Was fehlt im Entwurf des Behindertengleichstellungsgesetzes?
Das Forum Gleichstellung – ein Zusammenschluss von Expertinnen und Experten in Form eines Arbeitsbündnisses im Gleichstellungsbereich – erarbeitete, nach vorheriger Einholung von Statements namhafter Verfassungs- und ZivilrechtsexpertInnen aus dem In- und Ausland, eine umfangreiche Stellungnahme zu dem Begutachtungsentwurf für ein Behindertengleichstellungsgesetz, der sich über 30 Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen angeschlossen haben. Hier finden Sie die gesamte Stellungnahme des Forum Gleichstellung.
Bevor das Forum Gleichstellung in seiner umfangreichen Stellungnahme den Begutachtungsentwurf detailliert analysiert, hebt es positiv hervor: „Erstmals existiert nun ein ministerieller Begutachtungsentwurf“. Doch die Detailkritik lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.
Fehlt: Mitarbeit der anderen Ministerien
Dieser enthält „wichtige Teile zu einem Behindertengleichstellungsgesetz“ ist aber „noch kein Behindertengleichstellungsgesetz, weil einzig Sanktionsmöglichkeiten für Diskriminierungen, nicht aber detaillierte materielle Gleichstellungsrechte mit Übergangsfristen und Sanktionen normiert werden“.
Dies trifft auch deswegen zu, weil dies „aus dem Kompetenzbereich des Sozialministeriums alleine nicht verwirklicht werden kann“. Bekanntlich haben die übrigen Ministerien bisher kaum Nennenswertes zu einem Behindertengleichstellungsgesetz beigetragen.
Fehlt: Sammelnovelle
Weiters wird kritisiert, dass „dieser Entwurf noch keine Abänderungen bestehender behindertendiskriminierender Gesetze in Form einer Sammelnovelle enthält, was für ein umfassendes Behindertengleichstellungsgesetz jedoch unbedingt erforderlich wäre“. Ein Umstand auf den schon im Vorbegutachtungsverfahren – erfolglos – hingewiesen wurde.
Fehlt: Umsetzung des Regierungsprogrammes
Das Forum Gleichstellung hält fest, „dass es sich bei dem vorliegenden Gesetzesentwurf um ein bloßes Antidiskriminierungsgesetz für den Bereich des Bundes handelt und keineswegs um ein Behindertengleichstellungsgesetz; mit diesem Gesetzesentwurf werden auch die im Regierungsprogramm festgelegten paktierten Ziele der Bundesregierung zum Thema Behindertengleichstellung zu einem sehr hohen Anteil nicht entsprechend umgesetzt“.
Fehlt: Annerkennung der Österr. Gebärdensprache
Die sofort nach bekanntwerden des Begutachtungsentwurfes geäußerte Kritik bezüglich fehlender Anerkennung der Österreichischen Gebärdensprache wird wiederholt: Es „ist festzuhalten, dass es eine massive Verschlechterung des Gesetzesentwurfes im Vergleich zum Vorbegutachtungsentwurf darstellt, dass die Anerkennung der Österreichischen Gebärdensprache sowie die Festlegung von Richtlinien zur konkreten Inanspruchnahme und Finanzierung und die Regelung von Ausbildungsstandards für Gebärdensprachdolmetscher gänzlich aus dem Entwurf herausgenommen wurde“.
In diesem Zusammenhang wird auch festgehalten, dass für hörbehinderte Menschen „auch das Recht auf die Verwendung anderer Kommunikationsmittel und Methoden, wie z. B. lautsprachbegleitender Gebärden, eingeräumt werden“ muss, weil diesen mit der Anerkennung der Gebärdensprache „nicht gedient wäre“.
Fehlt: Durchgängige Parteienstellung
Da konkrete Gleichstellungsbestimmungen in diesem Begutachtungsentwurf fehlen, enthält der Entwurf eine Reihe von Klagsmöglichkeiten. Doch auch diese sind mangelhaft. Das Forum Gleichstellung kritisiert, dass ein diskriminierter Mensch „oftmals nicht Partei ist und daher auch im Diskriminierungsfalle in diesen Verfahren keine Parteistellung genießt, sprich den Diskriminierungsschutz im Materienverfahren nicht geltend machen kann“.
Fehlt: Landeskompetenz
Der Begutachtungsentwurf knüpft an das Konsumentenschutzgesetz an. „Damit sind weite Teile des Vertragsrechts-, Versicherungs-, Kredit-, Konto-, Miet-, Kauf-, Leasingverträge – vom Diskriminierungsschutz erfasst“, hält das Forum Gleichstellung fest und zeigt gleichzeitig auf, dass „aufgrund der vehementen Proteste der Länder“ kein Eingriff in Landeskompetenzen möglich war. In der Stellungnahme heißt es daher: „So wichtigen Materien, wie etwa Baurecht, Schulrecht, Beförderungswesen, fallen jedoch überwiegend in Landeskompetenz und sind nun ausdrücklich vom Diskriminierungsschutz nicht umfasst“.
Fehlt: Gleichstellungsrechte auf Bundesebene
Nicht nur auf Landesebene gibt es Probleme. Das Forum Gleichstellung merkt nochmals an: „An dieser Stelle ist aber kritisch zu bemerken, dass, obwohl es sich de facto um ein Antidiskriminierungsgesetz für die Bundeskompetenzbereiche handelt, nicht einmal materielle Gleichstellungsrechte für Bundesmaterien geschaffen wurden – z. B. die Schaffung eines Rechts auf inklusive Bildung, die Anerkennung der Gebärdensprache sowie die Regelung der Gebärdensprachdolmetscherausbildung, -finanzierung und -inanspruchnahmeberechtigung, die Beseitigung von Berufsverboten (körperliche Eignung), die Regelung der verbindlichen Barrierefreiheit für Busse, Eisenbahnen, Bundesamtsgebäude etc. … damit nicht beseitigt werden“.
Fehlt: Gleichstellungsrechte auf Bundesebene
„Der Personenkreis ist im übrigen – wie im Vorbegutachtungsentwurf – viel zu eng gefasst“, wiederholt das Forum Gleichstellung seine Kritik. Es ist zu befürchten, dass Personen den Schutz des Gesetzes nicht erhalten, die ihn dringend bräuchten.
Wie geht es weiter?
Nun werden die Stellungnahmen von anderen Ministerien und Interessensvertretungen genau zu lesen sein.
Parallel dazu muss von den Ministerien – unter Einbeziehung der Betroffenen – an einer Sammelgesetznovelle gearbeitet und eine Verfassungsbestimmung zur Anerkennung der Österr. Gebärdensprache vorgelegt werden.
Unabdingbar ist die Einbeziehung der Betroffenen deswegen, weil von der Regierung immer gesagt wurde, dass sie ein Gesetz für behinderte Menschen – und nicht gegen behinderte Menschen – schaffen wollen. Viel Arbeit wartet auf uns.