Nachruf auf Günther Feuerstein

Günther Feuerstein beschäftigte sich schon früh mit Fragen des architektonischen Umfelds und nahm Anregungen und Themenstellungen aus verschiedensten Bereichen der fortschrittlichen Gesellschaftswissenschaften auf.

Günther Feuerstein
David Pasek

Vor wenigen Tagen verstarb Günther Feuerstein, der Doyen der österreichischen Architekturszene, im Alter von 96 Jahren.

An seinem Werdegang und seinen Arbeiten läßt sich nachvollziehen, wie nachhaltig und bis heute andauernd alternative und fortschrittliche Ansätze im Bau- und Wohnungswesen in Österreich behindert und bekämpft wurden und werden.

Besonders die Verländerung der Wohnbauförderung 1984 und die damit zusammenhängende Streichung einer bundeseigenen Wohnbauforschung wirkte sich in diesem Bereich verheerend aus.

Als wissenschaftlicher Referent in der damaligen Wohnbauforschung des Bautenministeriums hatte ich das Glück, gemeinsam mit Experten des Instituts für Soziales Design (Dieter Berdel, Peter Pruner, der früh verstorbene Hans Hovorka) Günther Feuerstein in der praktischen Arbeit zu erleben. Es ging um die rollstuhlgerechte Gestaltung einer Wohnung in Wien-Floridsdorf.

Mit wenigen, aber genialen Umbauten und Maßnahmen (tiefer gesetzte Anschläge und Geschirrkästen, genügend Platz zum Manövrieren, unterfahrbarer Herd und Abwasch usw.) gelang es Feuerstein, unter geringem Mitteleinsatz aus einer unzugänglichen eine behindertengerechte Küche zu gestalten.

Günther Feuerstein beschäftigte sich schon früh mit Fragen des architektonischen Umfelds und nahm Anregungen und Themenstellungen aus verschiedensten Bereichen der fortschrittlichen Gesellschaftswissenschaften auf.

Seine Seminare und Lehrveranstaltungen erleichterten für nicht wenige später berühmte Architekten den Blick auf eine Baukunst, die ökonomische Zwänge nicht widerstandslos akzeptierte und die Vielfalt der menschlichen Bedürfnisse im Bereich des Bauens und Wohnens aufnahm.

Die produktive Atmosphäre der Feuerstein´schen Seminare begünstigte die Ausbildung von Architekturströmungen, die unter dem Sammelbegriff Barrierefreies Bauen und Wohnen oder Design for all weltumspannend bedeutend wurden.

Feuerstein hatte das Glück, durch eine behinderte Tochter tagtäglich mit den Erfordernissen einer inklusiven Architektur konfrontiert zu sein. Es ist also kein Zufall, dass Feuerstein auch auf diesem Weg umfangreiche Kenntnisse entwickelte, ebenso wenig wie es ein Zufall ist, dass seine Tochter, Dr. Bernadette Feuerstein, als Vorsitzende von Selbstbestimmt Leben Österreich unterstützt von ihrem Mann, dem Architekten Bernhard Hruska, seit vielen Jahren als Pionierin des Selbstbestimmt-Leben-Konzepts behinderter Menschen gilt und eine hervorragende Persönlichkeit dieser menschenrechtlichen Szene ist.

Feuersteins Lebenswerk

Feuersteins Lebenswerk blieb unvollständig. Es war ihm nicht vergönnt, die Verankerung von Barrierefreiem Bauen und Wohnen in den Architekur-Lehrplänen als Pflichtfach zu erleben.

Lange Zeit unterrichtete die großartige Architektin Monika Klenovec dieses Fach an der TU Wien. Aber nur als Freifach! Die erdrückende Mehrheit der von den Universitäten abgehenden Architektinnen und Architekten hat während des Studiums nichts von Barrierefreiheit gehört.

Auch von den fortschrittlichen Festlegungen für inklusives behindertes Leben in der UN-Behindertenrechtskonvention aus dem Jahr 2008 erfuhren die Architektinnen und Architekten während ihres Studiums nichts.

Groß ist daher auch heute noch das Erstaunen vieler Abgänger von Architekturstudien, wenn sie erfahren, dass man mit dem Rollstuhl über Stufen nicht hinauffliegen kann. Anachronistische Hochschulgesetze und die universitäre Autonomie wurden und werden für dieses gesellschafts- und wissenschaftspolitische Versagen verantwortlich gemacht.

Gesetze aber kann man ändern; derzeit dienen sie nur als Vorwand für eine fortgesetzte Ignoranz und Behindertenfeindlichkeit im Hochschulsektor.

Leider sind auch die großen alten Tanker der österreichischen Behindertenverbände mitverantwortlich für diesen Mißstand. Der Einsatz der offiziösen Behindertenverbände in der Frage Barrierefreiheit und Architektenausbildung reicht von nicht vorhanden bis kaum wahrnehmbar. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

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7 Kommentare

  • Als Studentin der SOZAK St. Pölten damals von Dr. Hans Hovorka, beschäftigte ich mich mit sozialem Design und durfte Herrn Feuerstein in seinem inspirierenden Dachgarten besuchen. Die Begegnung blieb nachhaltig , was bleibt ist die gute Erinnerung an einen großen Meister.

  • Ohne Günter Feuerstein wäre barrierefreies Bauen und Wohnen ein Fremdwort geblieben. Danke für die vielen Mühen. Viel Kraft seiner Familie für die nächste Zeit.

  • Ich danke auch für diese Würdigung von Günther Feuerstein, aber auch der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung Österreich in den Händen seiner Tochter Bernadette Feuerstein, die in all den vielen Jahren, in dem ihr Leben nicht leichter wurde, Großartiges leistete und leistet.
    Mein herzliches Beileid der gesamten Familie und den vielen „Anhänger*innen“ von Günther Feuerstein!

  • Günther Feuerstein war ein Pionier zur Schaffung von Normen für Barrierefreiheit in Österreich. Menschen mit Behinderungen haben ihm viel zu verdanken. Ich sage Danke dafür!

  • Lieber Dr Riess: Ich schätze Ihre Arbeit sehr und der Nachruf ist sehr gefühlvoll geschrieben, aber ich möchte in einem Punkt sanft widersprechen: an der TU Graz gibt es seit 6 Jahren zwei Einzelvorträge zur Barrierefreiheit im Zuge der verpflichtenden Gebäudelehre-Vorlesung. Ja, die „echte“ Vorlesung „Barrierefreies Bauen“ über ein gesamtes Semester ist auch in Graz ein Wahlfach, aber zumindest ist die neue Generation an jungen Architekt:innen definitiv sensibilisiert und informiert. Ich bin jedes Mal erstaunt, wie sehr sich junge Planer:innen für diese Thematik begeistern können!

    • liebe dr. ruml,
      danke für ihre freundlichen worte! und danke für Ihren hinweis auf die zwei einzelvorträge. das ist ein fortschritt, und ich werde ihn in weiteren texten zum theam natürlich erwähnen. Sie schreiben aber auch, daß es eine semesterlösung (geschweige denn eine studienrichtung) nach wie vor nicht gibt. wissen Sie näheres über die gründe? wer sperrt sich da? ich höre von meinen kollegInnen in deutschland und der schweiz, daß es anderswo (teilweise) wesentlich besser funktioniert. sollte man da nicht mehr druck von der behindertenbeweung machen? auch die neuformierten ÖBR und ÖZIV könnten sich da meriten erwerben. oder müßte man da woanders ansetzen? der neue wissenschaftsminister kommt ja aus graz.
      mit den besten grüßen!

      erwin riess

  • Wirklich toll geschriebener Artikel. Danke!