Jede/r gegen jede/n?

Unter jenen, die nicht zu den ,happy few‘ des Neoliberalismus zählen, macht sich Entsolidarisierung breit.

Jagd nach dem Recht
Krispl, Ulli

1996 hatte die Bundesregierung ein „Jahr der Menschenrechte” ausgerufen, es gab Veranstaltungen, Willenserklärungen, Aufrufe sonder Zahl, und es gab ein wenig Geld für Projekte von Minderheiten. Das Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte wurde beauftragt, die Projekte zu koordinieren. Unter anderen sollten auch behinderte Menschen an diesen Projekten teilhaben.

Gemeinsam mit einer Sozialwissenschaftlerin, die in diesem Bereich erfahren war, schlug ich – von meiner Ausbildung her Politikwissenschaftler – ein Projekt vor, das erörtern sollte, welche Vorteile ein Antidiskriminierungsgesetz für behinderte Menschen nach US-amerikanischem Vorbild in Österreich mit sich brächte. Das Projekt wurde als wissenschaftlich seriös befunden und wir wurden eingeladen, es im Boltzmann Institut noch einmal zu präsentieren, es gäbe da gewisse Unklarheiten. Was als Informationsveranstaltung angekündigt war, entpuppte sich bald als etwas anderes, nämlich als Tribunal.

Heinz Patzelt von amnesty international übernahm die Wortführerschaft. Er sagte, unser Projekt sei ganz in Ordnung, er habe nur ein Problem damit. Seiner Auffassung nach würden behinderte Menschen nicht diskriminiert, unsere Menschenrechte würden nicht verletzt, also könne es im Rahmen der Menschenrechtsprojekte keines über behinderte Menschen geben. Die VertreterInnen der anderen Minderheiten und von diversen NGOs wie SOS Mitmensch und Caritas saßen schweigend da und schauten etwas betreten, keine/r aber ergriff das Wort.

Ich wusste, hier muss man ganz von vorn anfangen, in diesem Kreis ist keinerlei Vorwissen gegeben und auch keine Solidarität. Es kam dann zu einer harten Aussprache und es gelang meiner Kollegin und mir, die Anwesenden wenigstens soweit zu bringen, dass sie ihre offene Feindschaft aufgaben, einige flüchteten sich auch in die naheliegende Schutzhülle des Mitleids. Patzelts Argumentation war folgende: bauliche und soziale Barrieren, die es behinderten Menschen schwerer oder unmöglich machen, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, seien zwar nicht zu leugnen, sie seien aber nicht als Diskriminierung im Menschenrechtssinne zu werten, weil sie nicht bewusst, sondern bloß aus Dummheit oder Borniertheit geschähen. Wenn der Vorsatz fehle, liege Diskriminierung nicht vor.

Unabhängig davon, dass es eine Reihe von Diskriminierungstatbeständen gibt, die auf bewussten Ausschluss behinderter Menschen zielen, ist diese Argumentation aus einsichtigen Gründen unhaltbar. Es gelang schließlich, das Projekt gegen den anfänglichen Widerstand anderer Minderheiten dennoch durchzuführen, die Studie über den Vergleich der Antidiskriminierungsgesetze in den USA, Australien, Schweden, England und Deutschland mit der heimischen Situation ist im Internet abrufbar.

Die seit einiger Zeit laufenden Bestrebungen der Behindertenverbände, ein österreichisches Pendant zum amerikanischen „Americans with Disabilities Act” zu erreichen, haben an Intensität gewonnen. Wenn nicht die Sozialdemokratie wieder das Sozialressort übernimmt und mit der Streichung des Pflegegelds in die behindertenpolitische Steinzeit zurückmarschiert, sind die Chancen auf die Realisierung eines derartigen Gesetzes intakt.

Es wäre ein leichtes, weitere Beispiele für das Unverständnis zwischen einzelnen Minderheiten aufzuzählen. Die „Initiative Minderheiten”, deren Vorstand ich mit einer zweijährigen Unterbrechung seit langem angehöre, hat sich aus diesem Grund genau dieses Ziel gesteckt: das Verständnis und die Solidarität unter den Minderheiten zu fördern. Die Einhaltung bestimmter Regeln haben sich in diesen Fragen als vernünftig erwiesen: 1. Sprich nie im Namen von anderen Minderheiten. 2. Wenn du über andere Minderheiten schreibst, informiere dich vorher. 3. Die Tatsache, dass jemand einer Minderheit angehört, schützt nicht vor Verblendung, Gruppenegoismus, ja sogar Alltagsrassismus.

Ich beobachte seit Jahren eine zunehmende Abschottung der einzelnen Minderheiten voreinander und eine wachsende Unduldsamkeit gegenüber Forderungen von anderen Gruppierungen. Die Ellbogengesellschaft und das Lebenskonzept eines „Rassismus der Tüchtigen” (Werner Vogt) machen sich – wie könnte es bei diesem nationalen und internationalen Umfeld auch anders sein – auch und gerade unter jenen breit, die nicht zu den ‚happy few‘ des Neoliberalismus zählen. Eine Besserung der Situation sehe ich nicht. Meines Erachtens kann sie nur über eine breite, große Teile der Bevölkerung erfassende, gesellschaftspolitische Aktion erfolgen. Der Anstoß dazu muss von Gruppen außerhalb der etablierten Politik kommen, aber wie wir sehen, unterliegen auch diese Gruppen einem schleichenden Entsolidarisierungsprozess. Die Zukunft wird auch in diesem Bereich vom Kampf jede/r gegen jede/n geprägt sein.

(erschienen in malmoe)

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