Neue pränatale Frühdiagnostik – Rasterfahndung nach behindertem Leben

Über 80% der Fälle von Down Syndrom könnten dadurch erkannt und die Zahl der Fruchtwasserpunktionen verringert werden.

Lebenshilfe Wien
Lebenshilfe Wien

Wie durch die Presseaussendung der ÖGUM (Österr. Gesellschaft für Ultraschallmedizin) bekannt wurde, strebt die ÖGUM das Ziel an, die Messung der Nackentransparenz mittels Ultraschall (in der 11. – 14. Schwangerschaftswoche) in den Mutter Kind-Pass aufzunehmen.

In Kürze bereits sollen an der Univ.-Klinik f. Frauenheilkunde Innsbruck bei einem Intensivseminar über 300 Ärzte für diese Frühdiagnostik zertifiziert werden.

Die Lebenshilfe Wien sieht in der Aufnahme dieser Screening-Methode in den Mutter-Kind-Pass eine staatlich gelenkte Selektion behinderten Lebens und lehnt diese daher strikt ab!

Die Nackentransparenzmessung hat das einzige Ziel, Föten mit dem Merkmal „Trisomie 21“ zu erkennen – und wie auch aus der Erfahrung vieler Gynäkologen und Kliniken bekannt ist, endet diese Diagnose bei 95% der Schwangerschaften im Schwangerschaftsabbruch.

Wie wir schon bei der Pränatalen Diagnose gefordert haben, darf kein sozialer Druck zur „freiwilligen“ Inanspruchnahme von pränataler Diagnostik entstehen. Schwangere bzw. betroffene Paare sollen nach individuellem Ermessen pränatale Diagnostik (PD) auch ablehnen dürfen.

Die Praxis hat gezeigt, dass – obwohl die PD bisher in Österreich nur für sogenannte „Risikoschwangerschaften“ (Schwangere mit einem Alter über 35 Jahre) gedacht war – immer mehr Druck auf schwangere Frauen ausgeübt wird, sich den Untersuchungen zu unterziehen, es vollkommen an umfassender Beratung fehlt und sich die Frauen unter noch zusätzlichem Zeitdruck zum Großteil für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden. (Die Selbstbestimmung und Freiwilligkeit einer solchen unter immensem Druck gefällten Entscheidung sei in Frage gestellt!)

Pränatale Diagnostik (PD) fordert zur Bewertung menschlichen Lebens heraus. Menschenwürde und Menschenrechte können aber weder erworben, noch abgesprochen werden. Sie sind unantastbar und unteilbar. Es darf Menschen mit Behinderungen nicht abgesprochen werden, dass ihr Leben ebenso sinnerfüllt ist, wie das von nichtbehinderten Menschen. Gerade Menschen mit Down-Syndrom, deren „Geborenwerden“ heute mehr denn je durch oben angeführte Diagnostik bedroht ist, können bei gelungener Schulintegration und Fördermaßnamen ein Leben in unserer Mitte führen. Dafür muss sich der Staat aber zu den Menschenrechten bekennen, er muss finanzielle Unterstützung geben und die Integration behinderter Menschen vorantreiben.

Die Lebenshilfe Wien verfolgt mit Entsetzen, dass hier der Staat immer mehr von menschenrechtlichen Grundsätzen abgeht. Im österreichischen Strafgesetzbuch gibt es nach wie vor den § 97 Abs.1, Zi 2, 2. Fall, der besagt, dass der Schwangerschaftsabbruch bis zur Geburt straflos gestellt bleibt, „wenn eine ernste Gefahr besteht, dass das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein werde…“. Ebenso noch gültig ist eine Verordnung des Gesundheitsministeriums (BGBI.Nr. 274/1981), die die PD als „vordringliche Maßnahme zur Erhaltung der Volksgesundheit“ bezeichnet.

Wenn der Staat Österreich nun auch beschließen sollte, dass die Nackentransparenzmessung als vorgeburtliche Untersuchung in den Mutter-Kind-Pass aufgenommen wird, so bekennt er sich eindeutig zur Selektion von Menschen mit Down-Syndrom.

Die Lebenshilfe Wien fordert:

  • Kritische Distanz zur Inanspruchnahme pränataler Diagnostik. Pränatale Diagnostik soll aus der allgemeinen Schwangerenvorsorge herausgenommen werden und ausschließlich als „Spezialuntersuchung“ für Paare zur Verfügung stehen, die danach ausdrücklich verlangen.
  • Pränatale Diagnostik soll an eine umfassende, qualifizierte vorausgehende und nachgehende Beratung/Begleitung gebunden sein. Diese Beratung muss auch umfassend über Lebensperspektiven behinderter Menschen informieren können, daher sind Personen mit Erfahrungen im gemeinsamen Leben mit Menschen mit Behinderungen einzubeziehen.
  • Die Schwangere muss schon vor einer Pränatalen Diagnose darauf vorbereitet werden, was ein eventueller „positiver Befund“ für sie an Möglichkeiten mit sich bringt (und zwar inklusive der Möglichkeit des Lebens mit einem behinderten Kind!). Wenn sich die Schwangere für eine solche Untersuchung entscheidet und es wird eine Behinderung diagnostiziert, so soll die mögliche Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch erst nach einer Nachdenkpause von mindestens einer Woche fallen.
  • Pränatale Diagnose darf nicht als Selektionsinstrument für eine eugenische Bevölkerungspolitik eingesetzt werden, deshalb dürfen Methoden wie die Nackenfaltenmessung unter keinen Umständen in den Mutter-Kind-Pass aufgenommen werden!
  • Um ein differenzierteres Bild vom Menschen mit Behinderung in der Medizin zu erreichen, muss dieser Bereich auch in die Mediziner-Ausbildung aufgenommen werden. Bereits praktizierende ÄrztInnen und vor allem – was den Bereich Pränatale Untersuchungen anbelangt – GynäkologInnen sollen Weiterbildungen zum Thema Behinderung erhalten, in denen sie ihr Wissen um das Wissen und die Erfahrungen der Betroffenen erweitern können. Nur so kann eine vom Arzt geleistete umfassende Beratung/Behandlung einer Schwangeren bei pränataler Diagnose oder auch nach der Geburt eines behinderten Kindes gewährleistet werden.

Behinderte Menschen leben gerne, das weiß jeder, der ihnen in nachhaltiger Weise begegnet ist. Mit allen Kindern erleben Eltern/Angehörige Freude und Sorgen – es ist nicht so, dass behinderte Kinder nur Sorge oder nichtbehinderte Kinder nur Freude bereiten. Auch extreme Lebenssituationen oder Mit-Leiden sind keine Legitimation dafür, Menschen das Lebensrecht abzusprechen!

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