Justizminister: „Ich muss das Amt objektiv führen, ich muss sachlich entscheiden.“

Blickkontakt nimmt Herrn Bundesminister Dr. Böhmdorfer beim Wort!

In der ORF-Dokumentation Thema am 30. September 2002 – 21.10 Uhr – nahm Herr Bundesminister Dr. Böhmdorfer zur Frage – „Wieso sind blinde oder hochgradig sehbehinderte JuristInnen körperlich nicht für den Richterberuf geeignet?“ – Stellung. Doch die Aussagen können aus Sicht des Vereines Blickkontakt im Sinne der Objektivität und der Sachlichkeit der Diskussion – worauf auch der Justizminister hinwies – nicht unkommentiert bleiben.

Dr. Böhmdorfer: „Sie dürfen nicht vergessen, dass ein Richter ja auch Beweiswürdigungen durchzuführen hat.“

Blickkontakt: „Beweiswürdigung bedeutet ja nichts anderes, als zu beurteilen, welches Beweismittel (z. B. Zeuge, Sachverständiger, Ortsaugenschein …) – objektiv gesehen – das Beweisthema (z. B. War X um X Uhr am Ort X?) nachvollziehbar zu belegen in der Lage ist und welches – von mehreren – Beweismitteln dies am besten (glaubwürdigsten) tut. Eine derartige Würdigung sollte wohl ohne Zweifel jedem gut ausgebildeten Juristen möglich sein und ist auch in Verwaltungsverfahren, in denen eine Vielzahl von hochgradig sehbehinderten und blinden JuristInnen tätig sind, nötig.“

Dr. Böhmdorfer: „Er muss Lokalaugenscheine durchführen.“

Blickkontakt: „Ob überhaupt ein Lokalaugenschein durchgeführt wird, obliegt dem Ermessen des Richters; Lokalaugenscheine werden jedoch – je nach Sachmaterie – eher selten durchgeführt. Es spricht aber auch nichts gegen die Durchführung eines Lokalaugenscheines durch einen blinden oder hochgradig sehbehinderten Richter, da ja die optische Wahrnehmung nicht die einzige Wahrnehmungsform ist und örtliche Gegebenheiten auch durch den Tastsinn, das Gehör, den Geruch … wahrgenommen werden können. Letztlich kann der Ortsaugenschein ja auch durch die Beweisführung mittels eines Gerichtssachverständigen substituiert werden.“

Dr. Böhmdorfer: „Er muss Urkunden lesen, er muss Verträge lesen.“

Blickkontakt: „Der technische Fortschritt dürfte am Justizressort wohl vorbei gegangen sein, obwohl eben dort auch der für behinderte Menschen immer noch diskriminierende Entwurf für die Urheberrechtsgesetz-Novelle 2002 erarbeitet wurde. Ein Scanner liest gedruckte Texte ein, die dann mittels Sprachausgabe oder Braillezeile von blinden und hochgradig sehbehinderten Menschen völlig selbständig gelesen werden können.“

Dr. Böhmdorfer: „Er muss Zeugen einvernehmen.“

Blickkontakt: „Die Einvernahme von Zeugen läuft erfahrungsgemäß verbal ab, was ja in diesem Zusammenhang kein Problem darstellen dürfte. Sollte es sich jedoch um einen gehörlosen Zeugen handeln, der in Gebärdensprache kommuniziert, ist sowieso ein Gebärdensprachdolmetsch beizuziehen, der die Gebärden verbal wiedergibt.“

Dr. Böhmdorfer: „Er muss sich einen persönlichen Eindruck von diesen Zeugen machen können, von ihrer Mimik, von ihrer Körpersprachen, von ihren Gesten; ob sie jetzt bei der Wahrheit bleiben oder nicht, welche Zwischenbemerkungen sie machen und wie sie sich überhaupt vor Gericht verhalten.“

Blickkontakt: „Nun, der/die blinde oder hochgradig sehbehinderte Jurist/Juristin ist wohl mit den übrigen Sinnen unschwer in der Lage sich ein solches Gesamtbild von einem Zeugen zu machen. Insbesondere ist die akkustische Wahrnehmung weit ausgeprägter geschult als bei normalsichtigen JuristInnen; so kann etwa ein nervöses Hüsteln, Fingerknacken, Fußwippen, Fingerklopfen, vermehrter Speichelfluss … durchaus akkustisch wahrgenommen werden. Die Mimik oder Gestik ist zumeist kaum zuverlässiger als die akkustische Wahrnehmung. Zu dem kann so manche Gestik oder Körpersprache sogar akkustisch wahrgenommen werden – z. B. überhebliches oder geringschätziges oder gelangweiltes Lächeln – bzw. über die ausgestrahlte Energie gespürt werden – z. B. Aggression. Die angesprochenen Zwischenbemerkungen sind ebenfalls akkustisch wahrnehmbar und das Verhalten vor Gericht ergibt sich ja aus dem Gesamtauftritt bei der Einvernahme, der ja auch von einem blinden oder hochgradig sehbehinderten Richter unschwer objektiv beurteilt werden kann. Und der Wahrheitsgehalt einer Zeugenaussage ist ebenfalls vor dem Hintergrund des Gesamteindruckes zu beurteilen, wozu die Wahrnehmungsfähigkeiten blinder und hochgradig sehbehinderter Menschen – wie oben beschrieben – mindestens so zuverlässig geeignet sind wie jene normalsichtiger Menschen“

Dr. Böhmdorfer: „Das ist ein Kernbereich der Beweiswürdigung und die Kollegen in Graz sind eben der Auffassung, die Richter in Graz sind eben der Auffassung, dass man bei einer so stark eingeschränkten Sehkraft diese Voraussetzungen eben nicht mehr zur Gänze erfüllen kann.“

Blickkontakt: „Die Zivil- oder Strafprozessordnung qualifiziert die optische Wahrnehmung nicht höher als die übrigen Wahrnehmungsformen, so dass davon auszugehen sein wird, dass die akkustische und die optische Wahrnehmung gleichwertig sind. Ansonsten könnte man ja auch die Auffassung vertreten, dass die – gegenüber blinden oder hochgradig sehbehinderten Menschen – eingeschränkte akkustische Wahrnehmungsfähigkeit normalsichtiger JuristInnen eine mangelnde körperliche Eignung bedeutete.“

Dr. Böhmdorfer: „Es ist wichtig, dass ein Richter in seinem Beruf wirklich aufgeht, dass er ihn zu 100% erfüllt, sonst wird er darin nicht glücklich und nur ein in seinem Beruf glücklicher Richter ist auch ein guter Richter, da werden Sie mir beipflichten.“

Blickkontakt: „Das ist völlig richtig. Ein Argument mehr, dass auch blinde und hochgradig sehbehinderte JuristInnen für das Richteramt geeignet sind. Die Erfahrung hat ja gezeigt, dass behinderte Menschen im Beruf weit mehr Einsatz und Engagement zeigen und damit zumeist weit mehr als 100% leisten. Ausserdem sind sie es auch gewöhnt, laufend der vorurteilsbehafteten und skeptisch-ängstlichen Konkurrenz im Berufsbereich beweisen zu müssen, dass es doch geht und Vorurteile und Skepsis fehl am Platz sind.“

Dr. Böhmdorfer: „Ich muss dieses Amt objektiv führen, ich muss sachlich entscheiden.“

Blickkontakt: „Diesbezüglich sind wir ganz beim Herrn Justizminister.“

Dr. Böhmdorfer: „Man muss auch an andere Qualifizierte denken oder an solche, die eben, weil sie das Glück haben, nicht behindert zu sein, diese Voraussetzungen voll erfüllen.“

Blickkontakt: „Nun, wenn es tatsächlich um Qualifikation geht, so scheuen blinde und hochgradig sehbehinderte JuristInnen keine Konfrontation; auch Mag. Zweibrot braucht sie nicht zu scheuen, da ja sogar Bundesminister Böhmdorfer betonte, dass sie fachlich qualifiziert sei. Doch leider geht es nicht um den Vergleich von mehr oder weniger Qualifikation in einem juristischen Beruf. Die Behinderung als solche disqualifiziert offenbar von vornherein, wie dieses Statement unmissverständlich zeigt. Und wie passt das mit Art. 7 Abs. 1 dritter Satz B-VG – Benachteiligungsverbot für behinderte Menschen – und der bis 3. Dezember 2003 umzusetzenden Richtlinie 2000/78/EG, in der es um Gleichbehandlung auch behinderter Menschen in Beschäftigung und Beruf geht, zusammen?“

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