur dann leben, wenn sie in einem stationären Pflegeheim untergebracht sind bzw. für einen „ökonomischen Mehrwert“ sorgen?
  • Im Rahmen einer SROI-Analyse wird auch ein Alternativszenario entworfen. Hier haben die Studienverantwortlichen noch einen großen Lernbedarf.
  • Die Studie ist ein Symptom unserer Zeit, wo ökonomische Vorgaben vor menschlichen Rechten und Werten stehen. Soll das jetzt so weiter gehen?
  • Erschreckend, dass diese Studie von einigen Politikern und Journalisten unkritisch aufgenommen wurde.

Mein Aufruf an den Studienleiter

Im Rahmen der Pressekonferenz habe ich an den Studienleiter die Frage nach Berücksichtigung der UN-Behindertenrechtskonvention in seiner Studie gestellt.

„In den Alten- und Pflegeeinrichtungen gibt es so gut wie keine (alten) behinderten Menschen. Denn die meisten wurden leider während des Nationalsozialismus umgebracht“, war seine erstens sachlich falsche und meiner Einschätzung nach auch taktlos formulierte Antwort. „Und mehr ist dazu nicht zu sagen“, fügte er noch hinzu.

Werter Herr Dr. Schober! Ich habe Ihre Studie gelesen. Auf akademischer Augenhöhe schlage ich Ihnen vor, die Studie dringend unter anderen Vorzeichen zu wiederholen.

Führen Sie selbst bitte viel mehr und längere Gespräche mit Heimbewohnern und -bewohnerinnen bzw. mit deren Angehörigen. Statten Sie den Einrichtungen auch spontane Besuche ab. Das wird Ihren Blickwinkel um ein Vielfaches vergrößern.

Lesen Sie bitte vorab (nochmals) die UN-Behindertenrechtskonvention sowie unbedingt Artikel und Berichte der Volksanwaltschaft. Besonders empfehle ich Ihnen den aktuellen Bericht an den Nationalrat und den Bundesrat aus 2014, Bd. II Präventive Menschenrechtskontrolle.

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