Die bislang umfassendste Darstellung des Themas "behinderte Menschen im Krankenhaus und anderen Gesundheitseinrichtungen" ist seit heute als Broschüre und im Internet verfügbar.
Der Verein Bizeps, das Behindertenberatungszentrum und Zentrum für selbstbestimmtes Leben, stellte im Rahmen einer Präsentationsveranstaltung am 5. November 2002 im Arcotel Wimberger seine neueste Broschüre „krank, behindert, ungehindert … in Wien“ vor.
Die Projektleiterin, Annemarie Srb-Rössler, brachte in ihrem Eröffnungsstatement die Ist-Situation für behinderte Menschen in Krankenhäusern und anderen Gesundheitseinrichtungen auf den Punkt: „Seit 1997 haben wir das Benachteiligungsverbot für behinderte Menschen in der Österreichischen Bundesverfassung; doch wenn das bereits die Lebensrealität wäre, würden wir hier heute nicht zusammenkommen.“
Ja, es ist leider tatsächlich immer noch so, dass tastbare Bodenleitsysteme in Krankenanstalten und Braillebeschriftungen fehlen, Arztpraxen kaum barrierefrei (zumindest ohne Stufe) erreichbar sind, gehörlose Menschen nicht einmal in der Wiener Gehörlosenambulanz mit den benötigten Fachärzten ein Vier-Augen-Gespräch in Gebärdensprache führen können, der Wiener Freizeitfahrtendienst für Arztbesuche nicht verwendet werden darf, Krankenkassenbewilligungen für Arztfahrten mit Spezialfahrzeugen für RollstuhlfahrerInnen nur mit übermäßigen Anstrengungen erlangt werden können …
Aus diesem Grund luden Annemarie Srb-Rössler als Projektleiterin und ihre Mitarbeiterinnen, Susanne Bergmann und Magdalena Scharl, Menschen mit den unterschiedlichsten Behinderungen und nichtbehinderte Menschen zu einer Arbeitsgruppe unter dem Titel „behinderte Menschen im Krankenhaus und anderen Gesundheitseinrichtungen“ ein, die eine umfassende Bestandsaufnahme in Form der jetzt existierenden 98 Seiten starken Broschüre erarbeitete. Für den Verein Blickkontakt waren Dr. Elisabeth Wundsam und Mag. Michael Krispl mit von der Partie und Ulli Krispl trug als Auflockerung drei Comic-Grafiken zu Lebenssituationen der von ihr ausgedachten Figur „Benni Blindflug“ bei.
Die Erfahrungen, die die Arbeitsgruppe dabei machte, waren teilweise auch absolut unglaublich, aber leider wahr. So berichtet Magdalena Scharl: „Von 1000 ausgewählten Arztpraxen wurden 100 aufgrund einer Selbsteinschätzung der Ärzte oder Sprechstundenhilfen als barrierefrei bezeichnet. Nach entsprechenden Recherchen der Arbeitsgruppe stellte sich heraus, dass lediglich 41 wenigstens ohne Stufe zugänglich, jedoch noch immer nicht gänzlich barrierefrei benutzbar waren; lediglich zwei Praxen verfügten über ein Behinderten-WC, doch ob diese der ÖNORM entsprechen, ist auch nicht klar.“ Susanne Bergmann hob folgende Kuriositäten hervor: „Der Begriff Brailleschrift war bei den befragten Ärzten so gut wie nicht bekannt und wir fanden keinen Arzt, der die Gebärdensprache beherrscht.“
Die Broschüre zeigt nun die wesentlichen Schwachstellen auf und gibt auch Auskünfte zu Anlaufstellen, Rechtsfragen und bestimmten Parametern der Barrierefreiheit von Arztpraxen, die durch das Vermessungsprojekt ITS erhoben wurden. Bizeps plant nun in weiterer Folge eine Schulungsinitiative für das Personal des Gesundheitsbereiches; doch die Bereitschaft zur Kooperation durch die Ärztekammer war nach den bisherigen Kontaktnahmen im Zuge dieses Projektes so gut wie nicht vorhanden, da die Ärzteausbildung – so die Ärztekammer – bereits ausreichende Kenntnisse zum Thema behinderte Menschen vermittle.
Das Projekt wurde vom Bundessozialamt für Wien, NÖ und Burgenland finanziert und es wurde auch eine Zusätzliche Unterstützung für eine weitere Auflage angekündigt, sind doch bereits 6700 Exemplare von den insgesamt 9000 Stück der ersten Auflage verteilt.
Die Broschüre kann von behinderten Menschen beim Verein Bizeps – Kaiserstraße 55/3/4a, 1070 Wien – gratis abgeholt werden. Sie wird aber auch gegen einen Unkostenbeitrag von 5 per Post zugesendet. Und außerdem ist die Broschüre auch im Internet zum download angeboten: http://www.bizeps.or.at/info/krank/
Die Broschüre ist die bislang umfassendste Darstellung des Themas behinderte Menschen und Gesundheitswesen und wird wohl im Rahmen der Arbeiten an einem Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz aber auch den Landes-Behindertengleichstellungsgesetzen eine wesentliche Grundlage für die Regelungen betreffend den Lebensbereich Gesundheitswesen bilden.