Von Christian Judith
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes (BGH) hat mit seiner Entscheidung zur Präimplantationsdiagnostik (PID) offen dargelegt, dass die Menschenwürde eben doch teilbar ist.
In Deutschland beschloss das Bundesverfassungsgericht einstmals, dass die Würde des Menschen von Anbeginn des Lebens existiert und zwar für alle. Zugegeben, dies war 1975, doch ich hoffe sehr, dass der Wert der Menschenwürde einen längeren Bestand hat als eine Generation.
Die PID wird benutzt, um kranke und behinderte Embryonen zu selektieren. Welch ein Glück haben wir lebenden Menschen mit Behinderung und chronischen Erkrankungen, dass wir noch nicht selektiert wurden.
Das Urteil des BGH ist ein Schlag ins Gesicht der Menschen mit Behinderung. In der Pressemitteilung des BGH heißt es: PID ist dann erlaubt, wenn unter anderem beispielsweise eine Totgeburt oder die Geburt eines schwerkranken Kindes hochwahrscheinlich ist.
Ich bin nicht nur hochwahrscheinlich ich bin garantiert schwer behindert. Ein solches Urteil erlebe ich als Angriff auf meine Menschenwürde. Wie soll ich in einer Gesellschaft leben, wenn ich selbst vom BGH zur Selektion freigeben werde in einem Stadium, in dem mein Leben schon begonnen hat?
Das Urteil des BGH bezieht sich ausschließlich auf die Perspektive potenzieller Eltern, die ihr Wunschkind nun mal gern ohne schwere Erkrankung oder Behinderung haben möchten. Kein einziger Gedanke wird in der Presseerklärung des BGH an die Perspektive der Menschen mit Behinderung oder chronischen Erkrankungen vergeben.
Wenn das Leben mit der befruchteten Eizelle beginnt und dann im sauberen Labor selektiert werden darf, warum dann nicht später? Warum nicht nach der Geburt, wenn das Kind erst später eine schwere Behinderung oder Krankheit erwirbt? Ich erwarte nach diesem Urteil eine Folge von vermeintlich ethischen Diskussionen, die die Menschenwürde und das Lebensrecht weiter in Frage stellen werden.
Dieses Urteil steht mit seiner gesellschaftlichen Bedeutung in hochgradigem Widerspruch zur Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen, die von Deutschland Ende 2008 ratifiziert wurde und seit März 2009 in Kraft ist.