So still und so verloren gingst du fort

Der landläufigen Meinung nach sind „Institutionen" zum Schutz von Menschen da.

Kreuz auf einem Friedhof
Michael Gaida

Es ist immer sehr traurig, wenn Eltern ein Kind verlieren. Besonders natürlich, wenn dieser Tod hätte möglicherweise verhindert werden können. Der nachfolgende Text beschreibt aufkommende Gedanken dazu.

Der Textauschnitt aus dem Lied „so still und so verloren gingst du fort“ von Jupiter Jones trifft es ziemlich gut, informiert der Vater, der diese Liedzeile dazu von einer Bekannten geschickt bekommen hat.

Text des Vaters

Mein Sohn – mit der Diagnose „Prader Willi Syndrom“ – hatte eine körperliche und mentale Behinderung, die sich unter anderem durch kurzfristige Kontrollverluste bemerkbar macht.

So geschah es, dass er vor eineinhalb Jahren im Streit beim weihnachtlichen Keksebacken versehentlich seine Mutter verletzte. Statt dem vor ihm liegenden Spritzsack hat er den ebenfalls vor ihm liegenden Hammer (zum Nüsse knacken) nach ihr geworfen und sie dabei verletzt. Die schlimmste Strafe war, dass er sich monatelang deswegen Vorwürfe gemacht hat.

In der darauffolgenden U-Haft ist er leider wieder aggressiv gegen sich selbst geworden, was ihm die sofortige Überstellung in die „Forensik“ einbrachte. Und weil Richter mit Menschen mit Behinderung nicht wirklich umgehen können, hat man sich auf Gutachten verlassen. Ein Gutachten, das der knapp Erwachsene nicht lesen konnte, weil es alles andere als leicht lesbar formuliert war.

Mein Sohn hatte keine Chance, zu seinem Recht zu kommen. 16 Monate war er nun in der Forensik eingesperrt. Einmal wurde er auf die Intensivstation verlegt und mit einem Luftröhrenschnitt in ein künstliches Koma „geschickt“. Laut seinen Aussagen war dies die schönste Zeit im letzten Jahr seines Lebens. Das macht mich heute noch traurig und wütend zugleich.

Der Mangel an Bewegung und der psychische Stress ließen seine Beine massiv anschwellen. Seit Monaten haben seine Mutter und ich darauf gedrängt, ihm eine medizinische Hilfe in einem Krankenhaus zu ermöglichen. Das hätte sein Leben gerettet.

Wir wurden nicht gehört. Schließlich ist die Forensik ja eh ein Teil des „psychiatrischen Krankenhauses“ – Mitsprache und gegenseitiger Respekt ist dort nicht angesagt. Respekt wird verlangt, aber nicht immer erbracht …

Und wenn ich zu aufdringlich für meinen Sohn eintrete, dann wird mir das Besuchsrecht entzogen … eine gute Möglichkeit, den berechtigten Einwänden von Eltern entgegen zu wirken.

Seit 3 Monaten war es nun so, dass sich bei Besuchen echte Wasserlacken unter dem Stuhl meines Kindes gebildet haben. Ein Alarmzeichen, das ignoriert wurde. Und in den letzten Wochen taten sich Wunden auf den Beinen auf, damit das Wasser abrinnen konnte.

Noch am Tag vor dem Tod meines Sohnes wurden diese Wunden versorgt, aber eine Überstellung in ein Krankenhaus fand immer noch nicht statt.

Im April 2016 starb mein 19 jähriger Sohn. Ignoranz gegenüber Menschen mit Behinderung könnte der Grund für seinen Tod gewesen sein. Sein Herz konnte die Belastungen seines Körpers nicht mehr aushalten. Der Mangel an Bewegung, wie auch der Mangel an medizinischer Betreuung könnten ihn das Leben gekostet haben. Im Jahr 2016 sterben Menschen in Tirol noch aufgrund von Ignoranz.

Ich habe meinen Sohn sehr geliebt und ich hätte mir gewünscht, dass er ein selbständiges Leben als Erwachsener führen kann. Dazu kam es leider nicht.

Daheim hätten wir sein Fehlverhalten konstruktiv aufarbeiten können. Das wäre kein „großes Ding“ gewesen. Als Jugendlicher in der „Forensik“ durch Bewegungsmangel und Verweigerung der medizinischen Spezialbetreuung sterben zu müssen, das ist für mich als Vater sehr schlimm.

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2 Kommentare

  • Diese Erfahrung muss furchtbar sein.
    Es tut mir wirklich sehr Leid.
    Ich hoffe sehr, dass alle Beteiligten (Gutachter, Personal in der Psychiatrie, Richter usw.) daraus Lernen werden, damit sich das in Zukunft nicht wiederholt. Gerichtliche Schritte sind meiner Meinung nach unerlässlich, um die Vorgehenswese öffentlich zu hinterfragen.
    Mein herzliches Beileid.

  • Mein aufrichtiges Mitgefühl und Anteilnahme gilt den Eltern und den Angehörigen. Es stimmt mich traurig, dass im Jahr 2016 in der Psychiatrie Tirol unnötige Todesfälle zu beklagen sind, von Menschen die jung sind, von Menschen mit einer Behinderung, die gesetzeswidrig in der Psychiatrie und Forensik festgehalten werden und nicht eine Behandlung der somatischen Beschwerden erfahren. Es stimmt mich so traurig, dass meine Forderung der unabhängigen Aufklärung der zahlreichen unnötigen Todesfälle in der Psychiatrie insbesondere Hall nicht ernst genommen wurden. Das Leben eines Menschen mit Behinderung hat in der Psychiatrie Tirol keinen Wert. Strukturelle Gewalt, physische und psychische Gewalt in der Psychiatrie Tirol, Amtsmissbrauch, befangene Richter und Gutachter, keine medizinische Behandlung der somatischen Beschwerden und Ignoranz der Verantwortlichen und der Justiz- in deren Auftrag die Menschen mit psychischen Problemen als Schutzbefohlene der Forensik und den geschlossenen Psychiatrien anvertraut werden. Wieviele unnötige Todesfälle will man noch abwarten? Will man aus der traurigen und menschenverachtenden Geschichte der Psychiatrie gerade gegenüber Menschen mit einer Behinderung in Tirol nicht lernen!