Nationalrat beschließt Ausweitung der Dienstfreistellung und mehr Mittel für freiwilliges Engagement

Opposition vermisst Einbeziehung von pflegenden Angehörigen und Schwangeren

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Nach der aktuellen Stunde befasste sich der Nationalrat mit einer Reihe von weiteren COVID-19-Gesetzen, wobei zunächst Maßnahmen aus dem Arbeits- und Sozialbereich auf der Agenda standen. Im Konkreten ging es dabei etwa um eine Präzisierung jener Bestimmungen, die eine verpflichtende Dienstfreistellung für Beschäftigte vorsehen, die bestimmte Vorerkrankungen haben und nicht im Homeoffice bzw. an einem besonders geschützten Arbeitsplatz arbeiten können. 

Bundesminister Rudolf Anschober betonte, dass die genaue Abgrenzung der Risikogruppen wissenschaftlich begleitet worden sei und dass es sich dabei um ein freiwilliges Angebot handle. Kritik kam von Seiten der Opposition, die eine Einbeziehung von pflegenden Angehörigen und Schwangeren forderten.

Das 9. COVID-19-Gesetz wurde im Rahmen einer getrennten Abstimmung sowie in der Fassung eines Abänderungsantrag der Regierungsfraktionen teils mehrheitlich, teils einstimmig angenommen. Keine Mehrheiten fanden die freiheitliche Forderung nach einer Freistellung für alle gefährdeten ArbeitnehmerInnen sowie der Zusatz- bzw. Abänderungsantrag der SPÖ.

Einstimmig angenommen wurde hingegen das 14. COVID-19-Gesetz , das der Absicherung der 24-Stunden-Pflege dient. Im Konkreten soll das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen ermächtigt werden, Daten von Pflegebedürftigen, die eine derartige Betreuung in Anspruch nehmen, an die jeweils zuständigen Ämter der Landesregierungen bzw. den Fonds Soziales Wien zu übermitteln.

Durch das – mehrheitlich beschlossene – 10. COVID-19-Gesetz soll der Anerkennungsfonds für Freiwilliges Engagement um 600.000 € aufgestockt werden, damit künftig auch Aktivitäten und Initiativen zur Bewältigung der Corona-Krise gefördert werden können.

Kritik der Opposition: Pflegende Angehörige und Schwangere hätten einbezogen werden müssen

Die SPÖ habe sich seit vielen Wochen für eine Klarstellung bezüglich der Risikogruppen eingesetzt, zeigte Abgeordneter Josef Muchitsch (SPÖ) auf. Obwohl eine Expertengruppe im Ministerium eingesetzt wurde, sei die vorliegende Lösung in einigen Bereichen nicht zufriedenstellend.

Im Besonderen bemängelte er, dass der Kündigungsschutz nach wie vor lückenhaft sei und dass pflegende Angehörige sowie werdende Mütter von der Regelung nicht erfasst seien. Auch Abgeordneter Alois Stöger (SPÖ) hätte sich gewünscht, dass schon viel früher Rechtssicherheit bezüglich der Dienstfreistellungen geschaffen worden wäre.

Einen entsprechenden Beschluss habe es nämlich bereits am 3. April gegeben, gab er zu bedenken. Wenn die Regierung die Lebensrealitäten der Menschen kennen würde, dann würde sie nie von den pflegenden Angehörigen und von den schwangeren Frauen verlangen, sich zwischen der Gesundheit ihrer Familie und ihrem Arbeitsplatz entscheiden zu müssen. Dies brachte er auch in einem entsprechenden Abänderungsantrag zum Ausdruck.

Abgeordnete Gabriela Schwarz (ÖVP) wies darauf hin, dass auch die Präsidentin der Arbeiterkammer die Definition der Risikogruppen gutgeheißen habe. Der von der Bundesregierung eingeschlagene Weg der Prävention habe sich bewährt und sollte weiter mit Mut und Zuversicht fortgesetzt werden. Ihre Fraktionskollegin Romana Deckenbacher begrüßte die wichtige Einteilung nach Risikogruppen, die bestmöglich geschützt werden müssten. Klubobmann August Wöginger zeigte sich erschüttert darüber, dass COVID-19 von manchen Abgeordneten mit der Grippe verglichen werde.

Schon bei der letzten Nationalratssitzung habe sie die Auffassung vertreten, dass der Bundeskanzler die Bevölkerung „mit voller Absicht in Angst und Panik versetzt“ habe, um die Grund- und Freiheitsrechte beschneiden zu können, erinnerte Abgeordnete Dagmar Belakowitsch (FPÖ). Die nunmehr veröffentlichten Gesprächsprotokolle würden beweisen, dass sie Recht gehabt habe. Was die Definition der Risikogruppen betrifft, so werde man dem Antrag der Regierungsparteien zustimmen, weil diese Ausweitung von den Freiheitlichen schon seit langem gefordert wurde.

In der Praxis komme es aber darauf an, wie dann die jeweiligen Verordnungen ausschauen. Dass es in diesem Bereich viele Unklarheiten gebe, habe auch die Regelung bezüglich privater Treffen im Vorfeld der Osterfeiertage gezeigt. Belakowitsch fragte sich, ob die nunmehrige Klarstellung in dieser Frage wohl im Zusammenhang mit dem Fastenmonat Ramadan stehe.

Vorsicht angebracht sei auch hinsichtlich der Ankündigung des Wirtschaftsbundes, dass Personen, die zur Risikogruppe gehören, nicht am gesellschaftlichen und sozialen Leben teilhaben dürfen. Dies würde bedeuten, dass zahlreichen Menschen quasi ein Hausarrest verordnet werden könnte. Schließlich drängte die FPÖ-Mandatarin noch darauf, eine Lösung für jene Angehörigen zu finden, die im selben Haushalt mit Personen zusammenleben, die zur Risikogruppe gehören.

Ab nächster Woche werden ca. 67.000 Menschen einen Brief bekommen, in denen sie darüber informiert werden, dass sie zur Risikogruppe gehören, stellte Abgeordneter Peter Wurm (FPÖ) fest. Damit sei klar, dass 99,2% der Bevölkerung, die dennoch seit Wochen in Todesangst versetzt wurden, nicht zur Risikogruppe gehören.

Das Gesundheitsministerium hätte schon viel früher ausreichende Daten und Fakten erheben und nicht weiter zur Verunsicherung der Menschen beitragen sollen. Dass dies dennoch nicht getan werde, sei eine Bankrotterklärung für den Minister, urteilte Wurm.

Durch das 9. COVID-19-Gesetz werde sichergestellt, dass all jene Menschen am Arbeitsplatz geschützt werden, die den Risikogruppen angehören, erläuterte Abgeordneter Markus Koza (Grüne), und zwar unabhängig davon, ob sie in einem Großraumbüro, in einer Fabrik, im Handel oder im Gesundheitssektor tätig sind.

Es wurde ein dreistufiges System etabliert, das auf dem Prinzip der Freiwilligkeit basiert. Dies sei aus seiner Sicht sehr wichtig, da nicht jeder wolle, dass KollegInnen oder ArbeitgeberInnen über die Zugehörigkeit zu Risikogruppen Bescheid wissen sollen. Koza brachte zudem noch einen Abänderungsantrag der Regierungsfraktionen ein, in dem es unter anderem um die Einbeziehung von geringfügig Beschäftigten geht.

Es habe wochenlang eine große Verunsicherung bezüglich der Risikogruppen gegeben, beklagte Abgeordneter Gerald Loacker (NEOS). Nun liege ein Gesetzesvorschlag vor, der im Schnellverfahren durch das Parlament gepeitscht werde und zu vielen offenen Fragen führe. Wie könne etwa die Sozialversicherung anhand der Medikamente, die jemand verschrieben bekommt, eine Einstufung in Risikogruppen vornehmen? Nach Auffassung von Loacker sei dies gar nicht möglich, weil die Datenlage in Österreich sehr schlecht sei. Statt Politikmarketing sollte sich das Ministerium mehr darauf konzentrieren, für eine bessere Datenlage zu sorgen, verlangte der NEOS-Gesundheitssprecher.

Anschober: Alles daran setzen, um eine zweite Welle zu verhindern

Bundesminister Rudolf Anschober warnte davor, die Corona-Krise klein zu reden, zumal weltweit innerhalb von vier Monaten über 212.000 Menschen an der größten Pandemie seit über 100 Jahren verstorben sind. Es sei ein Denkfehler, wenn man glaube, dass die Maßnahmen vielleicht gar nicht notwendig gewesen wären, nur weil die Opferzahlen nicht so hoch sind. Das Schlimmste, das passieren könnte, sei eine zweite Welle zu riskieren. Deshalb müssten sehr vorsichtige Schritte der Öffnung unternommen werden.

Es gelte weiterhin, sich gemeinsam für die Bewältigung der Krise einzusetzen, die seiner Überzeugung nach noch längst nicht überstanden sei. Es sei auch kein Zufall, dass Österreich vergleichsweise gut unterwegs sei, betonte der Minister. Man habe gemeinsam die richtigen Maßnahmen gesetzt und darüber sollten alle froh sein.

Bezüglich der Risikogruppen habe es einen wissenschaftlichen Begleitprozess gegeben, um die Abgrenzungen genau vornehmen zu können, erklärte Anschober. Nun wurde ein Angebot geschaffen, das freiwillig in Anspruch genommen werden könne. Er verstehe auch, wenn es Sorgen gebe, da bedauerlicherweise noch immer Stigmatisierungen bei Vorliegen von schweren Erkrankungen bestünden.

Anschober bedankte sich bei der Sozialversicherung und den Sozialpartnern, die unter einem enormen Zeitdruck eine gemeinsame Regelung auf die Beine stellen konnten. Dadurch gebe es mehr Sicherheit für die arbeitenden Menschen, war er überzeugt.

Absicherung der 24-Stunden-Betreuung und zusätzliche Fördermittel für freiwilliges Engagement

Eine von ÖVP und Grünen beantragte Änderung des Bundespflegegeldgesetzes hat den Zweck, die adäquate Betreuung pflegebedürftiger Personen auch für den Fall sicherzustellen, dass ausländische Betreuungskräfte ausfallen. Konkret soll das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen ermächtigt werden, Daten von Personen, die das Modell der 24-Stunden-Betreuung in Anspruch nehmen, an die jeweils zuständigen Ämter der Landesregierungen bzw. den Fonds Soziales Wien zu übermitteln.

Dadurch soll eine Un- bzw. Unterversorgung der Betroffenen vermieden werden. Ein weiterer Antrag der Koalitionsparteien zielt darauf ab, freiwilliges Engagement in Zusammenhang mit der COVID-19-Epidemie zu unterstützen. Demnach soll der bestehende Anerkennungsfonds für Freiwilliges Engagement künftig auch Aktivitäten und Initiativen fördern können, die zur Bewältigung der Corona-Krise geleistet wurden. Dafür werden dem Fonds gemäß dem 10. COVID-19-Gesetz zusätzlich 600.000 € aus Mitteln des Krisenbewältigungsfonds zur Verfügung gestellt.

Abgeordneter Ernst Gödl (ÖVP) hob die zahlreichen Maßnahmen im Pflegesektor hervor, wie etwa die Einrichtung von speziellen Hotlines in allen Bundesländern. Mit der vorliegenden Novelle werde nun ein weiterer wichtiger Schritt gesetzt, um die 24-Stunden-Betreuung sicherzustellen, erklärte ÖVP-Mandatarin Elisabeth Scheucher-Pichler. Froh zeigte sie sich darüber, dass nun unter Einhaltung aller Vorsichtsmaßnahmen die Besuchsregelungen in den Pflegeheimen gelockert werden können. Vergessen sollte man auch nicht auf die mobilen Dienste, durch die über 150.000 Menschen in Österreich betreut werden.

Über 3,5 Millionen ÖsterreicherInnen seien ehramtlich tätig, unterstrich Abgeordnete Rebecca Kirchbaumer (ÖVP), ihnen gebühre ein großer Dank. Abgeordneter Andreas Hanger (ÖVP) machte hinsichtlich der zusätzlichen Mittel für den Anerkennungsfonds geltend, dass alle Freiwilligenorganisationen einen Antrag stellen können.

Die SozialdemokratInnen werden nicht müde, sich dafür einzusetzen, dass „Menschen in systemrelevanten Berufen mehr zum Leben haben sollen“, betonte Abgeordnete Verena Nussbaum (SPÖ). Dies gelte insbesondere für den Pflegebereich, wo bestehende Probleme durch die Corona-Krise akut geworden seien.

Um die Versorgung älterer, kranker und behinderter Menschen sicherzustellen, brauche es nach Ansicht der SPÖ nicht nur einen bundesweiten Pflegefonds mit einheitlichen Regelungen, sondern auch bessere Rahmenbedingungen für die persönliche Assistenz. Die BetreuerInnen sollten nicht nur rasch auf Corona getestet, sondern auch mit hochwertiger Schutzkleidung versorgt werden, forderte sie.

Abgeordneter Dietmar Keck (SPÖ) bedankte sich in seiner Wortmeldung bei allen Freiwilligenorganisationen, die nicht „in den Inseraten der Bundesregierung vorkommen“. Die nun geplante Aufstockung des Anerkennungsfonds sah er kritisch, da völlig unklar sei, wer wieviel Geld bekomme. Damit werde der Weg der Verunsicherung leider fortgesetzt.

Abgeordnete Bedrana Ribo (Grüne) kam auf die Änderungen im Bundespflegegeldgesetz zu sprechen, die zu einer besseren Kooperation zwischen Bund und Ländern beitragen sollen. Damit es nicht zu Ausfällen in der 24-Stunden-Pflege komme, sollen die Daten der betroffenen Personen rechtzeitig an die zuständigen Stellen übermittelt werden.

In der Folge könne dann eine Ersatzpflege sichergestellt werden, falls dies notwendig sei. Für wichtig erachtete sie die Regelung, wonach die Daten spätestens Ende 2020 gelöscht werden müssen.

David Stögmüller (Grüne) hob die Aufstockung des Fonds für ehrenamtliches Engagement hervor, was vielen Organisationen zugutekommen werde. Überdies gab er zu bedenken, dass das Rote Kreuz eine großartige Arbeit leiste und eine App entwickelt habe, die aus Datenschutzsicht unbedenklich sei.

FPÖ-Mandatar Christian Ragger trat generell für die Schaffung einer effizienten Struktur zur besseren Versorgung der älteren Bevölkerung ein. Ablehnend stand er der Einführung einer Tracking-App gegenüber, weil damit grundlegende Bürgerrechte gefährdet wären.

In Bezug auf die Erhöhung der Mittel für den Anerkennungsfonds schloss sich Dagmar Belakowitsch (FPÖ) der Kritik der SPÖ an, wonach nicht klar sei, welche Freiwilligenorganisationen Gelder erhalten sollen. Es sei noch immer nicht der Verdacht ausgeräumt, dass es sich bei den 600.000 € um eine Querfinanzierung für die Einführung einer App handle.

Ihre Fraktion stimme beiden Initiativen grundsätzlich zu, da es Schritte in die richtige Richtung seien, kündigte Abgeordnete Fiona Fiedler (NEOS) an. Weitere Maßnahmen seien jedoch notwendig, wie etwa die Rücknahme der Indexierung der Familienbeihilfe, die eine Schikane für ausländische Pflegekräfte darstelle. Außerdem drängte sie abermals darauf, endlich die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung, die ein Recht auf Teilhabe in der Gesellschaft haben, in den Fokus zu rücken.

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