Interview in den Salzburger Nachrichten.mit Johannes Huber, Vorsitzender der jüngst geschaffenen Bioethik-Kommission.

SN: Sie haben es in Österreich gerade auf dem Gebiet der Gentechnik mit einem sehr fortschrittsfeindlichen Klima zu tun.
Huber: Das ist im deutschsprachigen Raum generell so, das hat auch mit unserer Geschichte und der Hypothek des Dritten Reiches zu tun. Ich war dieser Tage in London, da herrscht eine ganz andere Mentalität.
SN: Wie anders?
H: Sehr wissenschaftsfreundlich, sehr wissenschaftsoffen, fast schon amerikanisch optimistisch, was die Wissenschaft betrifft, was natürlich auch zu viel ist. Aber nehmen wir als Beispiel die Entstehung des Lebens: Embryonen „in vitro“, also in der Glasschale, können allein nicht zu Menschen werden, sie brauchen die Mutter, die Einnistung in der Gebärmutter. Im angelsächsischen Denken ist das ein wichtiger Aspekt, der uns fehlt. Wir gehen hier eher zum Genom und sagen, wenn das Genom da ist, dann ist der Mensch praktisch fertig.
SN: Mit der Befruchtung der Eizelle.
H: Richtig, hingegen sagen die Angelsachsen, das ist ein Schritt, ein bedeutender Schritt. Aber der Mensch wird erst zum Menschen durch die Mutter. …
SN: Sie würden also sagen, menschliches Leben beginnt im Mutterleib …
H: Leben ist ja auch schon die Eizelle. Das Leben hat verschiedene Phasen, sagen wir es so, das ist korrekter. Es lebt auch schon die nicht befruchtete Eizelle. Es lebt auch schon der Samenstrang. Die Befruchtung ist ein ganz entscheidender Schritt, die Einnistung ist ein weiterer entscheidender Schritt. Aber es gibt immer wieder Quantensprünge. Ein Quantensprung ist die Befruchtung, ein anderer ist die Nidation (Einnistung in der Gebärmutter, Anm.).
SN: Sie haben die Diskussion über die Forschung an embryonalen Stammzellen und die Verwendung von Embryos für wissenschaftliche Zwecke in Österreich in Gang gebracht, indem Sie die heimischen Gesetze als restriktiv kritisierten. Der EU-Forschungskommissar forderte auf, sich Gedanken über die überzähligen befruchteten Eizellen zu machen, die bei einer künstlichen Befruchtung nicht verwendet, vorübergehend eingefroren und derzeit nach einem Jahr vernichtet werden.
H: Richtig. Wir hätten in Österreich zwei Möglichkeiten gehabt. Entweder eine Leermeldung abzugeben und mitzuteilen, die intellektuellen Kräfte in Österreich haben dazu keine Meinung. Oder wir beginnen darüber zu reden. Was ich induzieren wollte, war nur das Gespräch. Wir leben nicht mehr hinter den sieben Bergen bei den Zwergen, sondern wir müssen uns darüber den Kopf zerbrechen.
SN: Können Sie Ihre Position konkretisieren?
H: Ja, die ist relativ klar. Was die konkrete Situation der kryokonservierten Embryonen betrifft, so ist die derzeitige Regelung, nämlich nach einem Jahr die Embryonen zu töten, die schlechteste von allen. Und es tut einem Arzt natürlich extrem das Herz und das Gewissen weh, wenn er das machen muss. Dass wir daher ein Recht haben, unzufrieden zu sein, muss jeder akzeptieren, denn wir müssen auch die Embryonen töten. Eine Lösung, und damit hätten wir die Diskussion sofort vom Tisch, wäre, die Embryonen zur Adoption freizugeben. Das hat sicher auch Probleme, ist aber wert, diskutiert zu werden. Wenn das nicht geht, ist es wahrscheinlich immer noch besser, die Embryonen nicht zu zerstören, sondern sie zum Beispiel schwerstkranken Kindern im Mutterleib zu implantieren und damit eine Therapie vorzunehmen – was auch schon gemacht wird. Auch das halte ich für das kleinere Übel.
SN: Und Embryonen für Forschungszwecke zu verwenden?
H: Wenn man das als Forschung bezeichnen kann, ist es Forschung im weitesten Sinn im Zusammenhang mit einer Therapie.
Mit Embryonen verbrauchend zu forschen, ist ähnlich, wie sie zu töten. Da ist aber momentan die Wissenschaft auf dem Standpunkt, dass man eigentlich mit adulten Stammzellen (vom geborenen Menschen, Anm.) mehr kann als mit embryonalen Stammzellen. Also der Forschungsbedarf ist nicht so sehr das Primäre, sondern dass man Mittel und Wege finden sollte, dass man die überzähligen Embryonen (die bei der künstlichen Befruchtung nicht mehr verwendet werden, Anm.) nicht töten muss. Der eleganteste Weg wäre sicherlich, sie zur Adoption freizugeben.
Wenn das nicht geht, wäre eine zweite Alternative – und dazu ist Forschung notwendig – sie für die Therapie einzusetzen. Also nicht um des Forschens willen zu forschen, sondern, um sie therapeutisch zu nützen – zum Beispiel für einen Embryo in der 8. oder 12. Woche, der ein schweres Leiden des Blutgefäßsystems hat. Dieser Embryo würde abgetrieben werden. Hier gibt es nun Ansätze, dass man Stammzellen aus „in vitro“ gezeugten Embryonen benützt, um diesen Embryo im Mutterleib zu heilen. Das halte ich ethisch noch immer für besser und für das kleinere Übel, als die Embryos einfach zu vernichten.
„Ökonomische Interessen im Hintergrund“
SN: Sie würden aber nicht befürworten, dass man Embryonen ausschließlich für die Forschung züchtet, wie das bereits in den USA der Fall ist?
H: Nein, das halte ich auch deshalb für sinnlos, weil wir wissenschaftlich noch nicht genau wissen, welche Vorteile das hätte. Alle großen wissenschaftlichen Arbeiten, alle wirklich guten Arbeiten, sind mit adulten Stammzellen gemacht.
SN: Warum stürzt man sich dann jetzt dennoch so auf Embryos?
H: Weil die vorhanden sind und weil da möglicherweise ein Markt entsteht. Das muss man offen sagen. Hier sind schon unter Umständen ökonomische Interessen im Hintergrund. Nur Faktum ist, und das sage ich als Naturwissenschafter: Die wirklich entscheidenden Arbeiten wurden mit adulten Stammzellen gemacht. Wenn man sich die Ergebnisse auf diesem Gebiet anschaut, sind sie um vieles den Ergebnissen mit embryonalen Stammzellen überlegen.
SN: Welche Ergebnisse etwa?
H: Umwandlung von adulten Stammzellen in Krebsfresszellen etwa, Umwandlung in Neuronen, in Leberzellen…
SN: … die könnte man implantieren…
H: … ja, und zweifellos ein Kompromiss sind die Stammzellen aus der Nabelschnur. Die haben auch noch manche embryonalen Charakteristika, sind aber adult und es muss kein Embryo zerstört werden. Wir haben das Problem der embryonalen Stammzellen schon länger auf uns zukommen sehen und haben deswegen ein Boltzmann-Institut zur Erforschung von Stammzellen aus dem Nabelschnurblut ins Leben gerufen, um eben die ganze Diskussion über die embryonalen Stammzellen zu entschärfen, um eine Lösung zu finden, die ethisch akzeptabel ist. Darum habe ich es als besonders unfair empfunden, wenn gerade der ökumenische Rat sich hier so kritisch gegen unsere Initiativen äußert, die eigentlich gegen das Töten von Embryonen und gegen das Forschen an ihnen gerichtet sind. Wir sagen seit Jahren: Warum kann man sich die Adoption nicht als Lösungsvorschlag anschauen?
SN: Hier herrschen in der Öffentlichkeit ganz offensichtlich auch große Informationsdefizite.
H: Die Politiker haben gesehen, hier herrscht ein Informationsnotstand, hier müssen wir etwas tun. Diesen Rat könnte man auch der Kirche geben. Denn wenn vor zwei Wochen der Bischof Küng die Keimzelltherapie als sinnvoll in den Medien erklärt, etwas, wo die ganze wissenschaftliche Welt sagt, das wäre die größte Versuchung, dann kann ich das nur auf Uninformiertheit zurückführen, sonst könnte er das als Bischof nicht begrüßen. Das ist symptomatisch für viele Defizite in der Information – auch in der katholischen Kirche. Bevor sie falsche Meldungen herausgeben, wäre es gescheiter, sich vorher besser zu informieren. Das muss man der Kirche sagen.
SN: Sehr kontrovers wird auch die Diskussion über die Präimplantationsdiagnostik geführt: dass man also befruchtete Eizellen, bevor sie in die Gebärmutter implantiert werden, auf mögliche Gendefekte hin untersucht. Viele Mediziner befürworten das, vor allem die Kirche und Moraltheologen lehnen das ab.
H: Auch da gäbe es einen Kompromiss, den man ohne Bürgerkrieg andiskutieren könnte. Es gibt schwerste Behinderungen, schwerste Missbildungen, die mit dem Leben kaum oder nur kurze Zeit vereinbar sind. Ich glaube, man muss einer Frau das Recht zugestehen zu sagen: „Das möchte ich wissen, ich möchte nicht neun Monate das Kind austragen müssen, um dann zu sehen, dass es schwerst missgebildet ist und stirbt.“ Das sind ganz andere Erkrankungen, als wenn man versucht, leichte Missbildungen zu korrigieren.
„Genanalyse bei schwersten Erkrankungen“
SN: Wir haben ja in Österreich die groteske Situation, dass man behinderte Embryos bis knapp vor dem Geburtstermin abtreiben kann, umgekehrt aber die Präimplantationsdiagnostik nicht erlaubt ist. Wie lässt sich dieser Widerspruch auflösen?
H: Es ist unlogisch. Der Widerspruch entstand aber dadurch, dass man verhindern möchte, dass selektiert wird. Eine Möglichkeit wäre, die Präimplantationsdiagnostik zumindest bei schwersten Erkrankungen zuzulassen.
SN: Die Kritiker werfen natürlich ein, wenn man das ermögliche, falle eine entscheidende Barriere auf dem Weg zum maßgeschneiderten Kind.
H: Man muss den Spielraum genau definieren. Deshalb ist es wichtig, dass die Gesellschaft darüber nachdenkt. Warum soll man Auswüchse nicht verhindern können, das kann man. Auch jetzt ist bei der künstlichen Befruchtung vieles verboten und es hält sich im Prinzip jeder an die Verbote. Da gibt es ein zentrales Register, das überwacht wird.
SN: Wie anworten Sie auf folgendes Argument: Die moderne Gentechnik erzeuge ein eindimensionales Menschenbild. Hier die guten Menschen, weil sie gute Gene haben, dort die anderen, die aussortiert, an den Rand gedrängt werden.
H: Das ist natürlich ein Problem, aber das wird man nicht durch das Verbot der Gentechnik eliminieren können, weil das in vielen anderen Ländern bereits so abläuft. …