Der deutsche Bundespräsident Johannes Rau sagt in seiner vielbeachteten "Berliner Rede" am 18. Mai 2001:

„Nicht jede zusätzliche Wahlmöglichkeit führt automatisch zu mehr Freiheit … Was wie freie Selbstbestimmung aussieht, kann sich umkehren in faktischen Zwang.“
Er spricht damit indirekt die Situation in den Niederlanden an, wo im April dieses Jahres ein Gesetz vom Parlament verabschiedet worden ist, das die „Tötung auf Wunsch“ legitimiert. „Die Euthanasie-Bewegung, ursprünglich ein Protest gegen die Allmacht der Medizin und ein Plädoyer für Selbstbestimmung, befördert so in der sozialen Realität gegenläufige Entwicklungen:
Einerseits kommt es im Namen der Leidbeseitigung zu einem schleichenden Übergang vom Tod auf Verlangen zum Tod ohne Verlangen jener, die einen eigenen Willen nicht artikulieren können.
Um auf der anderen Seite dennoch am Ideal vom selbstbestimmten Sterben festhalten zu können, soll die Frage der Euthanasie künftig vermehrt bereits in einem frühen Krankheitsstadium angesprochen und entschieden werden. Kranke werden zu einer Festlegung über ihr Lebensende gedrängt, bevor der eigentliche Sterbeprozeß einsetzt“, formuliert der Sozialwissenschaftler Harry Kunz in Dr. med. Mabuse 131, Mai/Juni 2001. Ein solches PatientInnentestament, wie es in obigem Zitat angesprochen wird, scheint mir eine Art Versicherung zu sein – eine Versicherung gegen die Angst vor der eigenen Endlichkeit, gegen die Angst vor Schmerz und Kontrollverlust, gegen die Angst, „sinnlos“ leben zu müssen.
Wäre unsere Gesellschaft nicht besser damit beraten, sich eines funktionierenden Hospizwesens und einer fortschrittlichen Palliativmedizin zu versichern, damit die Begriffe „Menschenwürde“ und „Sterben“ einander nicht noch länger ausschließen?
Vielleicht vermag es ein ausreichendes Angebot von Begleitung, Schmerzmedizin und Stützung, den Wust aus Angst, Bitterkeit und Einsamkeit, der sich um Menschen am Ende ihres Lebens aufbauen kann, zu lösen. Denn nur wer ohne Angst ist, kann sich frei und selbstbestimmt entscheiden – für das Leben oder auch dagegen.