Klagsverband diskutiert: Diskriminierungsschutz für gehörlose Personen

In Kooperation mit dem Österreichischen Gehörlosenbund (ÖGLB) und equalizent hat der Klagsverband zur Diskussion am 13. Juni 2017 eingeladen: Informiert und diskutiert wurde über die Rechtssituation von gehörlosen Personen in Österreich, Diskriminierungserfahrungen, Schlichtungen und Gerichtsverfahren.

Klagsverband. Mit Recht gegen Diskriminierung.
Klagsverband

Das Interesse war groß, der Veranstaltungsraum im Haus des ÖGLB trotz frühsommerlichen Wetters gut gefüllt. Auch der neue Behindertenanwalt Hansjörg Hofer war anwesend.

Am Podium diskutierten Lukas Huber, der Generalsekretär des ÖGLB, Andrea Ludwig, die Leiterin der Rechtsdurchsetzung beim Klagsverband und Matthias Fenkart von equalizent. Moderiert wurde die Veranstaltung von Daniela Almer.

Fehlende Untertitel: die Erste

Lukas Huber berichtete von einem Verfahren, das er vor einigen Jahren gegen den ORF geführt hat: Es ging dabei um eine vom ORF produzierte DVD, die keine Untertitel hat und somit für gehörlose Personen unbrauchbar ist.

Die Schlichtung mit dem ORF scheiterte, weil vom Österreichischen Rundfunk niemand erschienen ist. Daraufhin habe er sich für den Gerichtsweg entschieden, erzählte Huber. Diese Möglichkeit ist nach dem Behindertengleichstellungsrecht erst offen, wenn die Schlichtung gescheitert ist.

Richtungsweisendes Urteil

Andrea Ludwig erklärte, dass es sich bei fehlenden Untertiteln um „kommunikationstechnische Barrieren“ und damit eine mittelbare Diskriminierung im Sinne des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes handelt.

Dem Kläger wurde in erster und in zweiter Instanz Recht gegeben: Es sei dem ORF wirtschaftlich zumutbar gewesen, die DVD mit Untertiteln auszustatten, lautet die Urteilsbegründung. Der ORF wurde zu einem Schadenersatz von 1.000 Euro verurteilt.

Lukas Huber meinte bei der Diskussion, Unternehmen sollten die Schadenersatzzahlungen auch „spüren“. Er könnte sich deshalb vorstellen, weitere Verfahren zu führen und höhere Summen einzuklagen.

Für Andrea Ludwig ein verständliches, aber nur schwer umsetzbares Anliegen, weil österreichische Gerichte dazu tendieren, niedrige Schadenersatzbeträge zuzusprechen. Außerdem sei die konkrete Berechnung des Schadenersatzes in der Praxis nicht ganz einfach. Dieser setze sich nämlich aus dem Vermögensschaden aber auch aus dem immateriellen Schaden zusammen. Die Höhe des immateriellen Schadens sei oft nicht ganz einfach zu beziffern.

Realpolitische Konsequenzen und Herausforderungen

Ein solches Urteil könne über den Einzelfall hinaus realpolitische Auswirkungen haben, berichtete Huber. ORF-Generaldirektor Wrabetz habe nach dem Gerichtsverfahren das Gespräch mit ihm gesucht und ihm versichert, Eigen- und auch Koproduktionen zukünftig immer mit Untertiteln auszustatten.

Fehlende Untertitel: die Zweite

Trotz aller Beteuerungen seitens des ORF musste Lukas Huber erneut einen Antrag auf Schlichtung mit dem Österreichischen Rundfunk einbringen: Der Grund dafür war die ORF TVthek, in der bis 2008 Sendungen ohne Untertitel zur Verfügung gestellt wurden.

Die Schlichtung war erfolgreich und es wurde eine Arbeitsgruppe eingerichtet, in der Huber an der Entwicklung einer barrierefreien Online-Mediathek mitwirken konnte. Allerdings gestaltete sich die Arbeit in der Gruppe schwierig, von Seiten des ORF gab es zahlreiche Widerstände und schlussendlich musste Lukas Huber die Leistungen aus der Schlichtungsvereinbarung doch noch einklagen.

Dieses Verfahren endete mit einem Vergleich, führte aber immerhin dazu, dass der ORF seine TVthek schlussendlich mit Untertiteln ausstattete.

Ausbildung und Arbeitsmarkt

Matthias Fenkart stellte das Schulungs- und Beratungsunternehmen equalizent vor. Obwohl Gehörlose bei equalizent ein breites Angebot bekommen, um sich für den Arbeitsmarkt zu qualifizieren, gibt es für diese Zielgruppe viele Hürden auf dem Weg zum Arbeitsplatz.

Anforderungsprofile, Prüfungsmodalitäten und formale Voraussetzungen seien oft nicht barrierefrei und würden gehörlose Personen ausschließen. Auch Umschulungen würden sich oft schwierig gestalten, berichtete Fenkart: Oft würden keine Gebärdensprachdolmetscher_innen zur Verfügung gestellt oder Kurse aufgrund der geringen Anzahl an Teilnehmer_innen nicht zustande kommen.

Gehörlose seien oft vom „good will“ der Ausbildungs- und Umschulungseinrichtungen abhängig, lautete das Resümee von Matthias Fenkart. Notwendig wären seiner Meinung nach strukturelle Veränderungen der Bildungs- und Arbeitsmarktsituation von Gehörlosen, aber auch mehr Rechtsbewusstsein und Gesetzesänderungen.

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