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Das Europäische Parlament der Menschen mit Behinderungen tagte am 10. und 11. November 2003 in Brüssel und ließ mit vehementen Appellen an die Institutionen der EU und die Mitgliedstaaten aufhorchen.

EU-Parlament Sitzungssaal
Krispl, Ulli

Im Jahr 1993 wurde erstmals das Europäische Parlament der Menschen mit Behinderungen (EPDP) vom Europäischen Behindertenforum (EDF) in Kooperation mit dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission einberufen. Damals wurden wesentliche Ziele und Forderungen formuliert, die den Prozess zur Aufnahme eines Diskriminierungsverbotes für Menschen mit Behinderungen in die EU-Verträge und darauf basierende Maßnahmen und Aktionen zur Bekämpfung von Diskriminierungen wesentlich unterstützten.

Nun wurde im Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen das EPDP zum zweiten Mal einberufen. Daran nahmen für Österreich Rita Donabauer (Pro Mente Austria), Bernadette Feuerstein (SLI Wien), Hubert K. Hartl (European Haemophylie Consortium), Michael Krispl (Verein Blickkontakt), Günther Miniberger (Pro Mente Austria) und Herbert Pichler (ÖAR) als Delegierte teil.

Die rund 200 Delegierten des Europäischen Parlaments der Menschen mit Behinderungen (EPDP), die sich aus Vertretern von lokalen, nationalen und europaweiten Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen aus 28 Staaten Europas – darunter auch die künftigen neuen Mitgliedstaaten der EU – zusammensetzten, debattierten den Verlauf des Europäischen Jahres der Menschen mit Behinderungen und beschlossen in Form einer Resolution an die Institutionen der EU – Kommission, Rat und Parlament – und an die Mitgliedstaaten ihre Vision zur Weiterführung der Ziele und Grundsätze des Europäischen Jahres der Menschen mit Behinderungen über das Jahr 2003 hinaus.

Die wesentlichsten Forderungen des EPDP an die EU-Institutionen und die Mitgliedstaaten, die sich in der am 11.11.2003 von allen Delegierten einstimmig beschlossenen Resolution des EPDP finden, sind:

  • Es wird die ausdrückliche Unterstützung zur Schaffung einer behindertenspezifischen umfassenden Nichtdiskriminierungsrichtlinie der EU gefordert, die sich auf alle Kompetenzbereiche der EU erstrecken soll, deren Annahmeverfahren noch im Lauf des Jahres 2004 beginnen soll und durch die in den nächsten zehn Jahren alle bereits bestehenden Barrieren und Diskriminierungen für Menschen mit Behinderungen beseitigt werden sollen und durch die die Entstehung neuer Barrieren verhindert werden soll.
  • Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, die Ziele der Richtlinie des Rates zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf – 2000/78/EG – im nationalen Recht vollständig und zur Gänze noch bis Ende 2003 umzusetzen und hiebei einen weiten Behindertenbegriff zu Grunde zu legen und strenge und wirkungsvolle Sanktionen vorzusehen.
  • Die Mitgliedstaaten werden auch aufgefordert, die Möglichkeit, die durch die Richtlinie 2000/78/EG eröffnet wird, zu nutzen, eine umfassende Antidiskriminierungsgesetzgebung zu schaffen, die sich neben dem Lebensbereich Beschäftigung und Beruf auch auf andere Lebensbereiche erstrecken soll.
  • Die Staatsoberhäupter und Minister der Mitgliedstaaten werden ferner aufgefordert sicherzustellen, dass Nichtdiskriminierungsmaßnahmen aus Gründen der Behinderung nach Artikel III-8 des Vertrages für eine künftige Verfassung der EU nicht mehr einstimmig beschlossen werden müssen, sondern auch mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden können.
  • Die Regierungskonferenz wird aufgefordert, die positiven Maßnahmen für Menschen mit Behinderungen, die bereits im Entwurf des EU-Verfassungsvertrages enthalten sind, zu unterstützen, wie die Eingliederung behinderter Menschen, den Kampf gegen Diskriminierungen, die Gleichbehandlung, den Grundsatz des Mainstreams von Nichtdiskriminierung in allen Politikbereichen und Aktionen der EU, die volle Übernahme der Charta der Grundrechte in den Verfassungsvertrag und die Anerkennung der Wichtigkeit von zivilem Dialog und unmittelbarer Demokratie.
  • Ausdrücklich begrüßte das EPDP die Unterstützung der geplanten Konvention der Vereinten Nationen für die Rechte behinderter Menschen durch die EU-Institutionen; die EU wird aufgefordert, diese Unterstützung für eine umfassende UN-Konvention, die die bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Rechte behinderter Menschen durch durchsetzbare Rechte und gute Aktionen schützen und fördern soll, fortzusetzen. Die EU soll auch weiterhin die Einbindung der repräsentativen Behindertenorganisationen als Hauptansprechpartner in diesem Prozess unterstützen.
  • Das EPDP fordert ferner die Verabschiedung eines Aktionsprogrammes, das als Hauptziel die Sicherung des Mainstreamings von Behinderung in allen EU-Politikbereichen hat; die Europäische Kommission wird aufgefordert, einen Jahresbericht zu erstellen, der dokumentieren soll, inwieweit Behinderung in den verschiedenen Politikbereichen der EU berücksichtigt wurde und in dem ausgewertet wird, inwieweit Behinderung auch auf Ebene der Mitgliedstaaten in den verschiedenen Politikbereichen mitberücksichtigt wurde.
  • Die EU-Institutionen werden aufgefordert, für eine bessere Koordinierung der nationalen Behindertenpolitiken zu sorgen, insbesondere durch einen einheitlich strukturierten zweijährigen Staatenbericht, der strukturierte Informationen über nationale Behindertenpolitik – einschließlich relevanter Statistiken – enthalten soll, und durch einen umfassenden, alle zwei Jahre herauszugebenden Bericht der Kommission, der – nach bilateralen Gesprächen mit den Mitgliedstaaten und Kontaktnahme mit dem Europäischen Behindertenforum (EDF) – insbesondere gute Praktiken hervorheben sowie generelle und landesspezifische Vorgangsweisen beleuchten soll. Dieser Bericht ist im Rat für Beschäftigung und Soziales und im Europäischen Parlament zu präsentieren.
  • Das EPDP formulierte aber auch Forderungen zu den wesentlichsten Politikbereichen auf EU- wie auf nationaler Ebene, wie etwa Beschäftigung, soziale Eingliederung, Transport, Zugänglichkeit von baulicher Umwelt, öffentliches Vergabewesen, Informationsgesellschaft, Kultur, Bildung, Jugend, Entwicklungspartnerschaften, Forschung, Bioethik etc., wobei der Ruf nach einer Mainstreaming-Behindertenpolitik – etwa auch durch entsprechende Berücksichtigung des Bereiches Behinderung in den verschiedenen nationalen Aktionsplänen – und die Einbindung der Behindertenorganisationen in die Entwicklung und Umsetzung von Politiken und Aktionen im Vordergrund standen. Besondere Berücksichtigung sollen dabei jedoch die Bedürfnisse von Frauen mit Behinderungen, von mehrfachdiskriminierten Menschen mit Behinderungen und von Menschen mit einem sehr komplexen Betreuungsbedarf sowie die Lebenssituation ihrer Familien finden.
  • Gefordert wird seitens des EPDP auch der Abbau der Großheime innerhalb der nächsten fünf Jahre zugunsten kleiner kommunenbasierter Modelle und die unabhängige und umfassende Prüfung und Dokumentation der Lebenssituation von behinderten Menschen in solchen Großinstitutionen.
  • Für die repräsentativen Behindertenorganisationen der zehn neuen Mitgliedstaaten forderte das EPDP entsprechende Fördermaßnahmen, damit diese ihre Kapazitäten ausbauen und in allen Bereichen der Behindertenpolitik auf EU-Ebene mitwirken können.
  • Betreffend weitere Staaten, die sich in den nächsten zehn Jahren der Europäischen Union anschließen möchten ersuchte das EPDP, besonderes Augenmerk auf die Menschenrechtssituation für Menschen mit Behinderungen in diesen Beitrittswerberstaaten zu legen und das Aufnahmeverfahren dazu zu nutzen, die Menschenrechtssituation zu prüfen.
  • Und zuletzt forderte das EPDP noch die Anerkennung des Europäischen Behindertenforums als Dachorganisation aller behinderten Menschen und der Familien nicht selbstvertretungsfähiger Menschen, das auch für seine wichtige Arbeit entsprechend gefördert werden und einen speziellen Status in allen Angelegenheiten der EU eingeräumt bekommen sollte.

Das Europäische Parlament der Menschen mit Behinderungen wandte sich aber auch mit einem Manifest an das Europäische Parlament anlässlich der EU-Parlamentswahlen im Juni 2004, in dem gegenüber den Abgeordneten und Kandidaten für die Wahlen insbesondere die Unterstützung für eine umfassende behindertenspezifische Nichtdiskriminierungsrichtlinie und die UN-Konvention für die Rechte behinderter Menschen, der Zugang behinderter Menschen zu Informationen betreffend die Parlamentswahlen, der Zugang behinderter Menschen zu den Wahlen und die Verfolgung einer Mainstreaming-Behindertenpolitik gefordert wurde.

Alle Dokumente zum Europäischen Parlament der Menschen mit Behinderungen 2003 stehen auch auf der Homepage des Europäischen Behindertenforums (EDF) sowie des Europäischen Parlaments bereit.

Im Rahmen der Plenardebatten des EPDP kamen rund 80 Delegierte zu Wort. Besonders bemerkenswert waren dabei die Reden der SelbstvertreterInnen der Menschen mit Downsyndrom und mit Lernbehinderungen, die eindrucksvoll ihr Recht auf Leben, die Kritik an den Auswirkungen der Pränataldiagnostik und ihr Recht auf Teilhabe am Gesellschaftsleben nach ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten betonten.

Einen wesentlichen Beitrag leisteten auch die SelbstvertreterInnen der Stotterer, die sehr anschaulich ihre spezifische Lebenssituation und ihre Ängste illustrierten und auf ihr Recht auf gleichberechtigte Teilhabe am Gesellschaftsleben verwiesen

Sehr motivierend wirkte der Enthusiasmus, der in den Reden der Delegierten der künftigen neuen Mitgliedstaaten spürbar war.

Wenngleich die Begeisterung für eine effiziente Antidiskriminierungspolitik und rechtliche Antidiskriminierungsinstrumente bei allen Delegierten deutlich erkennbar war, kam doch in den Debatten unmissverständlich heraus, dass die Maßnahmen zur Umsetzung der Gleichbehandlungsrichtlinie in Beschäftigung und Beruf in nahezu allen Mitgliedstaaten als unzureichend festgestellt werden muss.

In Sachen Behindertengleichstellung wurde lediglich von Delegierten Österreichs, Spaniens und Rumäniens berichtet, dass bereits konkrete Arbeiten – auch auf Regierungsebene und unter Einbindung der Behindertenvertretungen – an Behindertengleichstellungs- bzw. Antidiskriminierungsgesetzen im Gange sind.

In den Reden der Delegierten wurde aber durchwegs betont, dass eine umfassende behindertenspezifische Nichtdiskriminierungsrichtlinie der EU von höchster Priorität ist und die bislang eingenommene Position der Europäischen Kommission, eine solche Richtlinie erst in Erwägung zu ziehen, wenn auch die Gleichbehandlungsrichtlinie in Beschäftigung und Beruf – 2000/78/EG – in den Mitgliedstaaten vollständig umgesetzt sei, von den Delegierten nicht nachvollzogen und auch nicht akzeptiert werden kann.

Bei diesem Europäischen Parlament der Menschen mit Behinderungen waren neben den Behindertenvertretern auch zahlreiche Abgeordnete zum Europäischen Parlament und als besondere Ehrengäste Minister Maroni von der Italienischen Ratspräsidentschaft, die Kommissarin für Beschäftigung und Soziales, Anna Diamantopoulou und der Präsident des Europäischen Parlaments, Pat Cox, anwesend.

Minister Maroni wies in seiner Rede auf die Abschlussveranstaltung zum Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen vom 5. bis 7. Dezember 2003 in Rom hin, bei der insbesondere die Themen Antidiskriminierung, Zugang aller Bürger zu allen Lebensbereichen, Rechte von Familien mit behinderten Kindern, lebenslanges Lernen, Abbau von Barrieren etc. diskutiert werden sollen.

Frau Kommissarin Diamantopoulou zeigte sich bei ihrer Schlussrede enttäuscht über die unzureichende Umsetzung der Gleichbehandlungsrichtlinie 2000/78/EG für Menschen mit Behinderungen in den Mitgliedstaaten; sie merkte an, dass lediglich Italien und Frankreich diese für behinderte Menschen voll umgesetzt hätten und wies darauf hin, dass die Kommission entsprechende Maßnahmen ergreifen werde, um die Mitgliedstaaten auf ihre Umsetzungspflicht hinzuweisen, allenfalls auch unter Einbeziehung des Europäischen Gerichtshofes.

Zur geforderten umfassenden behindertenspezifischen Nichtdiskriminierungsrichtlinie bekräftigte sie abermals den bereits bekannten Standpunkt der Europäischen Kommission, dass sie eine solche so lange nicht für zweckmäßig halte, so lange noch nicht einmal die Gleichbehandlungsrichtlinie in Beschäftigung und Beruf hinreichend umgesetzt worden ist.

Kommissarin Diamantopoulou hob abschließend auch die Mitteilung der Kommission vom 30. Oktober 2003 hervor, mit der ein neues Aktionsprogramm zur Bekämpfung von Diskriminierungen behinderter Menschen präsentiert wurde.

Parlamentspräsident Pat Cox betonte, dass das Europäische Parlament einstimmig beschloss, diese Veranstaltung im Plenarsaal des Parlaments zu ermöglichen, um diesem Treffen des Europäischen Parlaments der Menschen mit Behinderungen auch nach außen mehr Gewicht zu verleihen.

Er wies auch darauf hin, dass leider die Gebäude der EU-Institutionen noch immer nicht barrierefrei zugänglich und benützbar seien; aus diesem Grund habe das EU-Parlament eine Studie in Auftrag gegeben, die die baulichen Barrieren des Parlamentsgebäudes aufzeigen und Vorschläge zum Abbau dieser Barrieren dokumentieren soll. Auf Basis dieser Studie sollen dann schrittweise diese baulichen Barrieren beseitigt werden. Er merkte auch an, dass das Parlament auch die anderen Institutionen – Rat, Kommission und Gerichtshof – auffordern werde, ähnliches zu tun.

Präsident Pat Cox bekräftigte in seiner Schlussrede aber auch den von allen zu Wort gemeldeten Abgeordneten aller Fraktionen in ihren Statements geäußerten Willen, die Forderungen des Europäischen Parlaments der Menschen mit Behinderungen voll zu unterstützen, insbesondere den Ruf nach einer umfassenden behindertenspezifischen Nichtdiskriminierungsrichtlinie der EU, der Verfolgung einer Mainstreaming-Behindertenpolitik der EU, des Zuganges behinderter Menschen zum Parlament. Dabei wies er insbesondere auf die Unterstützung der Interessen der behinderten Menschen im Zuge der Entstehung zweier neuer Richtlinien betreffend Zugang zu Dienstleistungen und Waren hin.

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