Kein „unwertes Leben“

Schwangerschaftsabbruch: Frau soll selbst entscheiden

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Leserbrief in den Salzburger Nachrichten:

Im „Staatsbürger“ vom 22. 5. 1999 hielt Senatspräsident i. R. des OLG Wien Dr. Egon Prinz die – mißverständlich so bezeichnete – eugenische Indikation beim Schwangerschaftsabbruch (§ 97 Abs. 1 Z 2 StGB) für „den letzten Rest der Lehre vom unwerten Leben“ und ein Relikt der Nazizeit. Diese auch sonst gelegentlich vertretene Meinung ist unrichtig.

Die Regelungen des Strafgesetzbuchs zur Abtreibung sind vielmehr insgesamt auf eine Neubewertung der Rolle des Strafrechts zurückzuführen, nämlich auf dessen geringe Eignung zum Schutz des Rechtsguts des werdenden Lebens und auf eine Höherbewertung des Selbstbestimmungsrechts der Frau (das mit dem Lebensanspruch des Embryo in Konflikt stehen kann).

Diese Neubewertungen haben zur Ablehnung einer unter Strafdrohung stehenden Verpflichtung der Frau zum Austragen des Kindes in Konfliktfällen geführt, wobei die Fristenregelung sozusagen die zu Ende gedachte Indikationenregelung darstellt: die betroffene Frau stellt die Indikation zum Abbruch der Schwangerschaft auf Grund ihrer persönlichen Lebens- und Konfliktsituation selbst.

Alle Rechtfertigungsgründe für den Schwangerschaftsabbruch (Drei-Monats-Frist, medizinische Indikation, Unmündigkeit wie auch die – zutreffender so bezeichnete – embryopathische Indikation) beruhen auf der Erwägung, daß es für die Frau unzumutbar ist, vor die Wahl gestellt zu werden, in einer als belastend empfundenen Konfliktsituation entweder ein Kind austragen zu müssen oder bestraft zu werden.

Wenn die Rechtsordnung deshalb die höchstpersönliche Entscheidung einer Frau, ein voraussichtlich geistig oder körperlich schwer geschädigtes Kind nicht gebären zu wollen, auch nach dem dritten Schwangerschaftsmonat straffrei stellt und damit gleichsam in die Kompetenz des individuellen Gewissens entlässt, kann und darf daraus nicht geschlossen werden, daß die Geburt eines behinderten Kindes ein Unwert wäre.

Es geht dabei keineswegs um die Verhinderung erbkranken Nachwuchses oder um staatliche Nachwuchslenkung, sondern allein um die Anerkennung der Angst der Frau bzw. den Verzicht auf Strafdrohung! Da die ernste Gefahr der schweren Schädigung des Kindes zum Teil erst nach dem dritten Monat beurteilbar ist, ist die embryopathische („eugenische“) Indikation nichts Anderes als eine „verlängerte Fristenregelung“.

Wesentlich ist, dass die Frau selbst (nach Beratung) die Entscheidung über den Abbruch trifft und niemand anderer, schon gar nicht der Staat. Diese Autonomie der Frau hat mit Nazi-Ideologie nichts zu tun. Um der Frau diese (schwere) Entscheidung im Fall zu erwartender Behinderung des Kindes zu ermöglichen, muss man ihr aber nicht die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihrer eigenen psychischen Gesundheit unterstellen, wie das der deutsche Gesetzgeber vor kurzem getan hat, indem er die embryopathische Indikation in der medizinischen hat aufgehen lassen.

Dieser (auch von Dr. Prinz empfohlene) Umweg erscheint wenig ehrlich und droht überdies letztlich wieder zur Bevormundung und Stigmatisierung der Frau – also hinter den Grundgedanken der Fristenregelung – zurückzuführen.

Von Dr. Roland Miklau, Sektionsleiter, Justizministerium

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