Der Contergan-Skandal in Österreich

Der österreichische Staat möge sich dessen bewusst sein, dass es auch in diesem Land einen "Conterganskandal" gegeben hat, betont Mag. Shoshana Duizend-Jensen im BIZEPS-INFO Interview.

SH-Gruppe Contergan- und Thalidomidgeschädigten Österreichs
contergan.at

„Der Contergan-Skandal war einer der aufsehenerregendsten Arzneimittelskandale in der Bundesrepublik Deutschland und wurde in den Jahren 1961 und 1962 aufgedeckt“, informiert Wikipedia. Weniger bekannt ist, dass es auch in Österreich Betroffene gab und das Medikament auch unter dem Namen „Softenon“ am Markt war.

„Einig war man sich auch, österreichischen Contergangeschädigten eine Einmalzahlung im Gesamtausmaß von 2,8 Mio. Euro noch in diesem Jahr zukommen zu lassen. Ein entsprechender Entschließungsantrag wurde einstimmig angenommen“, berichtete die Parlamentskorrespondenz in einem Nebensatz zur Berichterstattung aus dem Sozialausschuss.

Wie kam es dazu? Wir führten folgendes Interview mit Mag. Shoshana Duizend-Jensen, Sprecherin der Selbsthilfegruppe der Contergan- und Thalidomidgeschädigten Österreichs:

Interview

BIZEPS-INFO: Der Conterganskandal beschäftigte jahrzehntelang immer wieder die deutsche Innenpolitik. Nun – im Jahr 2010 – reagierte Österreich. Warum erst jetzt?

Shoshana Duizend-Jensen: Scham und Verdrängung der Eltern sind zumeist der Grund, dass die österreichischen Thalidomidopfer entweder über die Ursache ihrer Schädigung nichts wussten oder bis vor kurzem keine Ansprüche gestellt haben.

Ich selbst bin eine 1961 geborene Betroffene und wurde nie entschädigt. Ich habe beiderseits verkürzte Arme, keine Daumen, eine Wirbelsäulenverkrümmung und einen schweren Herzfehler.

BIZEPS-INFO: Wann begann in Österreich der Kampf um Entschädigung?

Shoshana Duizend-Jensen: Ich begann im Jahr 2008 nach dem beeindruckenden Fernsehfilm „Nur eine einzige Tablette“ mit dem Kampf für Entschädigung der Contergangeschädigten Österreichs. Vorher gab es keinen Zusammenschluss der Contergan-Betroffenen. Die Selbsthilfegruppe der Contergan- und Thalidomidgeschädigten Österreichs besteht daher erst seit 2008.

Verdrängung in Österreich

BIZEPS-INFO: Was hat die Selbsthilfegruppe konkret unternommen?

Shoshana Duizend-Jensen: Als Historikerin machte ich mich auf die Suche im Archiv der Republik und wurde fündig: Ich fand die Zulassungsakten, wonach das Medikament Softenon im Jahr 1958 ohne ausreichende Prüfung rezeptpflichtig zugelassen wurde. Noch 1961 wurde nach Verdacht auf Nervenschäden eine neuer etwas veränderter Beipackzettel erlassen, erst im Dezember 1961 wurde Softenon vom Markt genommen.

Wenn man vor unserer Kampagne nach dem Thema recherchierte, wurde überall kolportiert, dass Österreich von diesem größten Medikamentenskandal der Nachkriegszeit nur am Rande betroffen sei und nur 12 Fälle zu beklagen seien. Diese Zahl aber ist falsch. Es handelt sich lediglich um einen Personenkreis, der von der deutschen Conterganstiftung eine Rente erhält. Darunter befinden sich auch Personen, die in Deutschland geboren wurden und jetzt hier leben.

Durch einige Fernsehsendungen und Zeitungsberichte meldeten sich bei mir zahlreiche Personen, die wissen oder glauben, contergangeschädigt zu sein. Derzeit sind das ca. 60 Personen. In Österreich gab es beim Thema Conterganschädigung eine große Verdrängung.

BIZEPS-INFO: Was unternahmen Sie weiters, um Ihre Forderungen durchzusetzen?

Shoshana Duizend-Jensen: Im Mai 2008 startete unsere Gruppe eine Aktion im Parlament, sämtliche Abgeordnete erhielten ein buntes Flugblatt mit Fotos schwerbehinderter Kinder (Kinderfotos von uns selbst) und einem Text über die vergessenen österreichischen Opfer der Contergankatastrophe. Nur wenige Abgeordnete antworteten.

Wir kamen in einen Dialog mit den Behindertensprechern der Parlamentsparteien, insbesondere Abg. Helene Jarmer, Abg. Franz-Joseph Huainigg und Abg. Ulrike Königsberger-Ludwig unterstützen uns. Lange und mühsame Gespräche im Gesundheitsministerium folgten. Im November 2009 fand ein Gespräch mit Bundesminister Alois Stöger statt.

Kleine Abfindung aber keine Zukunftssicherung

BIZEPS-INFO: Nun wurde im Parlament eine Entschädigung beschlossen. Sind Sie damit zufrieden?

Shoshana Duizend-Jensen: Die nun zugesagte Einmalzahlung ist ein erster Schritt, der uns sehr freute, der aber eben nur ein erster Schritt sein kann. Wir sind um die 50 Jahre alt, viele von uns können kaum noch arbeiten, die Eltern versterben oder sind längst verstorben. Wir sind nahezu alle Dauerschmerzpatienten und leiden an den Folgeschäden. Die Einmalzahlung ist daher für viele, die bisher noch nichts bekommen haben, nur ein Tropfen auf den heißen Stein, es ist eine kleine Abfindung für vergangene Leiden und Schmerzen aber keine Zukunftssicherung.

Im internationalen Vergleich bildet Österreich damit leider das absolute Schlusslicht. Wir wünschen uns eine monatliche Rente, so wie das in vielen europäischen Ländern eine Selbstverständlichkeit ist und legten dazu ein Konzept vor, nachdem die Contergangeschädigten ähnlich den Kriegsopfern im Rahmen des Bundesentschädigungsrechtes entschädigt werden. Dazu fehlt derzeit aber anscheinend jeglicher politischer Wille seitens des zuständigen Sozialministeriums.

BIZEPS-INFO: Was konkret fordern Sie?

Shoshana Duizend-Jensen: Wir fordern eine gesetzlich geregelte monatliche Rentenzahlung an jeden Geschädigten angepasst an den Grad seiner Behinderung bis an sein/ihr Lebensende.

BIZEPS-INFO: Wir danken für das Interview.

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