Menschen brauchen Unterstützung, keine Neiddebatten!

Unzählige Male ist die eingeschränkte budgetäre Relevanz belegt, trotzdem entfacht die tendenziöse Debatte um Ausgaben im Bereich der Bedarfsorientierten Mindestsicherung (BMS) immer wieder Neiddebatten.

Viele Cent Münzen
Norbert Krammer

Nur rund ein Prozent der bundesweiten Sozialausgaben sind dem ohnehin sehr restriktiv konzipierten Unterstützungsnetz zuzuordnen.

Die Bedeutung der BMS für die Hilfeempfänger ist unbestritten und im Regelfall kann erst dadurch ein menschenwürdiges Leben finanziell abgesichert werden.

Schwieriger Zugang führt zu Nicht-Inanspruchnahme

Die Debatte um die Mindestsicherung konzentriert sich meist auf den angeblichen Missbrauch und in jüngster Zeit auf Leistungen für Menschen mit Asylstatus oder subsidiärem Schutz. Sozialsysteme stehen dabei immer im Verdacht, zu wenig zu kontrollieren und dadurch Unberechtigten Leistungen zu ermöglichen, die sich diesen Anspruch erschwindeln.

Sozialwissenschaftliche Befunde belegen jedoch, dass sich Missbrauch im Bereich Mindestsicherung schon auf Grund der Zugangshürden und des rigorosen Vollzugs nur sehr selten realisieren lässt.

Das konsequente Verwaltungshandeln der Behörden und die komplexen Zugangsvoraussetzungen führen vielmehr zu einem sozialpolitisch kontraproduktiven Ergebnis: Die Nichtinanspruchnahme trotz berechtigtem Anspruch bleibt unverändert hoch. Viele Indizien lassen sogar einen Anstieg dieser mindestens fünfzig prozentigen Non-Take-Up-Quote vermuten.

Chronisch krank und beeinträchtigt

Im Juni 2018 machte die Statistik Austria auf hervorstechende sozio-demographische Merkmale bei Bezieherinnen und Beziehern der BMS aufmerksam. Die gesundheitliche Beeinträchtigung der Menschen, die Hilfe aus BMS-Mitteln benötigen, ist besorgniserregend: 58 Prozent der Bezieherinnen und Bezieher sind chronisch krank und oft nur eingeschränkt oder mit Unterstützung am ersten Arbeitsmarkt vermittelbar. Im Vergleich dazu weisen die Daten der Gesamtbevölkerung ein Drittel der Personen zwischen dem 20. und 64. Lebensjahr als chronisch krank aus.

Ein Viertel der BMS-Bezieherinnen und Bezieher geben an, dass sie stark durch Behinderung beeinträchtigt sind, während dieser Anteil in der Gruppe ohne Leistungsbezug bei fünf Prozent liegt. Mehrfache gesundheitliche Beeinträchtigungen betragen ebenso 25 Prozent und damit fünfmal soviel, wie in der Bevölkerung ohne BMS-Bezug.

Auch der Bezug von Pflegegeld unterstreicht diesen Befund: 20 Prozent der Haushalte mit BMS-Bezug erhalten wegen Pflegebedürftigkeit auch Pflegegeld. Damit ist der Anteil dreimal so hoch wie bei Haushalten ohne BMS.

BMS-Bezieherinnen und Bezieher sind Menschen in Notlagen

Diese aktuellen Daten der Statistik Austria zeichnen ein ganz anderes Bild der BMS-Bezieherinnen und Bezieher als jenes, das täglich in Boulevard-Medien schrill konstruiert wird.

Es sind fast 60 Prozent Menschen mit chronischen Erkrankungen, ein Viertel mit schweren Beeinträchtigungen, rund ein Fünftel sind Kinder und Jugendliche. Die Leistungen werden im Durchschnitt nur 8 Monate bezogen, der Anteil der Dauerleistungs-Bezieherinnen und -bezieher bleibt bei einem Fünftel.

Das ist ein ganz anders Gesamtbild der BMS-Bezieherinnen und Bezieher, das zudem die Zielsetzung der Gesetze unterstreicht: Es geht darum, soziale Notlagen und Armut von Menschen zu bekämpfen und soziale Ausgrenzung zu verhindern.

Dass diese Ziele weiter verfolgt und nicht durch ungerechtfertigte Diskreditierungen eingeschränkt werden, dafür sollten sich alle für Sozial- und Menschenrechte engagierte Personen einsetzen. Als gesetzliche Vertreterinnen und Vertreter von vielen BMS-Bezieherinnen und Bezieher müssen wir uns bei ungerechten Entwicklungen zu Wort melden und die Rechte und deren Absicherung einfordern.

Wendepunkt durch Höchstgerichte?

Insbesondere seit dem Wahlkampf zur Nationalratswahl 2017 wurde aus der BMS-Debatte eine Einschränkungs- und Ausgrenzungsdebatte.

In einigen Bundesländern kann sicher nicht mehr von bedarfsorientierter Leistung gesprochen werden, denn die Ausgrenzung von Menschen mit befristetem Asylstatus oder subsidiärem Aufenthaltsrecht reißt eine großes Loch in das Netz der sozialen Sicherung. Mit der Deckelung nach Haushaltsgrößen und ohne bedarfsorientierter Differenzierung ging der vorläufige Niedergang einen weiteren Schritt voran.

Vielleicht war es ein Wendepunkt, als der Verfassungsgerichtshof im März 2018 die verfassungswidrigen Bestimmungen der niederösterreichischen BMS-Regelung aufhob.

Die ähnlich gelagerten Regelungen in Oberösterreich sind noch nicht entschieden, einige weitere Verfahren sind ebenfalls noch bei Höchstgerichten anhängig. Auch der europäische Gerichtshof wurde angerufen und die europäische Kommission hat im Juni eine Einschätzung verlautbart, die eine Aufhebung der unterschiedlichen Behandlung von Antragstellerinnen und Antragstellern je nach Personenstatus vermuten lässt. Also Hoffnung für ein weiteres wichtiges Zeichen der Einhaltung von Menschenrechten.

Ende der Neiddebatte und neue BMS-Regelungen

Bestenfalls werden durch Höchstgerichte die dem Ziel der Armutsbekämpfung widerstrebenden Bestimmungen aufgehoben. Und damit wäre Zeit, den untersten Teil des sozialen Netzes neu zu flechten, um eine echte bedarfsorientierte Mindestsicherung zu schaffen, die an die Regelungen der gesamtstaatlichen Vereinbarungen anschließt.

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2 Kommentare

  • Ein Experte mit Hirn und Herz. Wenn alle so eine Haltung hätten in den Institutionen, könnte man direkt Lobbying dahinter vermuten. Ein Traum von mir würde wahr, dass Menschen zusammenhalten und einander (solidarisch) unterstützen…

  • Vielen Dank für diesen wunderbaren Artikel. Sehr sachlich und fundiert und trotzdem imstande zu emotionalisieren – bei mir zumindest!