Geschwiegen, verdrängt, vergessen?

Podiumsdiskussion im Parlament zur Ausstellung "Erfasst, verfolgt, vernichtet" und anlässlich des Holocaust-Gedenktages. Ein Kommentar.

Ausstellung: Erfasst, verfolgt, vernichtet
BIZEPS

Am 26. Jänner 2016 fand quasi als Abschluss der Ausstellung „Erfasst, verfolgt, vernichtet. Kranke und behinderte Menschen im Nationalsozialismus“ sowie als Beitrag zum anschließend begangenen Holocaust-Gedenktages eine Podiumsdiskussion zu dieser Thematik im Österreichischen Parlament statt. (Fotos der Ausstellung) An der von Heidemarie Uhl (Österreichische Akademie der Wissenschaften) moderierten Podiumsdiskussion nahmen Vertreter der deutschen und österreichischen Fachverbände für Psychiatrie und Psychotherapie (Frank Schneider, Georg Psota) sowie zwei HistorikerInnen (Brigitte Kepplinger, Herwig Czech) teil.

Dort hieß es auch: „Eine zentrale Aussage war dabei, dass die medizinischen Fachrichtungen sich bemühen müssen, auch die kommenden Generationen in ihrem Berufsstand für Fragen der gesellschaftlichen Verantwortung zu sensibilisieren. Das Geschehene müsse als Warnung dienen, wozu der Missbrauch von Macht durch gesellschaftliche Eliten führen kann.“

War’’s das?

Hintergründe zu beleuchten bzw. auf Zwischentöne zu achten empfiehlt sich jedoch gerade bei einem so heiklen Thema. So ist die Wanderausstellung „Erfasst, verfolgt, vernichtet“ eigentlich eine Leistung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde, deren Schirmherrschaft der deutsche Bundespräsident übernommen hat.

Dass das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes einen Teil ihrer eigenen Ausstellung angehängt hat, war erfreulich.

Als Besucher der im Palais Epstein gezeigten Ausstellung war ich dennoch etwas enttäuscht. Zumindest mit Video-/Audiostationen oder einem Büchertisch hätte man die sehr akademisch gehaltene Ausstellung etwas attraktiver gestalten können. Gerade im Hinblick darauf, dass die Ausstellung neben der von vielen Schulgruppen besuchten Demokratie-Werkstatt zu sehen war.

Auch der Hinweis, dass es neben einem obligatorischen Ausstellungskatalog auch eine kostenlose Version in Leichter Sprache gibt, wurde zu wenig kommuniziert. Die Ausstellungsdauer war schließlich viel zu kurz angesetzt (1 Woche). Ebenso die Verlängerung um ein paar Tage.

Bitte um Verzeihung

Zu begrüßen ist sicherlich der Umstand, dass Georg Psota, Leiter der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie (ÖGPP), die Opfer und Angehörigen für die damaligen Verbrechen, aber auch für das lange Schweigen der ÖGPP um Verzeihung bat. Jedoch blieb dieses Bekenntnis zumindest bis dato der breiten Öffentlichkeit vorenthalten, da es nur begrenzt von den Medien wiedergegeben wurde.

In einem Nebensatz hat Psota versucht, die heute aktuelle „Sterbehilfe-Diskussion“ von den damaligen NS-Medizin-Verbrechen zu entkoppeln („Euthanasie heißt ja guter Tod“), was mir etwas sauer aufstieß. Erfreulicherweise wurde der Zusammenhang im Rahmen der Podiumsdiskussion von einem Arzt im Publikum wieder hergestellt.

Hartheim damals und heute

Die Historikerin Brigitte Kepplinger, die auch den Verein Schloss Hartheim leitet, stellt in ihrem Statement klar fest, dass es damals in den Einrichtungen selbst wenig Widerstand gab.

Widerstand gab es vielmehr von seitens der ansässigen Bevölkerung in Hartheim. Ihre Aussage, dass es heutzutage in einer Demokratie (im Gegensatz zur damaligen Diktatur/Staatsdoktrin) nicht mehr zu solchen Verbrechen kommen kann, möchte ich hinterfragen. Vielleicht gibt es andere subtilere Formen?!

Die Ausstellung „Der Wert des Lebens“ im Schloss Hartheim ist sehenswert. Jedoch drängt sich nicht nur bei mir die Frage auf, warum es an diesem belasteten Gedenkort eine Großeinrichtung für kranke und behinderte Menschen – heute – noch immer gibt. Anders gefragt: Wie geht es den Bewohnern und Bewohnerinnen mit diesem entlegenen und belasteten Standort?

Spiegelgrund – nur ein Beispiel von vielen

Der Historiker Herwig Czech vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands fand in seinem Statement kritische Worte. Er wies unter anderem darauf hin, dass die österreichische Psychiatrie insgesamt recht wenig Interesse gezeigt hat, die eigenen Anteile an den NS-Euthanasie-Verbrechen aufzuarbeiten.

Der Focus wurde sehr stark auf die Geschehnisse rund um den „Spiegelgrund“ und auf die Person Friedrich Zawrel gelegt. In Hall in Tirol gab es Bemühungen anlässlich der Entdeckung eines Gräberfeldes im Jahr 2011. Im restlichen Wien und Österreich wurde noch viel zu wenig geforscht. Kontinuitäten der NS-Medizin gab und gibt es auch noch nach 1945.

Behindertenpolitische Aspekte

Das offizielle Österreich tut sich wahrlich noch immer schwer, mit den NS-Euthanasie-Verbrechen offen umzugehen. 2012 fand am Wiener Zentralfriedhof eine Gedenkfeier mit Bundespräsidenten Dr. Heinz Fischer und den Spitzen der Landesregierung Wien statt. Ich konnte mich auch damals des Eindrucks nicht erwehren, dass fast ausschließlich von den Kindern am Spiegelgrund gesprochen wurde.

Nicht nur bei dieser Feier, auch bei vielen wissenschaftlichen Vorträgen und Symposien habe ich diese Haltung erlebt. Dabei schienen die Vortragenden, Gäste und Veranstalter auch noch zusätzlich verunsichert, wenn sichtbar behinderte Menschen der nächsten Generationen anwesend waren.

Das mag mehrere Gründe haben. Einer ist meines Erachtens sicherlich, dass  das Leben der damals durch die NS-Euthanasie-Verbrechen ermordeten behinderten und kranken Menschen mit dem Leben der heute lebenden behinderten und kranken Menschen untrennbar verknüpft ist.

Zum einen durch die weitergehenden Kontinuitäten, zum anderen durch die heutigen wissenschaftlichen Möglichkeiten, die medizin-ethischen Überlegungen gepaart mit ökonomischen Determinanten.

Nicht über uns ohne uns

Ich leite daraus die These ab, dass eine gewissenhafte, erfolgreiche Aufarbeitung der noch immer verdrängten NS-Euthanasie-Verbrechen nicht ohne die Miteinbeziehung kranker und behinderter Menschen, die heute leben, gelingt. Und zwar nicht im Sinne der Instrumentalisierung, sondern auf Augenhöhe sowie ergebnis-offen angelegt.

Betroffenheit durch Begegnung

Der Schlusstenor der Podiumsdiskussion ergoss sich im Erwarteten. Es soll mehr Forschung geben. Den noch unbekannten Opfern soll ihre Würde, zumindest in Form der Namensnennung wiedergegeben werden. Angehende Ärzte und Ärztinnen müssen in ihrem Curriculum auch die entsprechenden Informationen über die NS-Medizin-Verbrechen und den Platz für Reflexion bekommen. So soll Betroffenheit vermittelt werden.

Werte Damen und Herren der Medizin und Wissenschaft: Betroffenheit kann nicht im Rahmen von „Sachinformation“ vermittelt werden. Betroffenheit kann sicherlich zum Teil bei Besuchen von Gedenkstätten entstehen. Aber wahre Betroffenheit entsteht nur in der persönlichen direkten Begegnung mit heute kranken und behinderten Menschen auf Augenhöhe.

Zum Beispiel im Rahmen von Sensibilisierungsworkshops, die fix in Curricula einzuplanen sind. Und das soll sich nicht nur auf angehende Ärzte und Ärztinnen beschränken, sondern betrifft sehr viele Berufsgruppen.

Und die gute Nachricht: Durch eine umfassende Inklusion sind dann hoffentlich bald diese Schulungen nicht mehr notwendig. Denn dann gibt es behinderte Kinder ganz selbstverständlich im Regelkindergarten und in der Regelschule. Barrierefreiheit wurde zu 99 % umgesetzt und von klein auf ist klar: Wir leben in einer bunten, vielfältigen Gesellschaft. Und das ist gut so.

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