Kommentar zum Behindertengleichstellungsgesetz
Ob ein bis zur Hälfte gefülltes Glas als halb voll oder halb leer gesehen wird, liegt bekanntlich im Auge des Betrachters und ist in erster Linie wohl eine Frage der Interpretation.
Beide Sichtweisen haben dabei sicher ihre Berechtigung, wobei es nur allzu menschlich ist, dass manche, die das Glas als halbvoll betrachten der Meinung sind, die anderen, die das Glas als halbleer betrachten, sehen das falsch, während manche die das Glas als halbleer betrachten auch nicht selten der Meinung sind, dass alle, die das Glas als halb voll sehen, völlig auf dem Holzweg sind.
Ähnlich ist es auch beim Thema Behindertengleichstellungsgesetz: Es gibt Personen, die im Behindertengleichstellungsgesetz vor allem die darin vorgesehenen Verbesserungsschritte in Richtung Gleichstellung sehen, während andere beharrlich darauf hinweisen, was darin noch fehlt. Franz-Joseph Huainigg zum Beispiel, den ich persönlich sehr schätze, gehört dabei eher zu jenen Personen, die das Glas des Behindertengleichstellungesetzes, nicht zuletzt wohl wegen seiner Funktion als Behindertensprecher der ÖVP, als halb voll betrachten. Damit das Glas der Behindertengleichstellung allerdings voller wird, braucht es auch jene engagierten Menschen wie z.B die VertreterInnen des Aktionsbündnisses „Österreich für Behindertenrechte“, die immer wieder auf die Mängel dieses Gesetzes hinweisen.
In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, warum sich seitens der regierenden Parteien niemand von vorneherein für ein gefülltes Glas stark gemacht hat, anstatt sich mit einem halbleeren Glas zufrieden zu geben, das dann in mühsamer Kleinarbeit tröpfchenweise aufgefüllt werden muss.
Unabhängig davon, ob man das halbgefüllte Glas der Behindertengleichstellung in Österreich nun als halb voll oder halb leer betrachtet , ist es eine unumstrittene Tatsache, dass es in vielen Bereichen des Lebens für Menschen mit Behinderung auch nach dem Inkrafttreten des Behindertengleichstellungsgesetzes noch immer ein langer Weg zur Gleichstellung ist. Ein offener Brief, den Franz Joseph Huainigg vor kurzem veröffentlicht hat, könnte bei manchen Menschen, die diesen Brief lesen, euphorische Hoffnungen wecken. Wer allerdings glaubt, dass am 1.1. 2006 für alle Menschen mit Behinderung in allen Bereichen des Lebens das Recht auf Gleichstellung im Alltag spürbar wird, der wird enttäuscht sein.
Es ist unbestritten, dass zumindest die Anerkennung der österreichischen Gebärdensprache als ein Meilenstein auf dem Weg zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung in unserem Land zu betrachten ist, doch in vielen Bereichen ist das derzeit vorliegende Behindertengleichstellungsgesetz noch zu schwach, um unmittelbar spürbare Verbesserungen im Alltag von Menschen mit Behinderung zu bewirken.
Einer der größten Mängel an diesem Gesetz liegt meiner Meinung nach in der sehr großzügigen Übergangsfrist für Barrierefreiheit. Damit die Möglichkeit der Bekämpfung von bestehenden Barrieren nicht noch auf viele weitere Jahre hinausgezögert wird, halte ich eine Übergangsfrist von bis zu 10 Jahren eindeutig als viel zu lang. Wer wie ich fast täglich mit dem Rollstuhl öffentliche Verkehrsmittel benutzt oder wer sich je am Wohnungsmarkt um eine barrierefreie Wohnung bemüht hat, weiß, was ich meine.
Hier Vergleiche mit anderen europäischen Ländern anzustellen, die noch längere Übergangsfristen vorsehen, finde ich wirklich bedenklich. Wir sollten uns lieber an Ländern orientieren, wo Menschen mit Behinderung mit ihren Gleichstellungsrechten positive Erfahrungen machen, anstatt zu argumentieren, dass es Staaten gibt, die hier noch schlechtere Bedingungen bieten.
Erst vor kurzem, als ich mit dem Zug von Linz nach Graz fuhr, wurde mir wieder bewusst, wie dringend notwendig insbesondere die Barrierefreiheit des öffentlichen Verkehrs in Österreich wäre. Es gibt im Jahr 2005 noch keine einzige Zugverbindung zwischen der zweit- und drittgrößten Stadt Österreichs, bei der man mit einem Faltrollstuhl – geschweige denn mit einem Elektrorollstuhl in den Fahrgastraum hineinkommt und daran wird sich wohl auch 2006 nichts ändern. Weitere 10 Jahre auf einen wirklich barrierefreien Zug zu warten, empfinde ich, in Anbetracht der heutigen modernen technischen Möglichkeiten, als unnötige Zumutung. Im Vergleich zu anderen europäischen Industrieländern sind wir hier in Österreich noch ein Entwicklungsland.
Eine weiterer Mangel des österreichischen Behindertengleichstellungsgesetzes ist die Tatsache, dass es zwar einen materiellen und immateriellen Schadenersatz bei Verletzung des Diskriminierungsverbotes bietet, aber keinen Anspruch auf Unterlassung und Beseitigung. Weiters sieht das Behindertengleichstellungsgesetz ein relativ schwaches Verbandsklagerecht vor: Die nun beschlossene Regelung enthält nämlich nur ein Vorschlagsrecht der ÖAR für eine Verbandsklage. Dieser Vorschlag braucht dann eine 2/3 Mehrheit im Bundesbehindertenbeirat. Es ist nicht einzusehen, warum die ÖAR hier eine Monopolstellung erhält und alle anderen Behindertenverbände davon ausgeschlossen sind und das Einbringen einer Verbandsklage nur in Form eines Vorschlages und nur über den Bundesbehindertenbeirat möglich ist.
Sofern Franz-Joseph Huainigg und ich in 10 Jahren überhaupt noch leben und nicht inzwischen eine andere Bundesregierung die festgelegten Übergangsfristen des Bundesgleichstellungsgesetzes noch großzügiger erweitert hat, würde ich gerne mit ihm die erreichten und inzwischen im Alltag spürbaren Gleichstellungsrechte in einem barrierefreien Lokal, das mit barrierefreien sanitären Anlagen ausgestattet ist und das ich mit einem barrierefreien öffentlichen Verkehrsmittel erreicht habe, bejubeln und feiern.
michael,
10.04.2006, 15:08
frage: suche für Rollstuhlkind und mich(singl mit Kind) Urlaubsangebote, In- wie Ausland, sowie Rollstuhlplakette fürs auto, wo bekomme ich diese infos? im voraus DANKE
margarete aulehla,
29.08.2005, 15:12
Art 7 Abs.1 2. Satz B-VG legt fest, dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf.
Dieser grundlegenden Bestimmung, die den Gleichheitsgrundsatz hinsichtlich Behinderung präzisiert, wurde durch das vorliegende Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz jedenfalls hinsichtlich des Bildungsbereiches, der ja ganz existentiell für die Möglichkeiten, die einen behinderten Menschen, zumal auch einem behinderten Kind, einer/en behinderte/n Jugendliche/n hier in Österreich offenstehen, jedenfalls NICHT Genüge getan.
Vielmehr muss leider der Eindruck entstehen, als habe sich der Gesetzgeber geradezu dagegen absichern wollen, dass in Zukunft Ansprüche, die sich auf die Übertretung des in § 4 des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes festgelegten Diskriminierungsverbotes stützen, von den Betroffenen behördlich geltend gemacht werden.
Die in § 5 des genannten Gesetzes vorgenommenen Legaldefinitionen der unmittelbaren bzw. mittelbaren Diskriminierung lassen Zweifel daran aufkommen, ob entscheidende Verbesserungen im Schulbereich daraus abgeleitet werden können.
Eine Vielzahl von schulgesetzlichen Bestimmungen inkl. Verordnungen (Lehrplänen) gehen immer noch durch „Behinderung“ eingeschränkten Bildungsfähigkeit der betroffenen Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen aus und verunmöglichen dementsprechend einen entwicklungsadäquaten bzw. auf den konkreten zu bildenden Menschen bezogene Schul- und Berufsausbildungsweg.
Um hier einige Beispiele zu nennen: Unser „Kastelsystem“ an Schulstufen und – formen, in denen SchülerInnen mit „sonderpädagogischem Förderbedarf“ nur unter einem ausgesprochenen Hürdenlauf bis zu einer Reifeprüfung oder einem Lehrabschluss lernen können. Wenn diese Möglichkeit ihnen überhaupt offen steht.
Zu oft und lange im Krankenhaus gewesen? Zu viele Schulstunden versäumt? Schon zu lange in der Schule gewesen? Zu alt? Am falschen Ort wohnhaft, wo sich kein entsprechende Schule befindet? usw. usf.
So gesehen erweisen sich die feststellbaren Barrieren leider zu einem großen Teil als solche, die nicht (nur) sichtbar in Form von Zugangsbeschränkungen zu Gebäuden uäm. bestehen, sondern unsichtbar sind bzw. nur für diejenigen in vollem Ausmaß merkbar, die von ihnen unmittelbar betroffen sind bzw. den Personen, die unmittelbar Anteil nehmen am Bildungsweg von behinderten Kindern, Jugendlichen und (v.a. auch jungen) Erwachsenen: An erster Stelle sind hier die Betroffenen selbst bzw. ihre Angehörigen.
Es ist zu wünschen, dass das Gläschen der Gleichstellung in Zukunft mehr als jene Substanz enthalten wird, die zur sogenannten „Augenauswischerei“ benötigt wird. Man verzeihe mir den kräftigen Ausdruck im vorigen Satz.