Mitleid wäre viel bequemer

Der Standard: Peter Radtke lehnt nette Gesten ab und fordert verbriefte Rechte für Behinderte

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Der Kämpfer für Behindertenrechte, Peter Radkte im Interview mit „Der Standard“:

Natürlich könnte man es sich auch leicht machen. Und einfach traurig, bittend und hilflos dreinschaun. Irgendwer würde sich dann irgendwann schon erbarmen – und Peter Radtke über die Straße schieben. Oder ihm über die Stufen helfen. Oder ein Spendenkonto einrichten. „Ja“, nickt der kleine Mann im Rollstuhl, „das wäre ein sehr bequemer, pragmatischer und gemütlicher Ansatz. Drum wird das ja auch oft so praktiziert. Wenn es um Behinderte geht, heißt es nie, dass da Rechte und Ansprüche bestehen – die Message lautet immer noch: ,Seid doch bitte nett zu ihnen.'“

Bloß: Auf mitleidige Nettigkeiten, mit denen eine latent minderheitenfeindliche Gesellschaft ihr eigenes – schlechtes – Gewissen beruhigen und freikaufen will, hat Radtke keine Lust. Nie gehabt. Und hat sich damit in den letzten 20 Jahren als Galionsfigur der europäischen Behindertenbewegung etabliert: Der heute 49-jährige Münchner, der seit seiner Geburt an der so genannten „Glasknochenkrankheit“ leidet, beweist alleine durch sein Schaffen als Schauspieler, Autor und Medienmacher, dass viele Unterschiede zwischen „Behinderten“ und „Nichtbehinderten“ nur an einem Ort wirklich vorhanden sind: in den Köpfen der angeblich „Normalen“. Und für deren Bequemlichkeit zu sorgen, meint Radtke, sei einfach nicht sein Job.

Am Dienstag war Radtke in Wien. Als Geschäftsführer der Münchner Arbeitsgemeinschaft Behinderte und Medien referierte er bei einem vom Bundessozialamt Wien abgehaltenen Lehrgang über integrativen Journalismus – und plauderte mit dem STANDARD.

In Österreich, bemängelte Radtke, würde die mediale Darstellung von Behinderten immer noch von Nichtbehinderten bestimmt. „Ein realistisches Bild des Alltages, also abseits der Bilder von Superkrüppeln oder Leuten, die gar nichts können, gibt es in Deutschland erst, seit wir selbst in den Medien aktiv sind.“ Anfangs hat es zwar überall geheißen, behinderte Moderatoren wären dem Publikum nicht zuzumuten, aber „siehe da: Das wird sehr wohl akzeptiert.“

Freilich, gibt Radtke zu, sei die Methode, mit der Behindertenlobbyisten den Fuß in die Tür bekämen, „oft zweischneidig“. Denn ohne das „schamlose Ausnutzen des Mitleides“ wäre es ihm unmöglich, überhaupt die Möglichkeit zu bekommen, zu beweisen, dass Behinderte Mitleid gar nicht bräuchten – sondern faire Bedingungen.

Diese zu schaffen sei allerdings Aufgabe des Gesetzgebers. Wer sich auf Herzensgüte, Sollbestimmungen und weihnachtliche Spendenaktionen verließe, meint der Behindertenaktivist, stünde nämlich nur allzu rasch verlassen da: „Mitleid endet dort, wo die Konjunktur abflaut. Dann sind gesetzlich verbriefte Rechte das Einzige, was uns bleibt.“

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