Kier: „Als würde man Kindern ihre Muttersprache nehmen …“

Liberale für ein Recht auf Zweisprachigkeit für Gehörlose

Volker Kier
Kier

Die Entwicklungs- und Bildungssituation von gehörlosen Menschen in Österreich diskutierten gestern Abend Volker Kier, Menschenrechtssprecher des Liberalen Forums, und Helene Jarmer, Generalsekretärin des Österreichischen Gehörlosenbundes und Nationalratskandidatin der Liberalen. Moderiert wurde die Veranstaltung „Gehörlose – zweisprachig ins 21. Jahrhundert“ von Christine Hahn, Wiener Kandidatin für den Nationalrat.

„Mit der Anerkennung der Gebärdensprache vor Gerichten mit Beginn des Jahres ist diese zwar de facto als eigene Sprache anerkannt worden, doch zur vollkommenen Gleichberechtigung von Gehörlosen ist es noch ein weiter Weg“, so Kier. „Denn solange nicht bei der Früherziehung, in den Schulen und bei der Berufsausbildung alle möglichen Integrationsmaßnahmen für Gehörlose selbstverständlicher Standard sind, bleiben gehörlose Menschen vielfach ausgeschlossen.“

Gehörlosigkeit wird heute nach wie vor oft als Krankheit definiert. Dies ist auch der Grund, warum Eltern von gehörlosen Kindern zuallererst einen Arzt kontaktieren. Dieser konzentriert sich naturgemäß auf die Behebung eines Defektes und stattet das Kind mit einem Gehörbehelf aus, der es ihm ermöglichen soll, vage Geräusche wahrzunehmen.

Zusätzlich wird den Eltern erklärt, ihren Kindern könne geholfen werden – vorausgesetzt, sie lernen, schön zu sprechen und Lippen zu lesen. „Auf diese Weise werden bei den Eltern falsche Hoffnungen geweckt, denn hier handelt es sich um einen großen Irrtum. Solange man versucht, Gehörlose an die Welt der Hörenden anzupassen, kann ihre Sprachkompetenz nicht über die eines Kleinkindes hinausgehen“, kritisierte Jarmer diesen Zugang.

Dass es Gehörlosen nämlich sehr wohl möglich ist, sehr früh große Sprachkompetenz zu entwickeln, zeigten die Veranstalter anhand eines Videos, das Unterricht für Gehörlose in Amerika und in Österreich vergleichend darstellt. Anders als in Österreich haben Gehörlose in Amerika einen Rechtsanspruch auf zweisprachige Erziehung.

Sie lernen sowohl die Schrift- als auch die Gebärdensprache. Bereits im Kindesalter können SchülerInnen in amerikanischen Gehörlosenschulen komplexe Inhalte austauschen, während Gleichaltrige in Österreich gerade einmal lernen, sich vorzustellen.

„Dies ist insofern nicht verwunderlich, als LehrerInnen bei uns nur 40 Stunden Teilnahme an einem Gebärdensprachkurs nachweisen müssen, um gehörlose SchülerInnen unterrichten zu dürfen. Außerdem müssen sie keine Prüfung ablegen. Und das heißt, dass GehörlosenlehrerInnen in Österreich nicht einmal der Gebärdensprache mächtig sein müssen“, kritisierte Jarmer das österreichische Ausbildungssystem für Gehörlose.

Sie forderte deshalb, dass eine entsprechende Ausbildung und der Erwerb von Gebärdensprachkenntnisse für GehörlosenlehrerInnen gesetzlich verankert werden müsse. „Ziel unserer Bemühungen ist es, dass gehörlose oder gehörbeeinträchtigte Kinder ganz normal mit ihrer ‚Muttersprache‘, der Gebärdensprache, aufwachsen können“, fasste Volker Kier zusammen. Denn nur so sei es für sie möglich, später in das Berufsleben einzusteigen. Dazu gehöre auch die Anerkennung der Gebärdensprache in Ämtern und Behörden.

„Gehörlosen die Möglichkeit auf Zweisprachigkeit zu nehmen ist für mich vergleichbar damit, Kindern ihre Muttersprache wegzunehmen“, führte Kier weiter aus. In seiner Funktion als Sozialsprecher forderte er daher das Recht gehörloser Schüler auf zweisprachigen Unterricht, bezahlten Gebärdensprachenunterricht für Eltern gehörloser Kinder, die Finanzierung einer Ausbildungsstätte für Gebärdensprachdolmetscher sowie eine feste ORF-Sendezeit für Gehörlose und detaillierte Untertitel bei Informationssendungen.

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