Mehr Rechte für Psychiatrie-PatientInnen

VertretungsNetz begrüßt Novelle des Unterbringungsgesetzes, doch einige Verbesserungen sind nötig.

VertretungsNetz
VertretungsNetz

Das Justizministerium arbeitet derzeit an der Reform des Unterbringungsgesetzes. Das Gesetz regelt den zwangsweisen Aufenthalt von Menschen mit psychischen Erkrankungen an einer psychiatrischen Abteilung im Krankenhaus.

VertretungsNetz hat den Gesetzesentwurf begutachtet und eine Stellungnahme dazu abgegeben. Bernhard Rappert, Fachbereichsleiter der Patientenanwaltschaft, zeigt sich im Wesentlichen zufrieden mit dem Entwurf. Einige langjährige Forderungen der Patientenanwaltschaft sollen nun umgesetzt werden, die Grundrechte der PatientInnen werden damit gestärkt.

Ganz wichtig ist der verbesserte Rechtsschutz bei Zwangsbehandlungen. Derzeit dürfen Menschen, denen die Fähigkeit abgesprochen wird, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen, meist auch dann medikamentös behandelt werden, wenn sie dies ablehnen.

So werden immer wieder, auch unter Anwendung von Körperkraft oder Gurtfixierungen, zwangsweise Medikamente verabreicht.

„Dass das Gericht dann im Nachhinein eine solche Maßnahme überprüfen kann, bringt den betroffenen Personen relativ wenig.“ In Zukunft soll das Gericht schon im Vorhinein beigezogen werden, wenn PatientInnen zu erkennen geben, dass sie eine vorgesehene Behandlung ablehnen.

Künftig haben PatientInnen das Recht, zur Unterstützung eine Vertrauensperson zu wählen. Diese darf etwa bei gerichtlichen Anhörungen dabei sein.

Auch wenn Vertrauenspersonen von manchen psychiatrischen Abteilungen schon bisher in den Behandlungsprozess eingebunden wurden, war das keineswegs überall so Usus und wird nun rechtlich verbindlich vorgesehen.

Von jeder zwangsweisen Unterbringung werden die im Krankenhaus tätigen PatientenanwältInnen informiert. Künftig erfahren sie auch von sogenannten „Unterbringungen auf Verlangen“. Das ist z.B. dann der Fall, wenn jemand von sich aus auf einer geschlossenen Station behandelt werden möchte.

„Dass die Patientenanwaltschaft von derartigen Konstellationen informiert wird, ist ein unverzichtbares Instrument, um einer missbräuchlichen Anwendung einer solchen Maßnahme vorzubeugen“, so Rappert.

Er geht zwar davon aus, dass es nur selten rechtswidrige Anwendungsfälle gibt, sieht den Gesetzgeber aber in der Pflicht, dies effektiv sicherzustellen.

Eigene Regeln für Kinder und Jugendliche

Ganz wesentlich sind die Änderungen für jugendliche PatientInnen: Immer wieder kommt es vor, dass freiheitsbeschränkende Maßnahmen angeordnet werden, die vom Arzt/der Ärztin als „alterstypisch“ bewertet werden.

Die Maßnahme wird also nicht zur Abwendung von erkrankungsbedingten Gefahren, sondern in Wahrnehmung der Aufsichtspflicht getroffen. Ein Beispiel sind verschlossene Stationstüren, „Handyverbot“, aber auch ein kurzfristiges Festhalten besonders junger PatientInnen. Hier sieht die Patientenanwaltschaft dringenden Verbesserungsbedarf im Gesetzesentwurf.

Entscheidend ist, dass solche Maßnahmen überprüfbar sind, da sie häufig über die Grenze einer tatsächlich alterstypischen Maßnahme hinausreichen.

„Unter dem Deckmantel „alterstypisch“ werden regelmäßig pädagogische (Zwangs-)Maßnahmen ohne Abstimmung mit den erziehungsberechtigten Eltern getroffen. Der Kinder- und Jugendpsychiatrie fehlt aber weitgehend die pädagogische Kompetenz, was sich auch daran zeigt, dass man sich österreichweit nicht annähernd auf einheitliche Standards verständigen kann“, kritisiert Rappert.

Die Patientenanwaltschaft fordert daher, dass Bewegungsbeschränkungen auf einen Raum oder innerhalb eines Raumes nur im Rahmen einer gemeldeten Unterbringung erfolgen dürfen und dass die Erziehungsberechtigten zeitnah auch von anderen „alterstypischen“ Maßnahmen verständigt werden.

Datenweitergabe streng limitieren

Ein wesentlicher Punkt in der Novelle betrifft den Datenschutz und die Weitergabe von Informationen über untergebrachte PatientInnen. Behörden sollen nun mehr Daten austauschen können als bisher.

Rappert warnt vor einem Ausufern der Datenweitergabe: „Es geht im Unterbringungsgesetz überwiegend um Menschen, die nichts verbrochen haben. Sie werden lediglich aufgrund einer Prognose im Krankenhaus angehalten und erst dann entlassen, wenn die ÄrztInnen oder das Gericht keine erhebliche Gefahr mehr sehen können.“

Rappert hält es für viel wichtiger, diese Prognose treffsicherer zu machen: Durch Aus-, und Weiterbildung, und vor allem durch Ressourcen.

„Wenn ÄrztInnen viel zu wenig Zeit haben, um seriös zu beurteilen, ob jemand womöglich für sich oder andere eine Gefahr darstellt, dann kommt es zwangsläufig zu Fehlentscheidungen – dies vor allem zu Lasten der Freiheit“, so Rappert. Mit mehr Personal für die Psychiatrie könnte man wirkungsvoll für mehr Sicherheit sorgen.

Rechtslücke Maßnahmenvollzug besteht weiter

Leider fehlt in Österreich weiterhin gänzlich der Rechtsschutz für psychisch erkrankte StraftäterInnen, die im Maßnahmenvollzug untergebracht sind: Bereits seit 2015 liegt ein detaillierter ExpertInnen-Bericht vor, der im Auftrag des Justizministeriums erstellt wurde und 92 Empfehlungen für einen zeitgemäßen und menschenrechtskonformen Maßnahmenvollzug beinhaltet. Doch bis heute harren diese einer Umsetzung.

Die Plattform Maßnahmenvollzug, in der auch VertretungsNetz Mitglied ist, fordert ein eigenes Maßnahmenvollzugsgesetz, in dem vor allem die Rechte der Betroffenen, die Voraussetzungen für Beschränkungen sowie das Verfahren zur Überprüfung der Anhaltung zu regeln sind. Insbesondere ist auch ein effektives Rechtsschutzverfahren einschließlich einer professionellen rechtlichen Vertretung vorzusehen.

Entscheidend für eine moderne Psychiatrie ist aber nicht nur der Rechtsschutz, sondern auch der Ausbau von dringend benötigten Ressourcen, sei es nun in der stationären Psychiatrie, im niedergelassenen Bereich oder im Maßnahmenvollzug.

„Dass insbesondere die extramurale Versorgung von Minderjährigen in manchen Regionen völlig vernachlässigt wird, lässt sich mit nichts entschuldigen. Hier sollte die Novelle endlich den entscheidenden Finanzierungsimpuls geben. Der Bedarf nach psychiatrischer Versorgung ist derzeit hoch wie nie und wird durch die Folgen der COVID-Pandemie weiter steigen“, so der Patientenanwalt.

Link: April 2021, Stellungnahme von VertretungsNetz zur Novelle des Unterbringungsgesetzes

Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich
Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Die Kommentarfunktion für diesen Artikel ist abgeschalten.

Ein Kommentar

  • Ich denke, man sollte unbedingt Zwangssedierung und Zwangsisolation überdenken und statt dessen sofort einen Psychotherapeuten oder Sozialarbeiter einbinden.

    Und wenn schon unbedingt Zwangssedierung und Zwangsisolation nötig, dann unbedingt sehr differenziert einsetzen und nicht eine Keule für alle.

    Für die Zwangssedierung müsste unbedingt eine internistische Begutachtung und eine strikte Flüsdigkeitszufuhr / Flüssigkeitsbilanz durchgeführt werden.

    Es kann nicht sein, dass Patienten über viele Stunden sediert, aber dann exsikkiert und dehydriert sind.