IVS Wien kritisiert die Nichtberücksichtigung der Behindertenhilfe bei der Pflegereform

Das Zweckzuschussgesetz, das eine - längst überfällige - Verbesserung der Bezahlung von Pflege- und Betreuungspersonal verfolgt, geht aus Sicht der IVS Wien leider völlig an der Realität der Behindertenhilfe vorbei.

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Einmal mehr gelingt es auch in diesem Fall nicht, die komplexe Lebensrealität von Menschen mit Behinderungen bei einem grundsätzlich sehr positiv zu bewertendem sozialpolitischen Anliegen – nämlich der besseren Bezahlung von pflegendem und betreuendem Personal – ausreichend zu berücksichtigen. Menschen mit Behinderungen werden erfreulicherweise zum Großteil nicht – mehr – in großen Heimstrukturen betreut, sondern leben in sehr unterschiedlichen und ausdifferenzierten, möglichst individuell gestalteten Settings.

Das reicht von Persönlicher Assistenz in der eigenen Wohnung über ambulante Betreuungsangebote, bis zu kleinen gemeinwesenintegrierten Wohnformen in Wohngemeinschaften und Garconnierenverbünden.

Die notwendige Pflege, Betreuung und Unterstützung wird dabei von Mitarbeiter*innen mit sehr unterschiedlichen Qualifikationen durchgeführt, das reicht von Persönlichen Assistent*innen, die auch durchaus komplexe pflegerische Tätigkeiten leisten, dabei aber ausschließlich von ihrer jeweiligen Assistenznehmerin angeleitet werden, über Sozialbetreuungsberufe mit unterschiedlichen Ausbildungsschwerpunkten, bis hin zu Mitarbeiter*innen mit anderen psychosozialen Ausbildungen wie Sozialarbeit, Psychologie, Pädagogik, Psychotherapie, etc.

Viele Mitarbeiter*innen aus solchen psychosozialen Ausbildungen leisten pflegerische Unterstützung im Rahmen der sogenannten Unterstützung bei der Basisversorgung und haben dafür eine entsprechende Qualifikation nach § 3 a des GuKG erworben.

Der Kollektivvertrag der Sozialwirtschaft Österreich (ebenso die Kollektivverträge von Caritas und Diakonie) haben dieser komplexen Personalstruktur Rechnung getragen und ihre Gehaltstabellen nicht an den Qualifikationen der Mitarbeiter*innen, sondern an deren Tätigkeiten orientiert.

Das hier kommentierte Zweckzuschussgesetz orientiert sich leider wieder ausschließlich an Qualifikationen von Mitarbeiter*innen und wird in der aktuellen Form dazu führen, dass viele Betreuer*innen und Unterstützer*innen von Menschen mit Behinderungen nicht in den Genuss der dringend notwendigen Gehaltserhöhungen kommen.

Dabei haben sich vor allem durch die COVID-19 Pandemie die Belastungen für die Mitarbeiter*innen in der Behindertenhilfe massiv erhöht und der Bereich hat mit ähnlichen Personalproblemen zu kämpfen, wie dies im Bereich der klassischen Pflege der Fall ist.

Bei einigen Mitgliedsorganisationen der IVS Wien sind bis zu 10 % der Stellen unbesetzt, weil kein geeignetes Personal gefunden werden kann. Das führt zu zusätzlichen Mehrbelastungen des bestehenden Personals, das durch die Pandemie ohnehin am Ende seiner Kräfte ist.

Der Bereich der Behindertenhilfe gehört natürlich zum großen Bereich der Pflege und Betreuung. Dass sie heute nicht mehr in Großinstitutionen geleistet wird, sondern in dezentralen und ambulanten Strukturen führt immer wieder dazu, dass sie im politischen Diskurs vergessen wird.

Auch im Bereich der Qualifikationen ist eine Differenzierung erfolgt, die in der klassischen Pflege seit Jahren gefordert wird (nämlich weg von der „reinen“ Pflege hin zu einem ganzheitlichen Ansatz, der die gesamte Lebensrealität der zu unterstützenden Menschen erfasst).

Auch in den Bereichen der Behindertenhilfe, in denen keine klassischen Pflegeleistungen erbracht werden, findet hochkompetente und herausfordernde Betreuung statt, die es allemal verdient, im Zweckzuschussgesetz Berücksichtigung zu finden. Sei es in der Begleitung von Menschen mit psychischen Erkrankungen oder in der Unterstützung von Menschen mit Sinnes- oder Lernbeeinträchtigungen.

Wird das Zweckzuschussgesetz in der jetzigen Form verabschiedet, führt es dazu, dass Mitarbeiter*innen, die zum Beispiel in einer Wohngemeinschaft die gleichen Tätigkeiten verrichten, unterschiedlich dafür bezahlt werden.

Die Kolleg*in, die z.B. im Rahmen ihrer Ausbildung zur Sozialfachbetreuer*in eine Pflegeassistenzausbildung absolviert hat, wird dann eine Überzahlung aus dem Zweckzuschussgesetz erhalten, ihre Kolleg*in, die im Rahmen ihrer Ausbildung den Schwerpunkt auf behindertenpädagogische Aspekte gelegt hat und im Rahmen der Unterstützung bei der Basisversorgung die gleiche Tätigkeit leistet, bekommt diese Überzahlung nicht.

Die Pflegefachassistent*in, die gemeinsam im Team mit einer Psychologin einen Menschen mit psychischen Erkrankungen in seiner Wohnung betreut, bekommt dann bei gleicher Tätigkeit ein höheres Gehalt.

Im Entwurf zum Pflegezuschussgesetz wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch Mitarbeiter*innen erfasst werden sollen, die in „mobilen, teilstationären und stationären Einrichtungen der Behindertenarbeit nach landesgesetzlichen Regelungen“ tätig sind. Das ist sehr zu begrüßen.

Nur um dieses Ansinnen wirklich umzusetzen bedarf es auch einer Berücksichtigung der komplexen Personalstruktur in diesem Bereich. Sonst führt es zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung, die großen Unmut in den Belegschaften hervorrufen wird.

Eine Mindestanforderung in dieser Hinsicht wäre, dass Mitarbeiter*innen, die die Ausbildung zur Unterstützung bei der Basisversorgung absolviert haben und entsprechende Leistungen erbringen, vom Zweckzuschussgesetz erfasst werden.

Angemessen wäre es, wenn alle Mitarbeiter*innen der Behindertenhilfe, die nach landesgesetzlichen Bestimmung in der Betreuung von Menschen mit Behinderungen tätig sind, erfasst werden.

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