Kommentar zum Interview: Naivität oder Unwissenheit?

Was hat den Bundessprecher der Grünen, Prof. Alexander Van der Bellen, dazu bewogen eine Sterbehilfediskussion zu initiieren? Wir wissen es nicht.

Alexander Van der Bellen
GRÜNE

Dammbruch der Grünen
Er selbst sagt im Interview, daß man vor einen „Dammbruch“ der Ethik wachsam sein muß. Dies ist eine durch und durch naive Aussage, da er genau diesen Dammbruch mit herbeiführt. Doch nun der Reihe nach. Bis Juni 2001 waren sich alle Parteien in Österreich einig, daß Sterbehilfe abzulehnen ist und die Sterbebegleitung auszubauen sei.

Ende Juli 2001 sprach sich völlig überraschend der Gesundheitssprecher der Grünen, Dr. Kurt Grünewald, für passive Sterbehilfe in bestimmten Fällen aus. KritikerInnen der passiven Sterbehilfe wiesen immer daraufhin, daß dies unmittelbar zur aktiven Sterbehilfe führen würde. Die grüne Behindertensprecherin, Theresia Haidlmayr, sprach sich vehement gegen Grünewalds Vorschlag aus: „Wenn ich heute die passive Sterbehilfe erlaube, mache ich automatisch die aktive auf“.

Wie zur Bestätigung dieser These forderte Van der Bellen einige Tage später die Möglichkeit der aktiven Sterbehilfe. Der Dammbruch war vollzogen; die Grünen hatten ihn innerhalb weniger Tage geschafft.

Kein Schwarz-Weiß
Dieses Thema eignet sich nicht für ein Schwarz-Weiß Denken. Argumente wie „Die Nazis haben gezeigt wo das hinführt“ sind nicht hilfreich; wenn vielleicht auch richtig.

Bleiben wir in der Gegenwart.
Faktum ist, daß in den Niederlanden – wo aktive Sterbehilfe erlaubt ist – mindestens 1000 Personen getötet wurden, ohne sie um Zustimmung zu fragen. Faktum ist weiters, daß viele geistig behinderte Menschen getötet wurden und in Österreich eine Umfrage ergab, daß fast ein Viertel dafür wäre, daß Angehörige entscheiden, ob geistig behinderte Menschen getötet werden sollen.

Ähnlich auch die Ergebnisse einer Umfrage unter PflegerInnen. Je höher die Unzufriedenheit mit ihrer Arbeit, umso höher die Zustimmung zur Sterbehilfe. Das sollte zu denken geben. Gerade in Wien hatten wir vor 10 Jahren den Skandal um Lainz, wo Schwestern unliebsame PatientInnen töteten.

Andererseits ist auch zu berücksichtigen, daß Betroffene sich oft nutzlos fühlen und meinen, ihrer Umwelt nur zur Last zu fallen. Sie sehen keine Perspektive mehr und wollen daher sterben. Diesem Prozeß muß man entgegenwirken. Sterbebegleitung muß mehr als ein Schlagwort sein; hier haben wir noch großen Nachholbedarf. Humanes Sterben muß zur Alltagskultur werden. Aktive Sterbehilfe ist nur ein scheinbarer Ausweg.

Grüne Wertediskussion
Die Behindertenbewegung ist wieder einmal schockiert, welche Position Teile der Grünen Partei eingenommen haben. In letzter Zeit gab es Unmut darüber, daß die Grünen nicht geschlossen und einheitlich gegen einen Schwangerschaftsabbruch bis zur Geburt von behinderten Föten aufgetreten sind.

Und nun die Diskussion um die aktive Sterbehilfe. Welches Menschenbild – insbesonders welches Bild von behinderten Menschen – hat die Grüne Partei? Eine Frage, die schleunigst und umfassend beantwortet werden muß. Ein Verweis auf irgendwelche Parteibeschlüsse ist da nicht zielführend. Dies ist anhand der Praxis und der bezogenen Positionen zu diskutieren.

Wohin das führen kann?
Die Presse hat von Van der Bellens Vorstoß – wie viele andere Medien auch – berichtet. Bezeichnend war das Bild eines Rollstuhlfahrers, der von hinten fotografiert wurde und unter dem zu lesen stand: „Erleichterung für ein Leben mit Schmerzen“. Eine journalistische Fehlleistung ersten Ranges – für die sich die Presse auch entschuldigt hat.

Ist Van der Bellen naiv?
Der Bundessprecher der Grünen meint im Interview zur Beziehung Sterbehilfe: „Mit Behinderung und alten Menschen hat das wirklich NICHTS zu tun“.

Wirklich? Angesichts der Fakten kann diese Behauptung nicht guten Gewissens aufrecht erhalten werden. Behinderte Menschen werden dadurch in die Gefahr gebracht – mit oder ohne ihren Willen – getötet zu werden. Ebenso naiv ist es, zu glauben, daß man diesen Bereich gesetzlich limitieren kann. Die Niederlande beweisen uns täglich das Gegenteil.

Eines ist sicher:
Zur Tagesordnung wird man angesichts dieser Aussagen nicht gehen können. Hier geht es um unsere Lebensrechte.

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