Nationalratswahlen 2017: Analyse des Wahlprogramms der ÖVP

Am Sonntag, 15. Oktober 2017 finden in Österreich die Nationalratswahlen statt. BIZEPS wird bereits jetzt – soweit schon veröffentlicht – die Wahlprogramme der antretenden Parteien bzw. Listen unter die Lupe nehmen und prüfen, ob und inwieweit die Anliegen von behinderten Menschen berücksichtigt werden.

Die neue Volkspartei
ÖVP

Die ÖVP, die sich auch Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei nennt, wird ihr Wahlprogramm in drei Teilen präsentieren. Der erste Teil heißt „Der neue Weg. Neue Gerechtigkeit & Verantwortung“ und hat rund 120 Seiten.

„Teil 1 unseres neuen Programms zeigt jene Wege auf, die unserer Meinung nach zu dieser neuen Gerechtigkeit in den elementaren Bereichen unseres Lebens führen: Familie, Gesundheit, Arbeit und Finanzen“, heißt es in der Einleitung des ÖVP-Wahlprogramms.

Was die ÖVP unter Gerechtigkeit versteht, erklärt sie anhand dieser vier Dimensionen:

• Wer arbeitet und Leistung erbringt, darf nicht der Dumme sein.
• Wer Leistungen beziehen will, muss zuerst Leistungen erbringen.
• Wem eine Leistung zusteht, der soll sie auch unbürokratisch bekommen.
• Wer sich selbst nicht helfen kann, dem muss geholfen werden.

Ergänzt wird um die Feststellung: „Gerechtigkeit heißt, nicht nur für Einzelne, sondern für alle
 neue Perspektiven zu schaffen.“

Was heißt das für Menschen mit Behinderungen?

Auf Seite 114 und 115 gibt es im Wahlprogramm Details, was die ÖVP unter Sebastian Kurz unter Gerechtigkeit versteht. Es folgt eine Auflistungen von substanzlosen Absichtserklärungen und einigen wenigen detaillierten Forderungen. Das ist auch deswegen sehr auffallend, weil das Programm ansonsten im vielen Bereichen sehr detailliert ist und ganz klare Absichten aufzeigt; teilweise sogar mit genauen Kostenschätzungen.

Statt behinderten Menschen in Werkstätten Rechte und Entgelte zuzustehen, möchte die ÖVP das Taschengeld erhöhen – und nennt das einen Beitrag zum selbstbestimmten Leben. (Die Idee ist übrigens nicht neu. Auch der frühere ÖVP-Behindertensprecher, Franz-Joseph Huainigg, setzte sich statt für Rechte lieber für mehr Taschengeld ein.)

Im Bereich Persönliche Assistenz sollte es österreichweit einheitliche Regelungen geben. Der Punkt ist gut und wichtig, aber es wird nicht gefordert, dass dies auf einem hohen Niveau stattfinden soll. 

Beim Pflegegeld – das eigentlich ausführlich im Programm erwähnt wird – gibt es überhaupt keine Absichten, es wertzusichern. Auch hier wird primär der Standpunkt der Leistungsanbieter (also Unternehmer) bezogen (und konsequenterweise gleich die Geschäftsführerin des Hilfswerks zitiert)

Und was möchte die ÖVP im Bereich Inklusion?

Die Antwort ist einfach. Dazu sagt die ÖVP gar nichts. Ebenfalls konzeptlos ist sie bei der Umsetzung der Rechte von Menschen mit Behinderungen (beispielsweise der UN-Behindertenrechtskonvention).

Doch einmal greift die ÖVP ein Rechtsthema auf. Sie möchte ein Recht auf Menschenwürde in der Verfassung festschreiben. Dagegen wäre ja nichts zu sagen. Aber es ist für diese Partei halt einfach typisch, Rechte zu fordern und sie dann zu ignorieren. Seit 1997 gibt es eine Verfassungsbestimmung, dass behinderte Menschen nicht diskriminiert werden dürfen und der Staat handeln muss. Es wäre sinnvoller, dies auch umzusetzen, statt irgendwelche zusätzlichen Bestimmungen ohne Substanz zu fordern.

Wirklich gefährlich – aber versteckt – ist die Betonung des Prinzip Subsidiarität. Gemeint ist damit, dass möglichst kleine Einheiten für die Verwaltung zuständig sind. Genau daran krankt aber Österreich. Die unterschiedlichen Regelungen im Bau- aber auch Behindertenbereich hindern die Umsetzung einer modernen Behindertenpolitik. (Lesenswert dazu auch dieser Bericht auf VICE.)

Fazit

Das ÖVP-Programm enthält substanzlose Ankündigungen, kaum Rechte und ist daher nicht geeignet, Gerechtigkeit, geschweige denn Rechte oder Inklusion zu schaffen.

Wahlprogramm im Detail: Seite 114 und 115

ÖVP Abschnitt Wahlprogramm 2017
ÖVP

Abschrift: Seite 114 und 115

Menschen mit Behinderung besser unterstützen

Weniger Bürokratie und mehr Integration in der Gesellschaft und am Arbeitsplatz. Menschen mit Behinderungen sind eine Bereicherung für die Gesellschaft und müssen auch dementsprechend an ihr teilhaben können. Auch die individuelle Autonomie sollte – durch eine Erhöhung des Taschengelds in geschützten Werkstätten – erhöht werden. Bürokratische Prozesse für Menschen mit Behinderung sollten vereinfacht werden. Darüber hinaus sprechen wir uns für eine Verankerung der Menschenwürde in der Verfassung aus.

Menschen mit Behinderungen sind eine Bereicherung für die Gesellschaft und wir setzen uns für ihre unteilbare Menschenwürde ein. Beginnend bei der Frühförderung bis hin zur Chancengleichheit in Bildung, Beschäftigung und Freizeit muss im Sinne der Subsidiarität ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht und gewährleistet werden.

Zu einem selbstbestimmten Leben gehört die individuelle Unterstützung. Wir müssen das Taschengeld in den geschützten Werkstätten erhöhen, um ein Leben mit mehr Autonomie zu ermöglichen. Die Unterstützung der Persönlichen Assistenz am Arbeitsplatz sollte zudem auch auf die Freizeit ausgeweitet und einheitlich geregelt werden.

Barrierefreies Bauen und Wohnen muss selbstverständlich sein; ebenso wie ein einfacher und unkomplizierter Zugang zu Unterstützung, Leistungen und Teilhabe in Form eines „One-Stop-Shops“. Menschen mit Behinderung sollen in allen Bereichen des Lebens teilhaben können. Wir wollen keine Gesellschaft, die Menschen mit Behinderung verdrängt, diskriminiert, ausschließt oder selektiert. Wie sehen für jeden Menschen eine Aufgabe: in der Familie, in der Nachbarschaft, im Beruf, im Verein und in anderem ehrenamtlichen Engagement.

Zudem wollen wir ein klares Signal in unserem Rechtssystem setzen und wollen die Menschenwürde in der Verfassung verankern. Jeder Mensch ist für uns gleich viel wert und sollte die gleichen Chancen im Leben haben – dafür setzen wir uns ein.

Unsere Maßnahmen

  • Weiterentwicklung der integrativen Berufsausbildung und Teilqualifizierung
  • Erhöhung des Taschengeldes in geschützten Werkstätten, um mehr Autonomie zu ermöglichen
  • Persönliche Assistenz in der Freizeit einheitlich gestalten und verstärkt fördern
  • Abbau von Bürokratie und Unterstützungen von behinderten Menschen nach dem „One-Stop- Shop“-Prinzip
  • Menschenwürde in der Verfassung verankern

„Menschen mit Behinderung können viel mehr bewegen, als ihnen oft zugetraut wird. Und noch mehr, wenn sie nicht durch zu viel Bürokratie daran gehindert werden, einen wertvollen Beitrag zu leisten.“ (Kira Grünberg, Rekordhalterin Stabhochsprung, Autorin, Vortragende)

 
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4 Kommentare

  • Die neue ÖVP oder die Bewegung Kurz, wie immer Sie nun genannt werden wollen, finde ich unseriös und ich halte das Programm für viel zu wenig konkret bzw. in weiten Teilen für unfinanzierbar. Zudem finde ich die Plakataktionen nichtssagend bzw. verdummend.
    Sie haben mir ein Schreiben an meine Privatadresse übermittelt; ich ersuche Sie, in Hinkunft davon abzusehen und mich nicht mit Ihrer völlig beliebigen Wahlwerbung zu belästigen.
    MfG

  • Da will ich an die Abschaffung der Gebührenbefreiung erinnern
    das hat Behinderte nicht wirklich einen Vorteil gebracht
    und zum Programm der ÖVP oder wie sich die
    immer nennen
    Planlos wie schon seit Schüssel…

  • Christlich Sozial die ÖVP oder doch nicht?

    • ich gebe dir Recht das hier wenig von Sozial vorhanden ist aber sage mir eine der Parteien bzw. Gruppierungen die Sozial im besonderen Politik für Behinderte wirklich macht. Da sind nur leere Versprechungen (heiße Luft)