Nicht ins Dunkel

Das erste Licht: Anstelle einer Vorgeschichte Hochsommer war es.

Ich komme mit meinem Auto nach hause. Gut gelaunt, nur etwas müde. Also entschließe ich mich jemanden anzusprechen, damit er mir den Rollstuhl aus dem Auto hebt. Ein junger Mann eilt an mir vorbei. Ich rufe ihm nach: „Entschuldigung!“ Er bleibt stehen, dreht sich um, sieht mich, einen Behinderten, der auf Stützapparaten vor seinem Auto steht. Der junge Mann zuckt die Schultern: „Tut mir leid, ich hab kein Geld!“ Mein Magen krampft sich zusammen. Immer dieses Licht-ins-Dunkel-Syndrom!

Das zweite Licht: Die heile Welt des Wolfram Marboe und dessen Nachfolger
Wo sind sie hin die Zeiten, in denen Wolfram Marboe, der Gründer der Sendung Licht ins Dunkel auftrat und man wußte: Jetzt ist es Weihnachten. Unvergeßlich werden uns Szenen wie jene bleiben, in denen Almut und ihre Mutter, Nationalratsabgeordnete Dr. Helene Partik-Pable, zu Gast bei Marboe waren:

Marboe begrüßt die Mutter von Almut. Almut faßt er mit der linken Hand am Ärmel, worauf Almut ihm ihre rechte Hand hinstreckt. Marboe überlegt, wechselt dann seine Hand und begrußt Almut mit den Worten „grüß dich, servus“.

Es folgt ein langes Gespräch zwischen Mutter und Moderator. Almut selbst wird von der Mutter immer wieder aufgefordert, etwas zu sagen. Sie setzt zwar ein paar Mal an, die Sendezeit erlaubt es Marboe aber offenbar nicht, Almut genug Zeit zu lassen, damit sie ihre Gedanken in Worte kleiden kann. Nur einmal beginnt Almut zu erzahlen:

„P.: Almut hat etwas mitgebracht. Schatzi gib es (…) (Almut gibt Marboe ein selbstgebasteltes Schwein) Sag etwas dazu, sag was! Almut. Das habt ihr …
Almut: … in der Anonigasse, Schultruppe (!!SCHNITT)
P.: Ich habe hier eine Kette mitgebracht (…).“

Was Almut sagen wollte bleibt ein Rätsel. Denn der aufgezeichnete Beitrag wurde an dieser Stelle geschnitten. Man darf annehmen, daß Almut „zu langwierig“ oder auch „zu umständlich“ in den Augen von Wolfram Marboe war. Behinderte müssen sich eben ihrer Grenzen bewußt sein. So läßt man auch heute noch fast zur Gänze Nichtbehinderte über die Situation der armen, behinderten Menschen berichten.

Das dritte Licht: Wie „Licht ins Dunkel“ die Welt verändert
Die Konfrontation mit Behinderten erzeugt allgemein vielfach Unsicherheit bis Angst. Gegen diese Emotionen wird eine Vielzahl von Abwehrmechanismen entwickelt. Die Palette reicht von Flucht, Abwertung, Overprotection bis zu Vorurteilen. Man muß auch nicht mehr unsicher sein, „wenn man ja immer schon gewußt hat, wie Behinderte sind“. Diese Klischeebilder sind Teil der Fernsehwirklichkeit von „Licht ins Dunkel“. Watzlawick beschreibt, wie jede neue Wirklichkeit sofort nach einer neuen Ordnung sucht. Begriffe mussen neu definiert werden, Harmonie wird angestrebt. Das neugeschaffene System lernt selbständig aus den Reflexen, die es als Rückmeldung von Maßnahmen bekommt.

Nach einiger Zeit ist nicht mehr eindeutig, was als Reaktion auf was zu werten ist: Ist der Reflex die Konsequenz auf die Maßnahme, oder die Maßnahme die Konsequenz auf den Reflex? Watzlawick vergleicht das mit dem Pferd, das gelernt hat, daß nach jedem Glockensignal einer seiner Hufe einen leichten elektrischen Schlag bekommt. Mit der Zeit hebt es nach jedem Glockenzeichen automatisch den Huf. Auch wenn es schon seit langer Zeit keine elektrischen Schlage mehr gibt. Auf „Licht ins Dunkel“ umgemünzt drängt sich die Frage auf, ob diese Fernsehrealitat funktioniert, weil sie den Einstellungen des Publikums entspricht; oder ob viele spendende Rezipienten gerne die vorgesetzte Fernsehrealitat annehmen.

In der Analyse der Studien „Die Darstellung behinderter Menschen im ORF“ (Wien 1995 von Franz-Joseph Huainigg und Volker Schönwiese) zeigte sich, daß in der Sendung „Licht ins Dunkel“ kaum Behinderte vorkamen. Die meisten Aktionen standen unter dem Motto: „Etwas für Behinderte tun“. Volkstumsgruppen und klassische Orchester spielten auf, Politiker und Schauspieler, Prominente und weniger Prominente … traten auf, sagten, daß sie etwas „für die >Aktion Licht ins Dunkel<“ getan hatten. Hier stand also eindeutig die Aktion selbst – vor ihren Motiven – im Vordergrund.

Licht vier: Hoffentlich Ihr eigenes!
Wenn heuer wieder „Licht ins Dunkel“ über die Bildschirme flimmert, sehen Sie es sich skeptisch an:

Wofür wird gespendet? Kommen wieder die „ewigen Kinder“ vor (= Sorgenkinder)? Wird von Integration geredet und Ghettoisierung gezeigt? Kommen Betroffene selbst zu Wort? Wie oft wird betont, daß es sich um „Österreichische behinderte Kinder in Osterreich“ handelt?

Noch ein letzter Tip: Zeichnen Sie die Sendung auf ihrem Videorecorder auf und sehen Sie sich das Video im Hochsommer an. Ein einzigartiger Lacherfolg ist Ihnen garantiert!

Franz-Joseph Huainigg, Leiter der AG Behinderte Menschen und Medien

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