Politik muss handeln: Minimierung des Verkehrslärms darf nicht auf Kosten der Verkehrssicherheit gehen
Nahezu geräuschlose Elektro- und Hybridfahrzeuge tragen wesentlich zur Reduktion des Verkehrslärms bei. Das fehlende Motorengeräusch birgt jedoch ein Gefahrenpotenzial, das durch akustische Warnsysteme (AVAS – Acoustic Vehicle Alerting System) minimiert werden soll.
Eine EU-Verordnung sieht einen verpflichtenden Einbau von AVAS jedoch erst ab 2021 und nur für neu zugelassene Fahrzeuge vor. Das System soll bis zu einem Tempo von 20 km/h aktiv sein und muss vom Fahrer jederzeit abgeschaltet werden können.
Als Beitrag zur aktuellen Diskussion über die Umsetzung von AVAS fand auf Einladung des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik der WU und des KMS, Komitee für Mobilität sehbeeinträchtigter Menschen Österreichs, am 18. Juni 2014 eine Vortragsveranstaltung am neuen Campus der WU in Wien statt.
Besonders gefährdet: blinde und sehbehinderte Menschen
Eine besondere Gefahr stellen Elektro- und Hybridfahrzeuge für blinde und sehbehinderte Menschen in Österreich dar. Für Dr. Elmar Fürst von der WU Wien und derzeitiger Vorsitzender des KMS ist die Wichtigkeit von AVAS evident: „Der verpflichtende Einbau von AVAS in Elektro- und Hybridfahrzeuge ist für viele Menschen lebensnotwendig, da sie sonst keine Möglichkeit haben, ein solches Fahrzeug wahrzunehmen.
Wissenschaftliche Studien werden die optimale Art und Lautstärke des Geräuschs, sowie die Geschwindigkeit bis zu der es notwendig ist, festlegen. Jedoch gibt es hier immer wieder Missverständnisse, da es sich weder um einen Piepston noch um eine andere, zusätzliche Lärmbelästigung handeln wird. Die Politik ist jetzt in der Pflicht zu handeln, bevor es die ersten Opfer zu beklagen gibt.“ Fürst ist auch im Vorstand der Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs tätig und daher mit der Dringlichkeit einer raschen Lösung bestens vertraut.
Dr. Markus Wolf, Präsident des Blinden- und Sehbehindertenverbandes Österreichs nahm die Politik ebenfalls in die Pflicht: „Auch die UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderungen fordert die Förderung von selbstständiger Mobilität. Dafür brauchen wir jetzt schon ausnahmslos hörbare Fahrzeuge, nicht erst in einigen Jahren und nicht nur in manchen Situationen. Ein verpflichtendes AVAS ist keine Kostenfrage und keine Frage der technischen Machbarkeit. Es ist eine politische Frage, die unverzüglich umgesetzt gehört.“
Über Normen und Vorschriften in Deutschland referierte Gerhard Renzel vom Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband. Er wies auf Statistiken hin, die belegen, dass die Unfallhäufigkeit zweimal so hoch wie bei Autos mit Verbrennungsmotoren sei. Renzel sieht vor allem den Verkehrsmix aus derzeit noch üblichen Autos mit Verbrennungsmotoren, deren Geräusch „gelernt“ und damit gut erkennbar ist, und den leisen Elektro- oder Hybridfahrzeugen, als besonders gefährlich an.
Marco Conter vom Austrian Institute of Technology stellte das EU-Projekt eVADER vor.Den Standpunkt des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie vertrat Dr. Daphne Frankl-Templ, Koordinatorin für Elektromobilität und IP-Strategie im bmvit. Sie ist sich der Problematik bewusst und wird dieses wichtige Thema im Ministerium vertreten. Ob es sehenden Verkehrsteilnehmern zumutbar wäre, wenn Fahrzeuge ab einem bestimmten Tempo für sie unsichtbar werden, war eine berechtigte Frage bei der abschließenden Diskussion. Ing. Thomas Stottan, Geschäftsführer von AUDIO MOBIL, seit 25 Jahren Zulieferer der Automobilindustrie, brachte auch die Sicht der Autoausrüster in die lebhafte Diskussion ein.
Die Vortragsveranstaltung „Leise – aber gefährlich“ fand in Kooperation mit dem KMS – Komitee für Mobilität sehbeeinträchtigter Menschen Österreichs statt, eine vereinsübergreifende Arbeitsgemeinschaft von Blickkontakt – Interessensvertretung sehender, sehbehinderter und blinder Menschen, Blinden- und Sehbehindertenverband Österreich, Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs und Österreichische Blindenwohlfahrt.