NEU: Megapearls endlich auch in der Behindertenbranche

Gedanken über die schöne neue Sprache und die schönen neuen Begriffe in der Behindertenbranche und auf dem schönen freien Markt insgesamt. Eine Polemik (scharfe Kritik).

Viele Fragen
unbekannt

Erinnern Sie sich noch? Da stand der Pfarrer mit dem Rücken zum Volk und sagte: „dominus vobiscum“. Latein ist längst „out“ (aus der Mode), selbst in der Kirche.

Ein ähnliches Verhalten ist jedoch nun auch in der Behindertenarbeit stark im Kommen, begonnen hat alles mit dem mittlerweile urwienerischen „Paradigmenwechsel“ und das klingt dann so: „Prozessorientierte Supervision in Social Profit Organisationen“, „Quality Supported Skills for Integration„, „Accessibility-ExpertInnen“ oder „Desktop Publisherin„.

Die Empfangsdame heißt mit dem gleich schlechten Gehalt nun „Front Office Managerin„. Keine Angst, es geht hier nicht darum, dass Qualität und wissenschaftliche Auseinandersetzung höchst notwendig sind, aber ist Wissenschaft wirklich das, was andere nicht verstehen? Drückt sich Qualität tatsächlich durch schöne Begriff aus?

Es liegt mir fern, einer/m SchreiberIn von BIZEPS ein „Pfarrer-Verhalten“ zu unterstellen, Gott behüte, nein, ich denke eher, wir sind alle zusammen den Werbefuzzis, den neoliberalen Sprachverdrehern ordentlich auf den Leim gegangen. OMO mit patentiertem TAED-System, die chemiestudierte Hausfrau weiß bescheid; und dieses Ding – ich glaube es war irgend so ein Drink (= Getränk)- mit L-Casei immunitas; ganz zu schweigen von diesen noch weißeren Mega Pearls. Merken Sie was?

Kunde

Aber der größte Überschmäh, der sich lange eingeschlichen hat (leider nicht nur im Behindertenbereich) ist der Begriff „Kunde“ (wobei mir schon klar ist, woher der Begriff kommt). Mir wird ganz schwindlig, wenn ich lese: „Dienstleistungseinrichtungen, die zu dem Zwecke gegründet wurden, ihren Kundinnen ein hochwertiges Produkt anzubieten“. Denken wir diesen Gedanken zu Ende: Der Kunde ist also König (was ist aber mit der Kundin? keine Ahnung!), wählt aus und bestimmt mit seinem Kaufverhalten Preis und Qualität der Produkte.

Und jetzt: Aufgewacht aus den Träumen des freien Marktes! Der Kunde MUSS kaufen, was er sich leisten kann (und die Kund/innen im Behindertenbereich können sich regelmäßig recht wenig leisten), oder was ihm von der Werbung im Idealfall im Rahmen von Information als passend, häufiger aber als am glänzendsten angepriesen wurde. Es funktioniert … für die Werbung. Das führt dazu, dass sich hochwertige Qualität nur einige wenige leisten können, alle anderen das Billigste nehmen müssen.

Daraus folgt Preis-Dumping (= Preisunterbietung), Qualitätssenkung, Produktion am Fließband, Abverkauf, Senkung der Sozial- und Umweltstandards, Personalabbau, Arbeitslosigkeit etc. Vergessen wir den Kundenbegriff, er ist ein Werkzeug des freien Marktes, das nur geeignet ist für Menschen, die ihn sich auch leisten können und die in höchstem Maße informiert sind.

Und vergessen wir die Macht des Konsumenten: Allein beim Kauf einer Hautcreme müsste man zumindest einige Semester Chemie studiert haben, um zu wissen, ob das Produkt überhaupt geeignet ist. Und essen Sie im Kino auch gerne Sportgummi? Lesen Sie nach, was drin ist. Sofern Sie nicht Lebensmittelchemie studiert haben, werden Sie es nie erfahren. Wir benötigen also Informationen von Dritten und diese Funktion übernimmt die Werbung (sagt sie).

Es gibt also nur eine begrenzte Macht der Konsumenten, dafür umso mehr Macht der Werbung. Das würde am freien Markt bedeuten, eine Einrichtung verschleudert Geld für Werbung, um Kunden anzuziehen! (Hat sich im deutschen Gesundheitssystem bereits so ausgewirkt, dass wesentlich weniger Geld für die Kranken aufgewendet wird, als im österreichischen, das immerhin 97 % tatsächlich für die Behandlung ausgibt und nichts für die Werbung). Dazu kommt der Zwang, kaufen zu müssen, was man sich leisten kann und nicht, was am besten wäre. Wer würde nicht gerne die hochwertigen Produkte vom Bio-Bauern kaufen und muss dennoch Waren aus der Industrie-Landwirtschaft nehmen? Merken Sie was?

Ein kleiner „side step“ (Seitensprung): Das Prinzip Kunde und freier Markt wird ja nun auch vermehrt in der Kunst- und Kulturszene forciert (vorangetrieben). Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis.

Aber: Wollen wir wirklich nur mehr die „Hansi Hinterseer und Musikantenstadl-Kultur“ (wenn dieser Begriff überhaupt passend ist). Oder wollen wir Innovation (Erneuerung), vielleicht sogar kritische Kunst? Übersetzt auf den Behindertenbereich: Wollen wir neue Methoden ausprobieren können/dürfen, wollen wir auch Auseinandersetzung? Oder bieten wir Mainstream (Hauptstrom).

Ich bin keinesfalls Mitglied in einem deutschtümelnden Verein der „Freunde des reinen Deutsch“, aber ich bin ein Gegner der Elitenbildung durch sprachliche Barrieren, weil ich will, dass mich mehr Menschen verstehen und weil ich nicht glaube, dass „super“ ist, wer möglichst hochtrabend daherredet, was eigentlich verständlich sein könnte. Während wir bemüht sind, Barrieren in Gebäuden abzutragen, bauen wir sie in der Sprache neu auf!

Was ist uns lieber (hätten wir die Wahl): Dass uns Menschen für klug halten, oder dass sie uns verstehen? Außerdem meine ich, dass „Recht“ nicht mit der Potenz, sich etwas leisten zu können verbunden werden darf, sondern Recht ist, und aus. Also keine Kunden, sondern „BeRECHTigte“. Auch kein schönes Wort, aber bessere Vorschläge werden gerne angenommen.

Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich
Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich