Unklar ist, ob Embryonen Menschenwürde haben

Die Menschenwürde ist eine Frage der Ressourcenallokation im Gesundheitswesen. Das erklärte Christoph Fuchs bei den Gesundheitsgesprächen des Europäischen Forums Alpbach 2001 heute, Sonntag. „In der Diskussion um die Menschenwürde ist die Gesellschaft um so glaubwürdiger, je mehr es sich um behindertes und unheilbares Leben kümmert und es schützt“, so der Arzt bei einer Matinee.
Wo kurative Medizin keine Optionen biete, drohe stets eine Umkehrung des Prinzips, dem Menschen nicht schaden zu dürfen. Die Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik dienen seiner Ansicht nach zunehmend der Selektion neuen Lebens und nicht der Hilfe zum Heilen. Ähnlich verhalte es sich am Ende des Lebens: „Die Unwilligkeit palliative Versorgung und Hospize zu finanzieren, bewirkt einen Druck in Richtung Euthanasie“. Dies und mangelnde Toleranz der Gesellschaft gegenüber Behinderten führten dazu, dass sich Patienten den Tod wünschen. All das stünde im Widerspruch zur tradierten gesellschaftlichen Haltung, so Fuchs.
Der Theologe Ulrich Körtner kritisierte bei der Veranstaltung unter dem „Titel Menschenbild und Menschenwürde in der medizinischen Forschung“, dass der Mensch in der Medizin zunehmend als Objekt und weniger als Subjekt gesehen werde. Deshalb müsse die „Sprache der Medizin“ in den Vordergrund gerückt werden. Dass der Mensch im Mittelpunkt stehe, sei die Rhetorik von Sonntagsreden. In der Forschungspraxis gehe es vielmehr um „Patientengut, Fälle und Probanden“. Zudem warf Körtner die Frage nach dem Sinn und Ziel der Medizin auf.
„Die krankheitsorientierte Medizin ist Selbstzweck und drängt die krankenorientierte Medizin ins Abseits“, ging der Theologe mit der Ärzte- und Forscherschaft hart ins Gericht. Er forderte, die Fragen des Menschenbildes und der Menschenwürde in der Medizinerausbildung zu verankern. „Die Kritik an biomedizinischen Allmachtsphantasien oder an handfesten ökonomischen Interessen, die ehrlich artikuliert werden sollen, berechtigt jedoch nicht dazu, die Chancen der modernen Biomedizin auszuschlagen“, gestand der Professor ein.
Für den Juristen Jochen Taupitz stellt die Menschenwürde eine „absolute Grenze für Wissenschaft und Forschung“ dar. Seiner Ansicht nach wird dies allerdings oft als Totschlagsargument verwendet. Wer sich auf die Menschenwürde berufe, sei einer weiteren Begründung offenbar enthoben. Jedoch werde diese zumeist auf ein Abwehrrecht in Bezug auf die Forderung, bestimmte Forschungsmaßnahmen zu verbieten, reduziert. Das Unterlassen von Hilfe und Vermeidung zukünftigen Leids verstoße ebenfalls gegen die Menschenwürde.
Der Rechtsbegriff der Menschenwürde sei nicht statisch konzipiert, da er sich in Wechselwirkung mit den sich wandelnden gesellschaftlichen Wertvorstellungen entwickle. Eine Festlegung, was der Menschenwürde entspricht, werde in Deutschland „aus gutem Grund“ vermieden und führe zu einer „schleichenden Versteinerung“. Im Übrigen forderte Taupitz vehement, dass die Forschung nicht in der Privatwirtschaft verschwinde, sondern öffentlich sei.
Die philosophische Kompetente dieses komplexen Themas rollte Ludwig Siep auf. Er verwies zunächst auf die lange philosophische Tradition des Begriffs der Menschenwürde. Dabei würden die metaphysische und die rechtshistorische Strömung eine wichtige Rolle spielen. Metaphysisch betrachtet nehme der Mensch in der Natur eine sehr hohe Stufe ein, über ihm stünden rein geistliche Wesen. Die Tradition und unterschiedlichen gesellschaftlichen Ansprüche seien lange mit der Würde des Menschen vereinbar gewesen.
„Unbeantwortet ist bis jetzt, wie weit Ungeborene Menschenwürde haben“, führte Siep aus. Die Erfahrungen mit den Rechten der Menschen seien rechtshistorisch ganz wesentlich. Diese hätten zur Formulierung der Menschenrechte, in denen auch die Inhalte der Menschenwürde integriert seien, geführt. „Insgesamt ist die Menschenwürde ein unentbehrlicher Maßstab in der Medizin, der in vielen Fällen nicht ausreicht“, schloss der Philosoph sein Statement.
Die Alpacher Gesundheitsgespräche sind Teil des international besetzten Europäischen Forums Alpbach 2001. Sie dauern von heute, Sonntag, bis am Montag an. Sonntagnachmittag steht eine Plenarveranstaltung zum Thema „Forschung an Embryonen: Wohin tendiert Eruopa?“ auf dem Programm. Hauptreferenten sind der Wiener Gynäkologe Johannes Huber und Ludwig Siep. Morgen findet den ganzen Tag über eine Workshop über die „Perspektiven der Bioethik“ statt. Das Forum Alpbach läuft noch bis 1. August, wobei noch heute Nachmittag die politischen Gespräche eröffnet werden.