Im Frühjahr 1999 lebten die Menschen Jugoslawiens mehrere Monate lang unter NATO Bomben.
Während der NATO Luftangriffe gab es viele Zivilopfer – etwa 1500 Tote und 7000 Verwundete. Hier ein Bericht aus der Sicht eines Betroffenen, Damjan Tatic, vom Zentrum für Selbstbestimmtes Leben in Belgrad: Es fielen Bomben auf Kraftwerke, es wurden Elektroleitungen beschädigt, es gab während längerer Zeitperioden – oft 24 bis 48 Stunden – keinen Strom.
In vielen höheren Gebäuden in den großen Städten gab es auch kein Wasser. Man mußte täglich mit den Bombenalarmen und ständigen Bomben – und Raketendetonationen leben.
Behinderte Menschen hatten es sehr schwer: Die meisten Luftschutzkeller sind nicht adaptiert, man mußte über 30 oder mehr Stufen steigen, um in Sicherheit zu gelangen… Es verwundert also nicht, daß die meisten behinderten Menschen darauf verzichteten (verzichten mußten), in die Luftschutzkeller zu gehen.
Ohne Strom funktionierten auch die Fahrstühle nicht, und für BenutzerInnen von elektrischen Rollstühlen wurde das Leben besonders hart.
Unter den permanenten Luftangriffen war es für behinderte Menschen sehr schwer, ihr Leben zu organisieren (einkaufen, ausgehen, mit Assistenz leben). Für die Assistenten war es ziemlich mühsam, unter den permanenten Luftangriffen, ohne Treibstoff und mit sehr sporadischem Öffentlichen Transport zu den behinderten Menschen zu kommen.
Deshalb mußte Persönliche Assistenz meistens innerhalb der eigenen Familie organisiert werden – also war Selbstbestimmtes Leben praktisch unmöglich.
Zivile Objekte wie Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten, Brücken und Kraftwerke waren ebenfalls Ziele vieler Luftangriffe: In der „Dragisa Misovic“ – Klinik kamen drei PatientInnen ums Leben – NATO-Piloten hatten „einen Fehler“ gemacht und trafen die neurologische, die gynäkologische und die Intensiv-Station der Klinik.
Während dieses Luftangriffs hat auch das Belgrader Büro für Selbstbestimmtes Leben, das sich in derselben Gegend befindet, schwere Schäden erlitten: Das Büro ist zur Zeit nicht benutzbar.
Die Aussichten auf ein selbstbestimmtes Leben sind für behinderte Menschen in Jugoslawien keinesfalls rosig: Auch nach der Beendigung der Luftangriffe bleibt als Faktum, daß Jugoslawiens Wirtschaft völlig verwüstet ist.
Es gibt tausende neubehinderte Menschen, und es wird schwierig werden, unter ihnen die Idee „Selbstbestimmtes Leben“ zu propagieren: viele werden nicht gleich bereit sein, etwas zu akzeptieren, das aus dem Westen kommt – sie waren nämlich nicht behindert, bevor die NATO, eine westliche Organisation, mit ihren Bomben kam.
Westen wird vielfach gleichgesetzt mit NATO – und die hat schließlich damit begonnen, die Heimat dieser Menschen zu bombardieren.
Dennoch wird der Aufbau des verwüsteten Landes hoffentlich eine Gelegenheit für den Aufbau einer behindertengerechten architektonischen Umgebung sein.
Und man muß versuchen, effektive, ökonomische und alternative Ideen für behinderte Menschen zu propagieren. Die Rechte behinderter Menschen müssen Teil des Wiederaufbaus und der Demokratisierung der Region sein.