Lebenshilfe fordert: Weg von der Taschengeldgesellschaft!

Lohn und Sozialversicherung für behinderte Menschen in Tagesstrukturen und am Arbeitsmarkt

Pressekonferenz der Lebenshilfe 101202
Lebenshilfe Österreich

„Weg von der Taschengesellschaft und hin zu inklusiven Arbeitsformen samt Lohn und Sozialversicherung für Menschen mit Behinderungen“, definiert Lebenshilfe-Präsident Univ.-Prof. Dr. Germain Weber das Zukunftsziel der Lebenshilfe Österreich im heutigen Pressegespräch. „Unsere Selbstverpflichtung ist es, die Tagesstrukturen neu auszurichten, denn sie stehen im Widerspruch mit der UN-Behindertenrechtskonvention“, erklärt der Lebenshilfe-Präsident.

Weber: „Wir treiben die Selbstbestimmung von behinderten Menschen weiter voran. Aus Nutzern in Werkstätten sollen Dienstnehmer und Dienstnehmerinnen mit kollektivvertraglichem Entgelt und Ansprüchen aus der Sozialversicherung werden.“

Mag. Albert Brandstätter, Bundesgeschäftsführer der Lebenshilfe Österreich, fasst die neue Linie zusammen: „Wenn wir die UN-Behindertenrechtskonvention ernst nehmen, ist das Ziel eindeutig: Alle Menschen mit Behinderungen sollen die Möglichkeit haben, ihren Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen.“

Mit ihrem heute präsentierten Dialogpapier „Wege zur inklusiven Arbeit“ prescht die Lebenshilfe als größte Interessenvertretung von Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung vor. Nicht nur Veränderungen im Gesetz seien notwendig, auch der Behindertenbereich stehe vor einer Neustrukturierung.

„Tagesstrukturen sollen sich künftig zu Kompetenzzentren für Inklusion neu ausrichten. Wir leben Inklusion in unseren eigenen Betrieben vor: Indem wir die Kompetenzen von behinderten Menschen stärken, das Know-How im Umgang mit Behinderung an die Wirtschaft und Gesellschaft weitergeben und selbst als Arbeitgeber auftreten“, nennt Weber die Kernpunkte.

Der inklusive Arbeitsplatz zeichnet sich nach dem Konzept der Lebenshilfe durch Anreizsysteme für Betriebe und vom Staat finanzierte Unterstützungsleistungen aus, die sich an der Einzelperson orientieren. Starre Regelungen wie die Leistungsfähigkeitsgrenze sollen fallen und stattdessen die persönliche Assistenz weiter ausgebaut werden. Isabella Ritz arbeitet beim Magistrat Graz als Bürohilfskraft. Ihr Down-Syndrom stellt dabei weniger ein Hindernis dar, als die üblichen Vorurteile. Isabella Ritz: „Es gibt Menschen, die sagen, dass ich nicht arbeiten kann und das verletzt mich. Ich kann ja arbeiten!“

Dr. Heinz-Werner Blum, Geschäftsführer der Lebenshilfe Vorarlberg, sieht die Zukunft der Behindertenarbeit in einer stärkere Verzahnung von Wirtschaft und dem Sozialbereich: „Die sozialen Dienstleister der Zukunft sind sozialwirtschaftliche Betriebe.“ Rund 220 Menschen mit Behinderungen nehmen die flexiblen Dienstleistungsmodelle der Lebenshilfe Vorarlberg in Anspruch, wie das Modell JobKombi, das eine stundenweise Beschäftigung an einem Arbeitsplatz in der öffentlichen Verwaltung oder in einer Werkstätte vorsieht. Die NutzerInnen der Dienstleistung werden von der Lebenshilfe Vorarlberg angestellt, die Entlohnung liegt im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung.

„Die Arbeitgeber erkennen, dass sich die Beschäftigung von behinderten Menschen für sie lohnt.“ Beim inklusiv betriebenen Biobauernhof Sunnahof tritt die Lebenshilfe Vorarlberg ebenfalls als Arbeitsgeber auf. Die hochqualitativen Bioprodukte schaffen es in die Regale großer Handelsketten. „Inklusion und marktwirtschaftliches Handeln gehen Hand in Hand“, ist Blum überzeugt.

Der Großteil der Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung – 20.000 – bringt in Tagesstrukturen wie Werkstätten ihre Leistung, ohne dafür entlohnt zu werden. Dienstrechtliche Ansprüche wie Urlaub und Sozialversicherung fehlen. Auf Basis der UN-Behindertenrechtskonvention fordert die Lebenshilfe Österreich das Recht von behinderten Menschen auf Entgelt sowie Eingliederung in die volle gesetzliche Sozialversicherung.

„Zur zügigen Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention drängen wir auf einen Nationalen Aktionsplan“, so Weber abschließend.

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6 Kommentare

  • Ich denke auch so. Schon seit vielen Jahren ärgert mich die Taschengeldkultur in den Einrichtungen. Ist sehr ungerecht und in Zeiten wie diesen nicht mehr angebracht.

  • Bin sehr positiv überrascht von der hier proklamierten Neuausrichtung der Lebenshilfe Österreich in Bezug auf ihre Tagesstrukturen und Beschäftigungsformen. Die Intentionen als Interessenvertretung, aus denen die Lebenshilfe ursprünglich entstand (die als Leistungsträger in Abhängigkeit der Kostenträger gefährdet sind), mögen in der partizipativen Umsetzung der UN-BRK bald Gestalt annehmen.

  • Falsche Info!!!! – Die Lebenshilfeeinrichtungen kassieren nicht den Arbeitserlös der Menschen mit Behinderungen ein, sondern diese Einrichtungen müssen den Arbeitserlös an die Sozialabteilungen des Landes abliefern. bitte informieren sie sich nächstes Mal richtig!
    Eine Organisation, die sich seit über 50 Jahren, für Menschen mit Behinderungen und deren Eltern, beispielhaft einsetzt, hat es nicht verdient, sich derart in ein falsches Licht stellen zu lassen!
    Auch wird die Höhe des Taschengeldes, das an die M.m.B ausbezahlt werden darf, durch die jeweiligen Sozialabteilungen, bestimmt. — Es ist sehr leicht, falsche Meldungen im Umlauf zu bringen, schwieriger wird es sich ein wirkliches Bild zu machen!

  • Das man jetzt erst daraufkommt das Behinderte des öfteren schamlos in den Lebenshilfewerkstätten ausgenützt werden und nur ein Taschengeld bekommen ist eigentlich sehr traurig.Diese müßen auch ihre Leistung bringen bekommen nur ein karges Taschengeld. Die Lebenshilfen sacken dafür um so mehr ein.Und man muß schon auch die Firmen rügen, das Sie so wenig Vertrauen in Behinderte haben. Man muß sich vor Augen halten was diese Menschen alles leisten, welche positive Einstellung diese zur Arbeit haben, diese muß man bei sog. gesunden Menschen erst einmal finden.Da gibt es viele, denen hat der Hergott gerade Glieder mitgegeben, aber das Wort Arbeit kennen diese nur vom Hörensagen und Vater Staat untestützt diese auch noch kräftig.

  • Es „kursiert“ noch in sehr, sehr vielen Köpfen , dass das Pflegegeld ein nettes Zusatzeinkommen ist!- da die, die sowas denken meist nicht betroffen sind, sich von diesem „PATZEN“ Geld Hilfe teils Rund-um-die-Uhr holen zu müssen, und erst damit sehen würden dass es sich hinten und vorne nicht ausgeht, können wir wohl auch von Politikern die nicht betroffen sind erwarten, dass sie „irgendwann mal einen Geistesblitz“ bekommen und Betroffene ernstnehmen in ihren Forderungen!
    – Zumal sie ja auch NICHT so wie wir auf eine Erhöhung (Valorisierung) des Pflegegeldes angewiesen sind, da sie andere Gehälter beziehen, als „Normalbürger“ wie Du und ICH.


  • Ein guter Anfang bei der Lebenshilfe und Lobbying, was ich gerne unterstütze. Nur leider denken nicht alle der MitarbeiterInnen so, wie ich gestern einem Kommentar in den Oö. Nachrichten entnehmen musste, wo eine TH-Mitarbeiter meint, 200,– Euro Taschengeld im Monat (und das ist bekanntlicher Weise VIEL mehr als die meisten KlientInnen bekommen) und das Pflegegeld, müssten wohl für geistig behinderte Menschen ausreichen, um am Leben teilhaben zu können… Bei dieser Einsicht fehlt es noch weit und ich finde es mehr als destruktiv und gefährlich und falsch nebenbei (Pflegegeld ist nicht zum Leben vorgesehen), wenn MitarbeiterInnen der Lebenshilfe sowas von sich geben. Im eigenen Umfeld muss es angehen, von Recht und Gerechtigkeit zu sprechen.