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Norwegen: Niemand mag uns

Nicht gemocht zu werden ist für Bente Skansgård von der norwegischen Assistenzgenossenschaft ULOBA das kleinste Problem.

Sie sagt sogar mit Stolz: „Niemand mag uns, weil wir Menschen sind, die wissen, was wir wollen und dafür kämpfen“.

Wenn man mit Bente Skansgård zusammen trifft, macht die Frau, die einen Elektrorollstuhl und Assistenz nutzt, auf den ersten Blick einen ruhigen und sehr entspannten Eindruck. Wenn sie sich bei Veranstaltungen jedoch zu Wort meldet, sind ihre Beiträge zum Teil messerscharf und sehr pointiert. Denn die Selbstbestimmt Leben Philosophie liegt ihr nicht nur sehr am Herzen, sondern hat ihr Handeln in den letzten 30 Jahren entscheidend geprägt.

Von Adolf Ratzka aus Schweden hält sie sehr viel, denn er habe vieles, was für ein selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen zentral ist, auf den Punkt gebracht und in Schweden vorangetrieben. Die Zusammenarbeit mit Adolf Ratzka und anderen Menschen aus dem Europäischen Netzwerk für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen (ENIL) war es dann auch, was Bente Skansgård und ihre MitstreiterInnen in Norwegen dazu bewogen hat, ULOBA, die norwegische Kooperative von AssistenznutzerInnen 1991 zu gründen.

Heute ist ULOBA ein Schlüsselspieler, wenn es um Fragen der Assistenz in Norwegen geht. 27 Prozent der Assistenzleistungen in Norwegen für behinderte Menschen werden von ULOBA landesweit koordiniert. So ist auch die Landkarte im Büro der Organisation in der Nähe von Oslo voll mit roten Stecknadeln.

„Das sind die Kommunen mit denen wir Verträge für die Abrechnung der Persönlichen Assistenz unserer Teilhaber haben“, beschreibt sie stolz und weist aber auch darauf hin, dass es gerade im sehr gering besiedelten Norden von Norwegen noch einige weiße Flecken gibt, während es in der Gegend um Oslo nur so von Stecknadeln wimmelt. Stolz fügt sie aber sofort hinzu: „Wir haben mit allen Kommunen den gleichen Vertrag gemacht – und zwar zu unseren Bedingungen, da weichen wir kein bisschen zurück“.

Was dies genau bedeutet, erfuhr die deutsche Delegation der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) bei ihrem Besuch in Norwegen kurze Zeit später, als es um die Details der Assistenzorganisation in Norwegen ging.

„Wir haben fünf Prozent der allgemeinen Assistenzkosten eingerechnet, die für Situationen vorbehalten sind, die normalerweise nicht in der Finanzierung eingeplant sind. Behinderte Menschen wollen auch Urlaub machen und müssen dafür ihre AssistentInnen mitnehmen und wenn AssistenznutzerInnen ins Krankenhaus kommen, ist es enorm wichtig, dass sie dafür auch Assistenz nutzen können, wenn dies nötig ist oder sie das wünschen“, so Bente Skansgård. Während in Deutschland also beispielsweise noch das Recht auf Assistenz im Krankenhaus eingefordert werden muss, wurde hier längst eine sehr pragmatische Lösung gefunden und auch bei Urlaubsreisen sind behinderte Menschen in Deutschlands oftmals schwer eingeschränkt. Sie dürfen in der Regel kaum Vermögen ansparen, müssen dann aber zu ihren eigenen Reisekosten noch die Kosten für ihre Assistenz aufbringen, ein Ding der Unmöglichkeit.

Ein anderer Aspekt eines unterschiedlichen Verständnisses von Assistenz in Norwegen sticht ebenfalls ins Auge, wenn man sich die Informationsbroschüre von ULOBA anschaut, wo es sehr praktisch heißt: „Wenn man sich in einen behinderten Menschen verliebt, darf es nicht sein, dass man einen 24-Stunden-Assistenbereitschaftsvertrag unterschreibt“. Dies heißt nichts anderes, dass auch die Assistenz gewährt und finanziert wird, wenn man in einer Partnerschaft lebt oder verheiratet ist.

Wenn ULOBA dieses Jahr seinen 16. Geburtstag feiert, kann sich die Organisation aber keineswegs zurücklehnen. „Behinderte Menschen müssen die Qualitäten von Führungskräften erlernen und besitzen, um ihre Selbstbestimmung in den verschiedenen Bereichen leben und verteidigen zu können. Deshalb ist für uns die Schulung von behinderten Menschen selbst für die Organisation der Assistenz, aber auch für mehr Selbstbewusstsein und Einmischung ganz wichtig“, so ein Teilnehmer einer Schulungsveranstaltung, für die Uwe Frevert und Ottmar Miles-Paul von der ISL nach Oslo von ULOBA als Referenten eingeladen waren. „Wir haben in Norwegen zwar sehr viel erreicht und das System in vielerlei Hinsicht verändert. Für uns ist es aber sehr wichtig, uns mit der Situation in anderen Ländern zu beschäftigen, um zu sehen, was wir noch besser machen können, aber auch, was wir bewahren möchten und nicht wollen“, fasst Bente Skansgård ihre Aktivitäten zusammen. So wird auch eine größere Gruppe von ULOBA am Freedom Drive des Europäischen Netzwerks für selbstbestimmtes Leben (ENIL) im September in Straßburg teilnehmen. „Es geht schließlich um unser Recht auf Selbstbestimmung. Und wenn wir nicht dafür kämpfen, wer dann?“, so Bente Skansgård.

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